Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführertätigkeit für eine ausländische Kapitalgesellschaft im Inland

 

Leitsatz (NV)

Es ist aus Rechtsgründen ernstlich zweifelhaft, ob der Beschluß des Großen Senats vom 15. November 1971 GrS 1/71, BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68, auch im Rahmen des Art. 15 DBA-Kanada 1981 angewendet werden kann.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 222, 258; DBA CHE 1931/59 Art. 4 Abs. 1; DBA CHE 1931/59 Art. 12; DBA-Kanada 1981 Art. 15; FGO § 114

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer 1983 bis 1988 veranlagt wurden. Der Antragsteller erzielte ab dem Jahre 1973 Einkünfte aus der Tätigkeit als Präsident einer nach kanadischem Recht gegründeten und in Kanada ansässigen Aktiengesellschaft (ALtd). Die Einkünfte betrugen in den ersten Jahren 150 kan. Dollar monatlich und ab April 1978 3000 kan. Dollar monatlich. Im Oktober 1984 schied der Antragsteller als Präsident der A-Ltd aus. Schon längere Zeit vorher war ihm eine zusätzliche Einmalvergütung in Höhe von . . . kan. Dollar sowie Ersatz aller persönlichen Auslagen unter Einschluß der Kosten für die Anmietung einer angemessenen Wohnung in Kanada versprochen worden. Er erhielt die Vergütung in den Folgejahren in Teilbeträgen entsprechend der Liquidität der A-Ltd.

Die Einkünfte des Antragsstellers aus der genannten Tätigkeit beliefen sich im Jahre 1983 auf . . . kan. Dollar und im Jahre 1984 auf . . . kan. Dollar. 20 v. H. der Einkünfte wurden mit der Begründung in Kanada besteuert, daß 20 v. H. der Tätigkeit als Präsident der A-Ltd in Kanada ausgeübt worden sei. Die Antragsteller erklärten ursprünglich gegenüber dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) 80 v. H. der Einkünfte als im Inland steuerpflichtig (1983: . . . DM, 1984: . . . DM). Die in Kanada besteuerten Teile der Einkünfte (20 v. H.) sollten im Inland beim Progressionsvorbehalt berücksichtigt werden (§ 32 b des Einkommensteuergesetzes - EStG -).

Das FA veranlagte die Antragsteller erklärungsgemäß zur Einkommensteuer 1983 und 1984. Die Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und wurden bestandskräftig. In den Einkommensteuerbescheiden 1985 und 1986 erfaßte das FA die Einkünfte des Antragstellers aus der Tätigkeit als Präsident der A-Ltd in voller Höhe. Dagegen legten die Antragsteller Einspruch ein, über den - soweit erkennbar - noch nicht entschieden wurde.

Mit Schreiben vom 6. November 1987 beantragten die Antragsteller die Änderung der Einkommensteuerbescheide 1983 und 1984 gemäß § 164 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dahingehend, daß die Einkünfte aus der Tätigkeit als Präsident der A-Ltd in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) als steuerfreie zu behandeln seien (vgl. Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. November 1971 GrS 1/71, BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68). Diesen Antrag lehnte das FA ab. Über den Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid wurde bisher - soweit erkennbar - nicht entschieden, weil das FA ein Auskunftsersuchen an den kanadischen Minister of National Revenue richtete und dieses Ersuchen erst kürzlich beantwortet wurde.

Die Antragsteller beantragen sodann mit Schriftsatz vom 29. Februar 1988 die Stundung u. a. der Einkommensteuervorauszahlung III/1988 in Höhe von 3 124 DM. Diesen Antrag lehnte das FA durch Verfügung vom 12. Juli 1989 ab. Die zuständige Oberfinanzdirektion (OFD) wies die dagegen gerichtete Beschwerde am 30. Oktober 1989 als unbegründet zurück. Die Antragsteller erhoben Klage, die beim Finanzgericht (FG) unter dem Aktenzeichen . . . 7/89 anhängig ist und über die bisher - soweit bekannt - noch nicht entschieden wurde.

Am 28. Dezember 1988 beantragten die Antragsteller beim FG den Erlaß einer einstweiligen Anordnung dahingehend, die Zwangsvollstreckung wegen der rückständigen Einkommensteuer-Vorauszahlung III/1988 bis einen Monat nach Ergehen einer den Rechtsstreit . . . 7/89 abschließenden Entscheidung einstweilen einzustellen. Zur Begründung legten sie dar, daß sie einen Rechtsanspruch auf Erstattung von Einkommensteuer 1983 und 1984 hätten, der die geschuldete Einkommensteuer-Vorauszahlung um ein vielfaches überschreite.Das FG hat den Antrag der Antragsteller als unbegründet abgelehnt.

Der Beschluß des FG wurde den Antragstellern am 27. Dezember 1989 zugestellt. Sie legten am 10. Januar 1990 beim FG Beschwerde ein, der das FG nicht abgeholfen hat.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.

1. Nach § 114 Abs. 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache unter im einzelnen näher umschriebenen Voraussetzungen eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf den Streitgegenstand oder in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen. Dazu ist u. a. erforderlich, daß der Antragsteller einen eigenen Rechtsanspruch (Anordnungsanspruch) darlegt. Daran fehlt es im Streitfall.

2. Dies gilt unabhängig davon, ob der von den Antragstellern geltend gemachte Rechtsanspruch als ein solcher i. S. des § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) oder als ein solcher i. S. des § 222 AO 1977 zu verstehen ist (vgl. zu letzterem: BFH-Beschluß vom 14. März 1969 III B 17/68, BFHE 95, 264, BStBl II 1969, 379). Sollte der Antrag auf Erlaß einer Maßnahme i. S. des § 258 AO 1977 zielen, so wäre der geltend gemachte Anspruch nur dann gegeben, wenn voraussehbar wäre, daß dem Antrag auf Stundung der Einkommensteuer-Vorauszahlung III/1988 stattgegeben werden muß. Nur dann wäre nämlich die Vollstreckung unbillig unter dem Gesichtspunkt ,,dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est". Sollte dagegen der Antrag im Sinne einer Maßnahme gemäß § 222 AO 1977 (,,einstweilige Stundung") zu verstehen sein, so wäre darauf abzustellen, ob die Einziehung der Einkommensteuer-Vorauszahlung III/1988 für die Antragsteller eine erhebliche Härte bedeutet. Auch insoweit ist anerkannt, daß die Einziehung einer Steuer dann eine Härte darstellt, wenn der zu zahlende Betrag (ohne daß bereits eine Aufrechnungslage gemäß § 226 AO 1977 besteht) alsbald zu erstatten ist. Es kann in einem solche Fall Treu und Glauben widersprechen, etwas zu fordern, was sogleich wieder zurückgewährt werden muß. Die daraus resultierende Härte ist jedoch nur dann erheblich, wenn der Gegenanspruch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besteht und alsbald fällig wird (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Januar 1982 VIII B 94/79, BFHE 135, 23, BStBl II 1982, 307, m. w. N.). Insbesondere in Fällen einer sog. Verrechnungsstundung (zum Begriff: vgl. BFH-Beschluß vom 29. November 1984 V B 44/84, BFHE 142, 418, BStBl II 1985, 194) setzt die Annahme einer erheblichen Härte voraus, daß der Gegenanspruch, mit dessen Fälligkeit in naher Zeit zu rechnen ist, rechtlich und tatsächlich schlüssig belegt ist (BFH-Urteil vom 6. Oktober 1982 I R 98/81, BFHE 138, 1, 3, BStBl II 1983, 397, 398). Daran fehlt es im Streitfall.

3. Die Antragsteller leiten ihren Gegenanspruch auf Erstattung von Einkommensteuer 1983 und 1984 aus der entsprechenden Anwendung des Beschlusses des Großen Senats in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68 auf die Besteuerung der Einkünfte ab, die der Antragsteller aus seiner Tätigkeit als Präsident der A-Ltd erzielte. In dem genannten Beschluß hat der Große Senat zu Art. 4 Abs. 1 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern vom 15. Juli 1931 i. d. F. des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 - DBA-Schweiz 1931/59 - (BGBl II 1959, 1253, BStBl I 1959, 1006) entschieden, daß der Geschäftsführer einer GmbH mit Sitz im Inland, der seinen Wohnsitz in der Schweiz hat und dort die Geschäfte der Gesellschaft führt, seine persönliche Tätigkeit am Sitz der Gesellschaft im Inland ausübt. Es erscheint jedoch aus Rechtsgründen zweifelhaft, ob diese Entscheidung auf den Streitfall übertragen werden kann. Der Streitfall betrifft die Anwendung des Art. 15 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern vom 17. Juli 1981 - DBA-Kanada 1981 - (BGBl II 1982, 801, BStBl I 1982, 752). Der Wortlaut des Art. 15 DBA-Kanada 1981 ist ein wesentlich anderer als der des Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz 1931/59. Außerdem wollen die Antragsteller die o. g. Rechtsprechung auf den Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland übertragen, der seinen Wohnsitz im Inland hat und hier (teilweise) die Geschäfte der Gesellschaft führt. Sollte die o. g. Rechtsprechung auch in einem solchen Fall anzuwenden sein, so drohen sog. negative Qualifikationskonflikte jedenfalls dann, wenn die kanadische Finanzverwaltung Art. 15 DBA-Kanada 1981 nicht in gleicher Weise interpretiert. Der insoweit drohende negative Qualifikationskonflikt bedeutet, daß die Antragsteller 80 v. H. der Einkünfte aus der Tätigkeit als Präsident der A-Ltd nirgends zu versteuern hätten. In dem vom Großen Senat entschiedenen Fall drohte dagegen allenfalls ein positiver Qualifikationskonflikt, der jedoch gemäß Art. 12 DBA-Schweiz 1931/59 ohne weiteres hätte gelöst werden können. Auch im übrigen besteht zwischen dem DBA-Schweiz 1931/59 und dem DBA-Kanada 1981 insoweit ein wesentlicher Unterschied, als die Schweiz in Art. 15 Abs. 5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 - DBA-Schweiz 1971 - (BGBl II 1972, 1021, BStBl I 1972, 518) die Bereitschaft hat erkennen lassen, die sich aus der Rechtsprechung des Großen Senats ergebende Rechtsfolge auch in der Schweiz anzuwenden. Im DBA-Kanada 1981 fehlt es dagegen an einer dem Art. 15 Abs. 5 DBA-Schweiz 1971 entsprechenden Regelung. Die tatsächliche Besteuerung des Antragstellers in Kanada, wie sie sich aus dem Schriftsatz des FA vom 5. April 1990 ergibt, deutet darauf hin, daß die kanadische Finanzverwaltung den Art. 15 DBA-Kanada 1981 nicht im Sinn der Rechtsprechung des Großen Senats auslegt. Dann aber ist es auch für den Bereich der Bundesrepublik zweifelhaft, ob die bloße Verwertung einer nichtselbständigen Arbeit unter den Begriff ,,ausüben" gefaßt werden kann. Jedenfalls ist es das Recht des FA, diese Frage gerichtlich klären zu lassen und bis zur Klärung einen ablehnenden Standpunkt einzunehmen. Damit kann schon aus Rechtsgründen nicht davon ausgegangen werden, daß der Gegenanspruch der Antragsteller mit ausreichender Wahrscheinlichkeit besteht. Entsprechend ist sowohl ein Anspruch auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung als auch ein solcher auf einstweilige Stundung nicht dargelegt.

4. Fehlt es schon an einem Anordnungsanspruch, kann es nicht darauf ankommen, ob die angeblich verzögerliche Erledigung des Auskunftsersuchens durch die Finanzverwaltung einen Anordnungsgrund auslöst. Nur vorsorglich weist der erkennende Senat darauf hin, daß die Antragsteller es selbst in der Hand hatten, durch Einlegung einer Beschwerde gemäß § 349 Abs. 2 AO 1977 bzw. durch Erhebung einer sog. Untätigkeitsklage i. S. des § 46 FGO für eine beschleunigte Klärung der in rechtlicher Hinsicht bestehenden Zweifel Sorge zu tragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417209

BFH/NV 1991, 146

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