Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Anwendung des Verbots der Überpfändung nach § 281 Abs. 2 AO auf die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen

 

Leitsatz (NV)

1. Der Rechtsfrage, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der gleichzeitigen Eintragung von Sicherungshypotheken und dem Erlass von Pfändungs- und Einziehungsverfügungen entgegensteht, kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, denn ihre Beantwortung hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.

2. Das in § 281 Abs. 2 AO normierte Verbot der Überpfändung, das § 803 ZPO nachgebildet ist, gilt nicht für die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; AO § 281 Abs. 2; ZPO § 803

 

Verfahrensgang

FG Münster (Urteil vom 29.09.2006; Aktenzeichen 7 K 1529/06 AO)

 

Tatbestand

I. Wegen rückständiger Umsatzsteuer in Höhe von ca. 202 000 € ließ der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) eine Sicherungshypothek für ein der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) gehörendes Grundstück eintragen. Der Sicherungshypothek vorrangig waren im Grundbuch Fremdgrundschulden in Höhe von rd. 250 000 € ausgewiesen. Nach Angaben des FA valutierten diese Grundschulden noch in Höhe von 73 640 €.

Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung pfändete das FA die für das Grundstück entstandenen und noch entstehenden Eigentümergrundschulden der Klägerin sowie die Ansprüche der Klägerin auf Grundbuchberichtigung und Herausgabe des Grundschuldbriefes.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass die Pfändungs- und Einziehungsverfügung gegen das Verbot der Überpfändung sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Daher sei der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig. Für das Recht der Mobiliarzwangsvollstreckung ergebe sich das Verbot der Überpfändung aus § 281 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Eine Überpfändung liege auch dann vor, wenn bereits getroffene Vollstreckungsmaßnahmen mit einiger Sicherheit zur Befriedigung des Gläubigers ausreichten. Das Verbot der Überpfändung stehe in engem Zusammenhang mit dem für das gesamte Verwaltungshandeln geltenden verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Im Streitfall sei die Forderung durch Eintragung einer Sicherungshypothek für das Grundstück ausreichend gesichert. Dem Sicherungsrecht gingen lediglich die von der streitgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügung betroffenen Grundpfandrechte zu Gunsten einer Bank vor. Die Gefahr, dass die Klägerin die Eigentümergrundschulden zu Lasten des FA erneut als Sicherungsmittel einsetze, bestehe nicht. Denn als Gläubiger der im Grundbuch eingetragenen Sicherungsgrundschuld stehe dem FA ein Anspruch gegen die Klägerin auf Löschung von vorrangigen oder gleichrangigen Hypotheken oder Grundschulden zu, falls diese sich zur Eigentümerhypothek beziehungsweise Eigentümergrundschuld umwandelten. Der auf Löschung gerichtete Anspruch sei gemäß § 1179a Abs. 1 Satz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) so gesichert, als sei eine Löschungsvormerkung eingetragen. Dies führe dazu, dass der Anspruch durch nachträgliche Verfügungen nicht mehr vereitelt werden könne. Aufgrund der Regelungen des § 1179a BGB habe für das FA somit kein zwingendes Bedürfnis für den Erlass der Pfändungs- und Einziehungsverfügung bestanden. Durch diese werde die Klägerin insoweit belastet, als dadurch die Tatsache der Zwangsvollstreckung durch die Finanzbehörde Dritten bekannt werde.

Gründe, die den Erlass der Pfändungs- und Einziehungsverfügung gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, seien im Streitfall nicht ersichtlich.

Das FA begehrt mit seiner Beschwerde die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu klären sei die Rechtsfrage, ob die zusätzlich zur Eintragung einer Sicherungshypothek vorgenommene Ausbringung von Pfändungs- und Einziehungsverfügungen von Eigentümergrundschulden und Rückgewähransprüchen deshalb gegen das nach § 281 Abs. 2 AO bestehende Verbot der Überpfändung verstoße, weil etwaige Ansprüche aufgrund der Regelungen des § 1179a BGB genügend abgesichert seien. Die Finanzverwaltung pfände in vergleichbaren Fällen regelmäßig gleichzeitig mit der Eintragung von Sicherungshypotheken sowohl Rückgewähranspüche als auch Eigentümergrundschulden. Hierzu seien die Finanzämter durch entsprechende Verwaltungsanweisungen angehalten.

Durch eine frühzeitig ausgebrachte Pfändung von Eigentümergrundschulden bzw. von Rückübertragungsansprüchen parallel zur Eintragung von Sicherungshypotheken könne auf schon frei gewordene Sicherheiten der Kreditinstitute zurückgegriffen werden. Durch die gemäß § 310 und § 321 AO zulässigen Vollstreckungsmaßnahmen vor dem Zuschlag könnten nicht nur die Versteigerungsbedingungen günstiger gestaltet, sondern zudem auch die Erfolgsaussichten in der Erlösverteilung verbessert werden. Demgegenüber sei der Anspruch nach § 1179a BGB gegenüber der Pfändung von Eigentümergrundschulden und Rückgewähransprüchen nicht sicherer und effektiver, weil er sich in der Erlösverteilung nach dem Zuschlag als wertlos herausstellen könne. Ob ein solcher Anspruch zum Erfolg führe, hänge nicht zuletzt davon ab, ob auf Grund der getroffenen Sicherungsabreden überhaupt eine Eigentümerhypothek beziehungsweise Eigentümergrundschuld entstehen könne. Sei dies nicht der Fall, gehe der Anspruch ins Leere.

Die Klägerin ist der Beschwerde entgegengetreten; sie ist der Auffassung, dass der aufgeworfenen Frage keine grundsätzliche Bedeutung zukomme.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, denn der vom FA aufgeworfenen Rechtsfrage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.

1. Ausweislich der Urteilsbegründung hat das FG die Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügung damit begründet, dass diese sowohl gegen das Verbot der Überpfändung als auch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße. Beide Begründungen tragen für sich gesehen, unabhängig davon, ob sie materiell-rechtlich zutreffend sind, das erstinstanzliche Urteil. Demgegenüber wirft die Beschwerde eine vermeintlich bedeutsame Rechtsfrage nur in Bezug auf "das nach § 281 Abs. 2 AO bestehende Verbot der Überpfändung" auf. Stützt das FG seine Entscheidung kumulativ auf mehrere Gründe, die für sich gesehen das Urteil tragen, fehlt es an der Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage, die sich lediglich auf einen dieser Gründe bezieht (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 31, m.w.N.).

2. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerde von der Annahme ausgeht, dass das FG seine Entscheidung auf eine Anwendbarkeit von § 281 Abs. 2 AO auch bei der Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen gestützt habe. Dem erstinstanzlichen Urteil lässt sich ein solcher Rechtssatz jedoch nicht entnehmen. Vielmehr hat das FG ausgeführt, dass in § 281 Abs. 2 AO das Verbot der Überpfändung lediglich für das Recht der Mobiliarzwangsvollstreckung verankert sei. Das Verbot der Überpfändung bei der Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen leitet das FG aus allgemeinen Vollstreckungsgrundsätzen und aus dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ab, wobei es grundsätzlich anerkennt, dass bestimmte Gründe den Erlass einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung neben einer zuvor erwirkten Eintragung einer Sicherungshypothek rechtfertigen können. Es hängt aus der Sicht des FG somit von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, ob eine solche zusätzliche Vollstreckungsmaßnahme gerechtfertigt werden kann.

3. Soweit das Vorbringen des FA dahingehend gedeutet werden könnte, dass der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukommen soll, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer Kumulierung von Sicherungshypotheken und Pfändungs- und Einziehungsverfügungen entgegenstehe, kommt eine Zulassung der Revision auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht. Denn einer allgemeingültigen Klärung ist diese Frage nicht zugänglich. Da ihre Beantwortung von der Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall abhängt, kann ihr keine grundsätzliche Bedeutung beigemessen werden (Senatsbeschluss vom 12. März 2004 VII B 239/02, BFH/NV 2004, 1114, m.w.N.).

4. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das in § 281 Abs. 2 AO normierte Verbot der Überpfändung nicht für die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen gilt (Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 281 AO Rz 22, und Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 281 AO Rz 8). Die Vorschrift, die § 803 der Zivilprozessordnung (ZPO) nachgebildet ist, findet im Bereich der Immobiliarvollstreckung keine Anwendung. Da von einer bestehenden Regelungslücke nicht ausgegangen werden kann, kommt auch eine analoge Anwendung nicht in Betracht (vgl. zu § 803 Abs. 2 ZPO Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 18. Juli 2002 IX ZB 26/02, Neue Juristische Wochenschrift 2002, 3178).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1799042

BFH/NV 2007, 2060

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