Entscheidungsstichwort (Thema)
Folgen fehlerhafter Vorläufigkeitsvermerke
Leitsatz (NV)
Ein Steuerbescheid ist nicht nichtig, wenn ihm ein Vorläufigkeitsvermerk beigefügt worden ist, obwohl die in § 165 Abs. 1 AO 1977 vorausgesetzte Ungewißheit nicht vorgelegen hat.
Normenkette
AO 1977 §§ 125, 165 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Bei den vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gestellten Rechtsfragen handelt es sich nicht um aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und für einheitliche Rechtsanwendung wichtige Fragen, deren Beantwortung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Anwendung des Rechts berührt (vgl. dazu Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Dezember 1988 III B 15/88, BFHE 155, 386, BStBl II 1989, 409, unter 1., m. w. N.). Die von dem Kläger bezeichneten Rechtsfragen lassen sich ohne weiteres aus dem Gesetz und der vorliegenden Rechtsprechung des BFH beantworten. Unter diesen Umständen besteht kein Bedürfnis an einer Klärung durch eine Revisionsentscheidung (vgl. zur Klärungsbedürftigkeit: BFH-Beschluß vom 21. Juni 1990 V B 27/90, BFHE 161, 201, BStBl II 1990, 801).
a) Die Rechtsfrage: ,,Kann ein Steuerbescheid, der aufgrund einer durchgeführten uneingeschränkten Betriebsprüfung nach § 164 Abs. 2 AO 1977 geändert ergeht, vorläufig gemäß § 165 erlassen werden, obwohl nachweislich die Voraussetzungen des § 165 AO 1977 nicht mehr vorliegen, weil die Ungewißheit zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Steuerbescheids bereits beseitigt war und dies auch dem Finanzamt bekannt war", wird bereits durch die Fragestellung beantwortet. Ein Steuerbescheid, dem ein gegenständlich bestimmter Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) beigefügt worden ist, obwohl nicht ungewiß ist, ob insoweit die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind, ist rechtswidrig.
b) Die Rechtsfrage: ,,Führt der fehlerhafte Vermerk der Vorläufigkeit gemäß § 165 AO 1977 in diesem Fall zur Nichtigkeit dieses Vermerks oder nur zur Rechtswidrigkeit, die mit dem Einspruch anzufechten wäre, und zwar auch dann, wenn dem Steuerpflichtigen bekannt ist, daß ein Grund für die Vorläufigkeit gemäß § 165 AO 1977 zum Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheids nicht mehr vorliegen konnte" ist aus dem Gesetz ohne weiteres beantwortbar.
Der dem Steuerbescheid bei seinem Erlaß beigefügte Vorläufigkeitsvermerk ist eine unselbständige Nebenbestimmung (vgl. dazu BFH-Urteil vom 30. Oktober 1980 IV R 168-170/79, BFHE 132, 5, BStBl II 1981, 150, unter 2., m. w. N.). Die fehlerhafte Beifügung hat nur Folgen für den Steuerbescheid, der den Vorläufigkeitsvermerk enthält. Gründe, den Steuerbescheid (insoweit) als nichtig zu beurteilen, wenn ihm ein Vorläufigkeitsvermerk beigefügt worden ist, obwohl die in § 165 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 vorausgesetzte Ungewißheit nicht vorgelegen hat, sind nicht vorhanden. Nichtigkeit aus den in § 125 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 AO 1977 bezeichneten Gründen ist nicht gegeben.
Nichtigkeit nach § 125 Abs. 1 AO 1977 kommt nicht in Betracht, weil der Steuerbescheid wegen des beschriebenen Mangels nicht an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies auch nicht bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Ein schwerwiegender Fehler, der die Nichtigkeit herbeiführt, ist angenommen worden, wenn gegen § 119 Abs. 1 AO 1977 verstoßen worden und der Umfang der Vorläufigkeit nicht bestimmbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 12. März 1991 IX R 282/87, BFH/NV 1991, 506, m. w. N.). Weil der von dem Kläger bezeichnete Mangel damit nicht vergleichbar ist, hätte er den nur rechtswidrigen Steuerbescheid anfechten müssen.
c) Die Rechtsfrage: ,,Ist die ebenfalls fehlerhafte Berichtigung des gemäß § 165 AO 1977 nur vorläufig erlassenen Steuerbescheids nichtig oder ebenfalls nur rechtswidrig, wenn die Änderung auf § 175 AO 1977 gestützt wird und der gesamte Inhalt des Steuerbescheids erkennen läßt, daß diese Änderungsvorschrift auch bewußt und gewollt angewandt wurde und konnte die fehlerhafte Berichtigungsvorschrift (§ 175 AO 1977) auch die (möglicherweise) richtige Änderungsvorschrift des § 165 Abs. 2 AO 1977 abdecken", ist ebenfalls nicht klärungsbedürftig. Da der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) die Steuerfestsetzung in der Einspruchsentscheidung ausdrücklich für endgültig erklärt hat, hat er deutlich gemacht, daß sich der Einspruch gegen eine teilweise vorläufige Steuerfestsetzung richtete. Die - offensichtlich - fehlerhafte Bezeichnung der Änderungsvorschrift ist damit gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 geheilt worden. Die bezeichnete Vorschrift zeigt, daß die Angabe der falschen Änderungsvorschrift in dem später geänderten Steuerbescheid nicht zur Nichtigkeit des Änderungsbescheids führt. Nach der Rechtsprechung des BFH ist der Änderungsbescheid selbst bei Angabe einer fehlerhaften Änderungsgrundlage rechtmäßig, wenn er durch den Tatbestand einer Änderungsvorschrift materiell gedeckt ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 25. November 1980 VIII R 32/77, BFHE 132, 425, BStBl II 1981, 419, unter 3., m. w. N.; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 173 AO 1977 Tz. 45).
2. Die Ausführungen des Klägers zur Zulassung der Revision wegen Abweichung der Vorentscheidung von Entscheidungen des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) genügen nicht den Anforderungen. Der Kläger hat nicht die (möglicherweise) voneinander abweichenden abstrakten Rechtssätze aus der Vorentscheidung und den Entscheidungen des BFH, von denen das FG abgewichen sein soll, erkennbar und in ohne weiteres nachvollziehbarer Weise gegenübergestellt (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 1. August 1990 II B 36/90, BFHE 161, 480, BStBl II 1990, 987, zu II 2; vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). Es reicht nicht aus, Rechtssätze aus BFH-Entscheidungen wiederzugeben, ohne gleichzeitig darzulegen, daß das Finanzgericht (FG) gerade von diesen Rechtssätzen abgewichen sein soll. Im übrigen hat der Kläger nicht ausreichend bezeichnet (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO), inwiefern die Vorentscheidung auf der angeblichen Divergenz beruht.
Fundstellen