Entscheidungsstichwort (Thema)

Mangel der Vertretung wegen nicht ordnungsgemäßer Ladung

 

Leitsatz (NV)

  1. Ein mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend zu machender Verfahrensmangel der nicht nach den gesetzlichen Vorschriften erfolgten Vertretung liegt vor, wenn ein Beteiligter oder sein Vertreter nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden und deshalb nicht erschienen ist und er der Prozessführung weder ausdrücklich noch stillschweigend zugestimmt hat.
  2. Gibt der zugleich im eigenen Namen klagende Prozessvertreter im Klageverfahren zuletzt ausschließlich seine Büroanschrift an, nachdem ein Beschluss im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung unter der privaten Anschrift nicht zugestellt werden konnte, so ist er zwingend unter der Büroanschrift zu laden.
 

Normenkette

FGO § 53 Abs. 2, § 62 Abs. 3 S. 5, § 119 Nr. 4; VwZG § 3 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf (Urteil vom 29.01.2002; Aktenzeichen 3 K 7454/98 E)

 

Tatbestand

I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wegen Einkommensteuer 1993 und 1994 nach mündlicher Verhandlung am 29. Januar 2002 als unbegründet ab. Die Revision ließ es nicht zu.

In der mündlichen Verhandlung war für die Kläger niemand erschienen. Der damals als Steuerberater selbständig tätige Kläger, der zugleich Bevollmächtigter seiner mit ihm zusammen veranlagten Ehefrau war, war vom FG unter der früheren Wohnanschrift mit dem Hinweis geladen worden, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden könne (§ 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Ausweislich der Postzustellungsurkunde ist die Ladung am 9. Januar 2002 durch Niederlegung bei der Post zugestellt worden.

Nach erfolglosem Einspruch hatte der Kläger im eigenen Namen und zugleich als Prozessvertreter der Klägerin am 9. Oktober 1998 unter der Anschrift "X-Str. 21 in Z …" Klage erhoben. Diese Anschrift ist sowohl im Adressfeld als Absender der Klageschrift als auch in der Fußzeile ausgewiesen. Die mit Schriftsatz vom 20. Oktober 1998 vorgelegte Prozessvollmacht der Klägerin lautet ebenfalls auf "X-Str. 21 …". Ebenso ist der Schriftsatz vom 12. November 1998 zur Begründung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) unter der Anschrift "X-Str. 21 …" eingereicht worden. Schließlich wurde der hierauf ergangene ablehnende Beschluss vom 17. November 1998 über den Antrag auf AdV den Klägern ebenfalls unter der Anschrift "X-Str. 21 …" zugestellt; die Zustellung erfolgte aber ausweislich der Postzustellungsurkunde am 20. November 1998 durch Niederlegung bei der Post, weil die Kläger unter der angegebenen Anschrift nicht anzutreffen waren.

Vom FG dazu aufgefordert, nahm der Kläger am 9. Februar 1999 Stellung zu dem Beschluss über die AdV. Diesen Schriftsatz reichte der Kläger auf einem Briefbogen ein, der im Adressfeld und in der Fußzeile seine Praxisanschrift "A-Straße 14 in B …" auswies. Diese Anschrift hatte der Kläger von Anfang an und durchgängig auch in seinem Klageverfahren … vor demselben 3. Senat des FG betreffend Einkommensteuer 1997 angegeben. Die in diesem Verfahren gegen das klageabweisende Urteil des FG vom 29. Januar 2002 erhobene Nichtzulassungsbeschwerde führte mit Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. Juni 2002 III B 29/02 (BFH/NV 2002, 1472) zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, weil die Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung mangels ordnungsgemäßer Ladung nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten waren und der Prozessführung auch nicht zugestimmt haben.

Mit Ladung vom 8. Januar 2002, die an "Herrn C, X-Straße 21", in Z adressiert ist, wurde der Beschwerdeführer als Kläger und zugleich als Prozessbevollmächtigter der Klägerin unter Hinweis auf § 91 Abs. 2 FGO und die unterlassene gesonderte Ladung der Klägerin geladen. Die Ladungen für das vorliegende Klageverfahren 3 K 7454/98 E und das unter Az. … anhängig gewesene Verfahren wurden zusammen mit Postzustellungsurkunde am 9. Januar 2002 an die damalige Wohnanschrift der Kläger durch Niederlegung bei der Post zugestellt. Nach Ziff. 8.4 der Postzustellungsurkunde ist die Benachrichtigung über die Niederlegung an der Wohnungstür der Empfänger befestigt worden.

Laut Sitzungsniederschrift ist der Kläger und Prozessbevollmächtigte trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht in der mündlichen Verhandlung am 29. Januar 2002 erschienen. Das FG wies die Klage als unbegründet ab.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision machen die Kläger einen Verfahrensmangel geltend und tragen vor, sie hätten Ende Dezember 2001 ihren Wohnsitz in die D-Allee in Z verlegt und sich am 29. Dezember 2001 im Bürgerbüro E polizeilich umgemeldet. Nach Rückkehr aus einem Urlaub hätten sie Anfang Januar 2002 bei der Deutschen Post AG einen Nachsendeantrag gestellt.

Gleichwohl sei die Ladung unter der alten Anschrift zugestellt worden. Vermutlich sei die Benachrichtigung über die Niederlegung ―wie dies bereits früher vom Postboten vorgenommen worden sei― am Gartentor des von ihnen zuvor bewohnten Einfamilienhauses befestigt worden. Erst anlässlich eines Termins in dem Einfamilienhaus Anfang Februar 2002, und damit nach Durchführung der mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 2002, sei die Benachrichtigung in ihre Hände gelangt.

Die Ladung sei indes nicht ordnungsgemäß erfolgt; denn sie sei an die frühere Privatanschrift gerichtet worden, obwohl er, der Beschwerdeführer, als Kläger und zugleich als Prozessbevollmächtigter der Klägerin den Schriftwechsel zuletzt am 26. Oktober 1999 unter seiner Büroanschrift "A-Straße 14 in B" geführt habe. Nach § 62 Abs. 3 Satz 5 FGO seien Zustellungen aber an den Bevollmächtigten vorzunehmen. Werde ein wirksam bestellter Prozessvertreter nicht zur mündlichen Verhandlung geladen, so sei der Beteiligte nicht vertreten und ein Verfahrensmangel zu bejahen.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Unter Hinweis auf den Beschluss des BFH vom 5. Februar 2002 VIII R 2/01 (BFH/NV 2002, 792) ist das FA der Auffassung, der Kläger habe seine prozessualen Obliegenheiten verletzt, weil er dem FG seinen Umzug nicht angezeigt habe.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG gemäß § 116 Abs. 6 FGO.

Das Urteil des FG beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Die Kläger sind im Termin zur mündlichen Verhandlung am 29. Januar 2002 mangels ordnungsgemäßer Ladung nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten gewesen und haben der Prozessführung auch nicht zugestimmt.

1. Die Kläger haben einen Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 4 FGO gerügt. Unschädlich ist, dass sie insoweit noch die entsprechende Vorschrift des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO a.F., die nur noch bis zum 31. Dezember 2000 gegolten hat (vgl. Art. 4 und 6 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ―2.FGOÄndG― vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1757), angegeben haben.

2. Ein solcher Verfahrensmangel liegt vor, wenn ein Beteiligter im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten war und auch nicht der Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat (vgl. § 119 Nr. 4 FGO). Eine mangelnde Vertretung ist auch dann gegeben, wenn ein Beteiligter oder sein Vertreter zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden und deshalb nicht erschienen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. aus jüngerer Zeit BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 792, zu II.3.a der Entscheidungsgründe, m.w.N.).

a) Gemäß § 62 Abs. 3 Satz 5 FGO sind Zustellungen während des finanzgerichtlichen Verfahrens an den bestellten Bevollmächtigten zu richten (dazu BFH-Urteil vom 27. April 1994 XI R 29/93, BFHE 174, 304, BStBl II 1994, 661).

In dem dieser Beschwerde zu Grunde liegenden Klageverfahren 3 K 7454/98 E hat der Kläger im eigenen Namen und entsprechend der schriftlich eingereichten Prozessvollmacht zugleich im Namen der Klägerin zwar unter seiner damaligen Privatanschrift "X-Str. 21 in Z …" Klage erhoben. Nachdem der Beschluss über die AdV in dieser Sache durch Niederlegung bei der Post zugestellt worden war, hat sich der Kläger jedoch nur noch seiner Büroanschrift "A-Straße 14 in B …" bedient, die er auch in der Parallelsache … ―dort allerdings von Anfang an― angegeben hatte.

Ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 9. Januar 2002 waren die Ladungen für das hier vorliegende Klageverfahren und das weitere beim FG anhängig gewesene Klageverfahren … wegen Einkommensteuer 1997 an die frühere Wohnanschrift "X-Str. 21 in Z …" gerichtet und dort durch Niederlegung bei der Post zugestellt worden.

b) Im Streitfall waren die Ladungen dem Kläger in eigener Sache, wie auch in seiner Eigenschaft als Prozessbevollmächtigter gemäß §§ 53 Abs. 1, 62 Abs. 3 Satz 5 FGO zuzustellen und mit der Anschrift des Empfängers zu versehen (§ 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes ―VwZG―). Nach Auffassung des beschließenden Senats hatte diese Zustellung unter der vom Kläger zuletzt angegebenen Anschrift seiner damaligen Praxis zu erfolgen. Der III. Senat des BFH hat in seinem, gegenüber denselben Beteiligten ergangenen Beschluss in BFH/NV 2002, 1472 ausgeführt, dass die Zustellung an einen Berufsangehörigen und Prozessbevollmächtigten schon zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs in dessen Praxis zu erfolgen habe. Eine Zustellung dürfe zwar nach § 10 VwZG an jedem Ort bewirkt werden, an dem der Empfänger angetroffen werde. Diese Vorschrift gelte jedoch nur für die Zustellungen gegen Empfangsbekenntnis durch eine tatsächliche Übergabe, keinesfalls aber für eine ersatzweise Zustellung durch Niederlegung bei der Post des an eine unzutreffende Anschrift gerichteten Schriftstücks. Diesen Ausführungen folgt der beschließende Senat auch für den Streitfall, in dem das FG den Kläger ebenso wie in dem Parallelfall zu Unrecht unter seiner Privatanschrift geladen hatte.

Dass der Kläger ―anders als in dem Klageverfahren …― nicht von Anfang an seine Praxisanschrift verwendet hatte, rechtfertigt keine abweichende Entscheidung. Denn nachdem bereits der Beschluss über die AdV im November 1998 durch Niederlegung bei der Post zugestellt werden musste und der Kläger seine Schriftsätze dem FG von diesem Zeitpunkt an auf dem Briefpapier seiner Praxis übersandt hatte, hätte für das FG durchaus Anlass bestanden, die Ladung zur mündlichen Verhandlung mehr als drei Jahre nach der Ersatzzustellung des Aussetzungsbeschlusses unter der Praxisanschrift zuzustellen. Der Fehler lag somit im Verantwortungsbereich des Gerichts (vgl. dazu auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 792, m.w.N.). Das FA geht zu Unrecht davon aus, der Kläger hätte als Prozessbevollmächtigter der Klägerin sicherstellen müssen, dass er während des Klageverfahrens trotz seines Umzuges an einen anderen Ort für das Gericht erreichbar blieb (vgl. dazu BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 792). Nachdem er seine letzten Schriftsätze dem FG mit der Anschrift seiner Praxis übersandt hatte, konnte er davon ausgehen, dass es nicht erforderlich sein würde, dem FG auch seinen privaten Umzug anzeigen zu müssen. Jedenfalls war er unter der Anschrift seiner Praxis für dieses Klageverfahren ebenso erreichbar wie für das weitere Klageverfahren Az. …, für das gleichzeitig ebenfalls eine Ladung zur mündlichen Verhandlung zugestellt wurde.

3. Da die Ursächlichkeit des Mangels für die Entscheidung bei dem in § 119 Nr. 4 FGO aufgeführten absoluten Revisionsgrund unwiderleglich vermutet wird, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1075942

BFH/NV 2004, 205

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