Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit einer auf Verfahrensmängel gestützten zulassungsfreien Revision nach § 116 Abs. 1 FGO

 

Leitsatz (NV)

1. Wird die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts gerügt (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO), genügt nicht der Vortrag der bloßen Vermutung, daß die Besetzung falsch sein könnte. Vielmehr ist erforderlich, daß konkrete Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Besetzung dargelegt werden. Dazu muß der Revisionskläger ggf. eigene Ermittlungen anstellen und auf der Grundlage der ihm erteilten Auskünfte oder der ihm möglichen Einsicht in die Regelungen über die Geschäftsverteilung (§ 4 FGO i.V.m. § 21e Abs. 8 GVG) Tatsachen darlegen, die seiner Meinung nach den Besetzungsmangel begründen.

2. Der Vortrag, es fehle an einer hinreichenden Bestimmung des Termins i.S. des § 91 Abs. 1 Satz 1 FGO, weil die Streitsache des Revisionsklägers mit zwei weiteren Streitsachen gegen unterschiedliche Finanzämter auf dieselbe Uhrzeit terminiert wurden, enthält keine ausreichende Darlegung eines wesentlichen Verfahrensmangels, wenn feststeht, daß der Prozeßbevollmächtigte eines Beteiligten nachweislich von dem Termin und dessen Anberaumung Kenntnis erhalten hat, sich vor dem Sitzungssaal aufhält und sich trotz Aufrufs der Sache über das Mikrophon weigert, an der Verhandlung teilzunehmen.

3. Mit dem Vortrag, das FG habe zu Unrecht einen Antrag auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung abgelehnt, wird kein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. v. § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO, sondern die Versagung des rechtlichen Gehörs gemäß § 119 Nr. 3 FGO geltend gemacht.

 

Normenkette

FGO §§ 4, 53 Abs. 2, § 91 Abs. 1 S. 1, § 116 Abs. 1, § 119 Nr. 3, § 120 Abs. 2 S. 2; GVG § 21e Abs. 8; VwZG § 3 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte mit seiner Klage gegen den Einheitswertbescheid - Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1982 - betreffend ein Grundstück in X bzw. gegen die diesbezügliche Einspruchsentscheidung vom 1. Juli 1987 keinen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) enthält keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision.

Mit der Revision rügt der Kläger die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Zur Begründung trägt der Prozeßbevollmächtigte des Klägers im wesentlichen vor, daß seit Jahren bei Verfahren seiner Mandanten, bei denen, wie im Streitfall, das Finanzamt X Beklagter sei, der Senat des FG . . . immer so terminiere, ,,wenn der Vorsitzende Richter nicht da ist bzw. der Vorsitzende Richter ist immer nicht da, wenn Entscheidungen bezüglich des beklagten Finanzamts X anstehen". Der Kläger äußert in diesem Zusammenhang den Verdacht, daß hier ggf. ,,verwandtschaftliche Verhältnisse hereinspielen". Aus diesem Grund müßte der Vorsitzende auch immer wieder urlaubs- oder krankheitsbedingt ,,fehlen", damit mündliche Verhandlungen der Mandanten seines Prozeßbevollmächtigten gegen das Finanzamt X terminiert werden könnten. Auf diese Weise sei ihm in unzulässiger Weise der gesetzliche (Vorsitzende) Richter entzogen worden. Im übrigen müsse der Vorsitzende Richter 75% seiner Aufgaben im Senat selbst wahrnehmen. Andernfalls sei der Senat nicht richtig besetzt. Letzteres liege im Streitfall vor, weil alle Fälle des betreffenden Senats, in denen das Finanzamt X Beklagter und der Prozeßbevollmächtigte sein Steuerberater sei, am ordentlichen Vorsitzenden des Senats vorbeigingen.

Der Kläger rügt außerdem die Verletzung des § 91 Abs. 1 Satz 1 FGO mit der Begründung, das FG habe in unzulässiger Weise drei Streitsachen mit zum Teil unterschiedlichen Beteiligten auf der Beklagtenseite am 28. Februar 1991 auf dieselbe Uhrzeit (15.10 Uhr) festgesetzt. Es fehle deshalb an einer hinreichenden Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung, weil eine Zusammenfassung der Beteiligten Finanzamt X und Finanzamt Z nicht hätte erfolgen dürfen.

Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem FG ergibt sich, daß nach Aufruf der Sache für den Kläger niemand erschienen war. Aus einem Aktenvermerk des FG ergibt sich ferner, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers den Sitzungssaal nach Schluß einer vorhergehenden mündlichen Verhandlung verlassen hatte. Er hielt sich vor dem Sitzungssaal auf und weigerte sich trotz Aufrufs der Sache über das Mikrophon an der Verhandlung teilzunehmen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig. Sie ist durch Beschluß zu verwerfen (§ 124, 126 Abs. 1 FGO).

Gegen das Urteil des FG steht den Beteiligten die Revision zu, wenn das FG oder der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat (§ 115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -). Die Revision ist weder vom FG noch vom BFH zugelassen worden.

Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht, wenn einer der in § 116 Abs. 1 FGO bezeichneten Verfahrensmängel gerügt wird. Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision ist jedoch nur statthaft, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ein Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO schlüssig gerügt wird (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO; BFH-Beschluß vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 116 Rz. 3, m.w.N.).

Wird, wie im Streitfall, die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts gerügt (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO), genügt nicht der Vortrag der bloßen Vermutung, daß die Besetzung falsch sein könnte. Die ordnungsgemäße Geltendmachung der Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts setzt voraus, daß konkrete Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Besetzung dargelegt werden (vgl. BFH-Beschluß vom 5. März 1970 V R 135/68, BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384, und Urteil vom 30. Oktober 1974 I R 40/72, BFHE 114, 85, BStBl II 1975, 232). Dazu muß der Kläger ggf. eigene Ermittlungen anstellen und auf der Grundlage der ihm erteilen Auskünfte oder der ihm möglichen Einsicht in die Regelungen über die Geschäftsverteilung (§ 4 FGO i.V.m. § 21 e Abs. 8 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG -) Tatsachen darlegen, die seiner Meinung nach den Besetzungsmangel begründen (vgl. BFH-Beschluß vom 18. März 1987 V R 96/86, BFH/NV 1987, 591, m.w.N.).

Solche konkreten Tatsachen hat der Kläger im Streitfall nicht vorgetragen. Der Sachvortrag des Klägers erschöpft sich letztlich in der Behauptung, der geschäftsplanmäßige Vorsitzende des Senats des FG habe ohne ausreichenden Grund an der Entscheidung im Streitfall nicht mitgewirkt und den Vorsitz in der Verhandlung seinem Vertreter überlassen. Dieses Vorbringen ist nicht schlüssig. Denn allein die Behauptung, daß sich der Vorsitzende habe vertreten lassen, begründet für sich allein keinen Verfahrensfehler, da die Vertretung im Falle einer vorübergehenden Verhinderung (z.B. Urlaub, Dienstbefreiung, Erkrankung, Vorliegen von Ausschließungsgründen) durch den nach der Geschäftsordnung bestimmten Richter gesetzmäßig ist (vgl. BFH in BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384). Der Kläger äußert im Streitfall lediglich die Vermutung, der ständige Vorsitzende sei nicht im Rechtssinne verhindert gewesen. Damit bezeichnet der Kläger keine zur Begründung der Verfahrensrüge geeignete Tatsache. Die bloße Behauptung der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung mit der Rechtsfolge, daß das Revisionsgericht diese Frage dann in tatsächlicher Form zu prüfen hätte, reicht nicht aus. Denn grundsätzlich ist, wie der BFH in BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384 bereits ausgeführt hat, in der Revision von der Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens der Vorinstanz auszugehen.

Der Kläger hätte zu der Frage der vorschriftsmäßigen Besetzung des Senats in der Sitzung vom 28. Februar 1991 Ermittlungen anstellen müssen, insbesondere hinsichtlich der geschäftsplanmäßigen Vertretungsregelungen (finanzgerichtlicher und senatsinterner Geschäftsverteilungsplan) sowie hinsichtlich der Gründe, aus denen der Senatsvorsitzende an der Sitzung am 28. Februar 1991 nicht teilgenommen hat. Dem Kläger wäre es möglich und zumutbar gewesen, sich insoweit Aufklärung durch eine Anfrage beim FG zu verschaffen. Das tatsächliche Ergebnis dieser Ermittlungen wäre eine geeignete Grundlage gewesen, Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des gerügten Verhaltens des Gerichts darzulegen (vgl. BFH in BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384).

Der Vortrag des Klägers, es fehle an einer hinreichenden Bestimmung des Termins i.S. des § 91 Abs. 1 Satz 1 FGO, weil die Streitsache des Klägers mit zwei weiteren Streitsachen des Klägers gegen das Finanzamt X und das Finanzamt Z auf dieselbe Uhrzeit terminiert wurden, ist keine Geltendmachung eines wesentlichen Verfahrensmangels i.S. des § 116 Abs. 1 FGO. Insbesondere wird damit nicht dargetan, der Kläger sei im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liegt selbst dann kein Fall des § 116 Abs. 1 Nr.3 FGO vor, wenn die Ladung nicht ordnungsgemäß i.S. von § 91 Abs. 1 FGO war, der nicht ordnungsgemäß geladene Beteiligte jedoch nachweislich von dem Termin vor dessen Anberaumung Kenntnis erhalten hatte (BFH-Beschlüsse vom 25. Juli 1979 VI R 3/79, BFHE 128, 176, BStBl II 1979, 654; vom 9. Oktober 1985 I R 195/84, BFH/NV 1986, 539; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 91 Rz. 14).Im Streitfall war die Ladung dem Kläger innerhalb der Ladungsfrist wirksam zugestellt worden (§ 3 Abs. 1 und 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG - i.V.m. § 53 Abs. 2 FGO). Damit war der Kläger bei Zugrundelegung der vorstehend wiedergegebenen Grundsätze nach den Vorschriften des Gesetzes hinreichend vertreten. Ob die betreffende Terminsladung aus den vom Kläger genannten Gründen nicht ordnungsgemäß gewesen sein sollte, spielt keine Rolle.

Im übrigen kann von einer unzureichenden Vertretung i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO nicht gesprochen werden, wenn der Prozeßbevollmächtigte sich vor dem Sitzungssaal aufhält und sich trotz Aufrufs der Sache über das Mikrophon weigert, an der Verhandlung teilzunehmen.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist es auch unerheblich, ob das FG den Antrag des Prozeßbevollmächtigten auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung zu Recht abgelehnt hat. Denn auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, liegt darin kein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO, sondern allenfalls eine Versagung des rechtlichen Gehörs gemäß § 119 Nr. 3 FGO (vgl. BFH-Beschluß vom 11. April 1978 VIII R 215/77, BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401). Dies wäre jedoch kein Grund für eine zulassungsfreie Revision.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418327

BFH/NV 1993, 30

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