Entscheidungsstichwort (Thema)

Innergemeinschaftliche Lieferung an einen sog. "missing trader"

 

Leitsatz (NV)

Wer bei einem Umsatz als Leistungsempfänger anzusehen ist, ergibt sich regelmäßig aus den zivilrechtlichen Vereinbarungen. Der Vortrag, eine Person habe den mit Hilfe einer bezogenen Lieferung ausgeführten Umsatz nicht versteuert und sei deshalb ein sog. "missing trader", erlaubt danach für sich genommen nicht den Schluss, nicht der Vertragspartner ("missing trader"), sondern eine andere Person sei Empfänger der Lieferung.

 

Normenkette

UStG 1999 § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 1, 3-4; UStDV 1999 § 17c Abs. 1

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Urteil vom 15.01.2004; Aktenzeichen 16 K 226/03; EFG 2005, 826)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) handelt mit Kraftfahrzeugen (Kfz). Im Jahr 2000 (Streitjahr) lieferte sie zwei gebrauchte Personenkraftwagen (PKW) durch Vermittlung der D-GbR an die spanische Firma G. Die Beförderung der PKW nach Spanien erfolgte durch den von G beauftragten Spediteur T. Nach den von T für Umsatzsteuerzwecke erteilten Bescheinigungen sind die Fahrzeuge zu G in Spanien befördert worden. Die Fahrzeuge wurden durch Überweisungen von G an T und von dieser an die Klägerin bezahlt. Vor Ausführung der Lieferungen hatte das Bundesamt für Finanzen (BfF) der Klägerin im Bestätigungsverfahren nach § 18e des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1999 die Gültigkeit der von G angegebenen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer einschließlich ihres Namens und ihrer Anschrift bestätigt.

Das BfF teilte dem Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) mit Schreiben vom 11. Oktober 2001 mit, G werde in Spanien als Scheinunternehmen bzw. "missing trader" betrachtet. Nach Informationen der spanischen Steuerbehörden habe G im Jahr 2000 umfangreiche Lieferungen aus Deutschland bezogen, ohne die Umsatzsteuer dafür anzumelden und zu entrichten. Es seien in großem Umfang Geldbeträge nach Deutschland überwiesen worden. Die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der G sei ab dem 7. Februar 2001im sog. "VIES"-System deregistriert worden und damit ungültig.

Die Klägerin sah die innergemeinschaftlichen Lieferungen der PKW in ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2000 unter Berufung auf § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 1 UStG 1999 als steuerfrei an. Dem folgte das FA im Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr nicht, sondern behandelte die Umsätze als steuerpflichtig. Es ging aufgrund der Mitteilung des BfF davon aus, die Klägerin habe mit der Aufzeichnung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der G den nach § 6a Abs. 3 UStG 1999, § 17c Abs. 1 Satz 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) 1999 erforderlichen Buchnachweis nicht geführt, weil es sich bei G um eine Scheinunternehmerin gehandelt habe. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es vertrat in seinem in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 2005, 826 veröffentlichten Urteil die Auffassung, im Streitfall lägen steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen vor. Die Klägerin habe nachgewiesen, dass G Abnehmerin der Fahrzeuge gewesen sei, die Fahrzeuge durch T zu G nach Spanien befördert worden seien und die von G angegebene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zutreffend sei. Im Gegenzug habe G über T den Kaufpreis an die Klägerin gezahlt. G habe die Fahrzeuge für ihr Unternehmen erworben und erhalten. Der Erwerb der Fahrzeuge unterliege daher bei G als Abnehmerin in Spanien der Umsatzbesteuerung. Dies habe die Klägerin buch- und belegmäßig nachgewiesen.

Dass G Umsätze in beträchtlichem Umfang den spanischen Steuerbehörden gegenüber nicht erklärt habe, möge zwar auf eine Steuerhinterziehung seitens G hinweisen; die Unternehmereigenschaft der G werde hierdurch jedoch nicht in Frage gestellt.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht das FA geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, ferner sei die Nichtaussetzung des Verfahrens durch das FG ein Verfahrensmangel.

Es hält für grundsätzlich bedeutsam:

- ob ein "missing trader" Abnehmer sein könne und als solcher erfasst werden dürfe; dies habe der Bundesfinanzhof (BFH) bisher noch nicht entschieden. Die spanischen Steuerbehörden hätten dem BfF mitgeteilt, dass G ein "missing trader" sei;

- ob sich der gute Glaube auf die Richtigkeit der nach § 6a Abs. 3 UStG 1999, § 17c Abs. 1 UStDV 1999 buchmäßig aufzuzeichnenden Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder nur die in § 6a Abs. 1 UStG 1999 genannten Voraussetzungen beziehe.

Zum Verfahrensmangel trägt es vor, das FG habe gegen § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoßen, weil es das Klageverfahren nicht im Hinblick auf die beim BFH damals noch anhängigen Verfahren V R 52/03 und V B 180/03 ausgesetzt habe.

Die Klägerin ist der Auffassung, die vom FA aufgeworfenen Rechtsfragen seien in einem Revisionsverfahren nicht klärbar, da G keine Scheinunternehmerin sei. Das FG habe den Streitfall dahin gehend gewürdigt, dass G zur Zeit der Lieferung der PKW eine existente spanische Unternehmerin gewesen sei, die die Fahrzeuge bestellt, bezahlt und entgegengenommen habe. Hieran sei der BFH nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde des FA ist unbegründet.

1. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision u.a. zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärbar sein (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 6. Mai 2004 V B 101/03, BFHE 205, 416, BStBl II 2004, 748, unter II.1., m.w.N.). Dies ist grundsätzlich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde zu beurteilen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Dezember 1973 VI B 105/73, BFHE 111, 396, BStBl II 1974, 321; vom 15. Mai 2003 IV B 219/01, BFH/NV 2003, 1408).

b) Die vom FA aufgeworfene Rechtsfrage, ob ein "missing trader" Abnehmer sein könne und als solcher buchmäßig erfasst werden dürfe, ist nicht mehr klärungsbedürftig. Der erkennende Senat hat durch Beschluss vom 5. Februar 2004 V B 180/03 (BFH/NV 2004, 988, unter II.2.a., m.w.N.) entschieden, dass die Begründung, eine Person (hier: G) habe die mit Hilfe der bezogenen Lieferungen ausgeführten Umsätze nicht versteuert und sei deshalb ein "missing trader", für sich genommen nicht den Schluss erlaubt, nicht der Vertragspartner ("missing trader"), sondern eine andere Person sei Empfänger der Lieferung. Wer bei einem Umsatz als Leistungsempfänger anzusehen ist, ergibt sich danach regelmäßig aus den zivilrechtlichen Vereinbarungen; dies gilt allerdings nicht, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls für den Steuerpflichtigen erkennbar eine andere Person als sein "Vertragspartner" unter dessen Namen auftritt.

c) Soweit das FA mit dem Vortrag, G sei nicht Abnehmerin gewesen, eine fehlerhafte Tatsachenwürdigung und Rechtsanwendung des FG im Einzelfall geltend macht, rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. BFH-Beschluss vom 3. März 2005 V B 33/04, BFH/NV 2005, 1334, m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass diese Würdigung gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder die Grundsätze ordnungsgemäßer Vertragsauslegung verstößt, hat das FA nicht vorgetragen.

d) Auch der Vortrag des FA, es sei klärungsbedürftig, ob sich der Gutglaubensschutz des § 6a Abs. 4 UStG 1999 auch auf die Richtigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer bezieht, führt nicht zur Zulassung der Revision. Diese Rechtsfrage wäre im Revisionsverfahren nicht klärbar, denn das FG geht bei seiner Entscheidung davon aus, dass G Leistungsempfängerin war und ihr die von der Klägerin aufgezeichnete Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt worden war.

3. Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor.

Nach § 74 FGO kann das Gericht, u.a. wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei. Die Anhängigkeit eines Verfahrens beim BFH, das das FA als "Parallelsache" ansieht, erfordert jedoch noch keine Aussetzung des Verfahrens (vgl. BFH-Beschlüsse vom 31. August 1999 V B 20/98, BFH/NV 2000, 245; vom 6. Mai 2005 XI B 181/04, BFH/NV 2005, 1607).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1475301

BFH/NV 2006, 625

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge