Leitsatz (amtlich)

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe kann schon vor Klageerhebung gestellt werden.

2. Auch im finanzgerichtlichen Verfahren ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist jedenfalls dann möglich, wenn ein ordnungsgemäßes Prozeßkostenhilfegesuch bis zum Ablauf der Klagefrist eingereicht worden ist, der Antragsteller durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten ist und die begehrte Beiordnung des Prozeßbevollmächtigten erforderlich erscheint.

 

Orientierungssatz

1. Eine unter einer Bedingung erhobene Klage ist unzulässig (Literatur).

2. Für die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe für das finanzgerichtliche Verfahren ist Voraussetzung, daß überhaupt noch wirksam Klage erhoben werden kann.

 

Normenkette

FGO §§ 142, 56 Abs. 1; ZPO § 114 Abs. 1, § 117; FGO § 64

 

Tatbestand

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) lebte im Streitjahr 1983 als türkischer Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Seine Ehefrau wohnte zusammen mit den sechs Kindern in der Türkei. Im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1983 machte der Beschwerdeführer Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung geltend.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) lehnte die Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen ab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit Schriftsatz vom 4.März 1985 hat der Beschwerdeführer beim Finanzgericht (FG) Prozeßkostenhilfe und die Beiordnung der Rechtsanwältin ... als Prozeßbevollmächtigte beantragt. Dem Antrag war eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers beigefügt. Zur Begründung der hinreichenden Erfolgsaussicht hat der Beschwerdeführer auf die "anliegende Klage" verwiesen. Der Antrag auf Prozeßkostenhilfe endet mit dem Hinweis: "Die Klage wird nur unter der Bedingung erhoben, daß dem Kläger Prozeßkostenhilfe bewilligt wird".

In dem genannten Klageschriftsatz heißt es eingangs: "Namens und in Vollmacht des Klägers erhebe ich unter der Bedingung, daß dem Kläger Prozeßkostenhilfe bewilligt wird, Klage und beantrage ...".

Den Antrag auf Prozeßkostenhilfe hat das FG mit der Begründung abgelehnt, die Klage biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Sie sei unter der Bedingung erhoben worden, daß dem Beschwerdeführer Prozeßkostenhilfe gewährt werde. Die bedingte Einlegung eines Rechtsmittels sei unzulässig.

Gegen die Ablehnung der Prozeßkostenhilfe hat der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Mit seiner Begründung wendet sich der Beschwerdeführer im wesentlichen gegen die Ansicht des FG, daß eine Wiedereinsetzung nicht zu gewähren sei.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß, ihm unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des FG Prozeßkostenhilfe zu gewähren und ihm seine Prozeßbevollmächtigte beizuordnen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, zur Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und zur Beiordnung der Prozeßbevollmächtigten.

Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter auf Antrag Prozeßkostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

1. Für die Entscheidung des Streitfalles kann dahingestellt bleiben, ob die Würdigung des FG zutrifft, daß der Beschwerdeführer mit seinem Klageschriftsatz bereits Klage erhoben hat, oder ob vielmehr die Klageschrift lediglich als unselbständige Anlage zum Prozeßkostenhilfegesuch für eine erst noch zu erhebende Klage anzusehen ist. Denn folgt man der Würdigung des FG, so wäre die Klage unter einer Bedingung erhoben (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 17.Januar 1980 5 C 32/79, BVerwGE 59, 302). Eine unter einer Bedingung erhobene Klage ist --wovon das FG zu Recht ausging-- unzulässig. Dies entspricht allgemeiner Ansicht (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 64 Anm.4 m.w.N.). Auch in diesem Fall wäre die Klage zwar als unwirksam, aber zugleich als Anlage zum Prozeßkostenhilfegesuch für eine (u.U. nach Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Klagefrist) noch zu erhebende Klage anzusehen (vgl. Beschluß des Oberverwaltungsgerichts --OVG-- Münster vom 5.Mai 1977 XV B 2/77, Die öffentliche Verwaltung 1977, 793; Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 8.Aufl., § 81 Anm.7). Das wäre im Streitfall für die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe nicht schädlich. Denn nach § 114 Abs.1 ZPO kann der Antrag auf Prozeßkostenhilfe schon vor Klageerhebung gestellt werden; er ist ohne Erhebung der Klage zulässig.

Für die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe ist aber --wegen des Erfordernisses der hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung-- Voraussetzung, daß überhaupt noch wirksam Klage erhoben werden kann. Der Beschwerdeführer hat bisher jedenfalls nicht rechtzeitig innerhalb der Frist des § 47 Abs.1 FGO wirksam Klage erhoben. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat deshalb nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn damit zu rechnen ist, daß dem Beschwerdeführer wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Dies ist hier der Fall, denn der Beschwerdeführer hat innerhalb der Klagefrist einen Antrag auf Prozeßkostenhilfe gestellt und diesem Antrag alle erforderlichen Erklärungen beigefügt.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes, daß ein Beteiligter, der wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage war, das gegebene Rechtsmittel rechtzeitig einzulegen, Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist alles Zumutbare tut, um das in seiner Mittellosigkeit bestehende Hindernis zu beheben. Das bedeutet, daß er bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist alle Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe zur Einlegung des Rechtsmittels schaffen muß. Hierzu gehört, daß innerhalb dieser Frist das Prozeßkostenhilfegesuch zusammen mit der Erklärung i.S. des § 117 Abs.2 bis 4 ZPO eingereicht wird, sofern der Antragsteller nicht auch hieran wiederum ohne sein Verschulden gehindert ist (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1.September 1982 I S 4/82, BFHE 136, 354, BStBl II 1982, 737, und vom 27.Juni 1983 II S 2/83, BFHE 138, 526, BStBl II 1983, 644; Beschlüsse des Bundessozialgerichts --BSG-- vom 13.April 1981 11 BA 46/81, Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 1981, 1052, und vom 30.April 1982 7 BH 10/82, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK-- Finanzgerichtsordnung, § 142, Rechtsspruch 30; Beschlüsse des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 9.Juli 1981 VII ZR 127/81, Versicherungsrecht --VersR-- 1981, 884, und vom 19.Juni 1985 IVa ZA 16/84, VersR 1985, 889).

Nichts anderes gilt nach Ule (Verwaltungsprozeßrecht, 8.Aufl., 1983, § 69 I) für die Klage zum FG. Für diese Auffassung spricht, daß bereits mit der Erhebung der Klage eine allgemeine Verfahrensgebühr entsteht. Erhebt ein mittelloser Kläger die Klage vor Bewilligung von Prozeßkostenhilfe, so muß er mit der endgültigen Erhebung dieser Gebühr rechnen, auch wenn sie erst nach Beendigung des Klageverfahrens und nicht bereits im Wege eines Prozeßkostenvorschusses fällig wird. Die Darstellung des FA, daß die Klage im Falle der Versagung der Prozeßkostenhilfe bis zur mündlichen Verhandlung wieder kostenfrei zurückgenommen werden könne, ein Kostenrisiko also nicht bestehe, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Abgesehen davon, daß damit dem Kläger das Risiko zugemutet wird, die rechtzeitige Klagerücknahme --aus welchen Gründen auch immer-- zu versäumen, entfällt die allgemeine Verfahrensgebühr nach Nr.1301 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 11 Abs.1 des Gerichtskostengesetzes --GKG--) nur im Falle einer Klagerücknahme vor Ablauf des Tages, an dem entweder eine Anordnung oder Ladung nach § 79 FGO unterschriftlich verfügt oder ein Beweisbeschluß unterschrieben ist, vor Erlaß eines Vorbescheides und vor Beginn des Tages, der für die mündliche Verhandlung vorgesehen war. Selbst wenn man der Ansicht sein sollte, daß das FG vor Entscheidung über den Prozeßkostenhilfeantrag die vorerwähnten Handlungen aufgrund der erhobenen Klage nicht vornehmen darf, eine gleichwohl entstandene Gebühr daher gemäß § 8 GKG unerhoben bleiben müßte, besteht ein Kostenrisiko jedenfalls dann, wenn der Antragsteller --wie hier-- durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten ist. Denn die dadurch bei Klageerhebung entstehenden Gebühren kommen im Falle einer Klagerücknahme nicht zum Wegfall. Diesem Kostenrisiko ist Rechnung zu tragen. Der Umstand, daß sich ein Kläger vor dem FG --im Gegensatz zum Rechtsmittelverfahren-- nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten lassen muß, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Dies gilt zumindest in Fällen wie hier, wo eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater erforderlich erscheint.

Der erkennende Senat weicht damit nicht von dem nicht zur Veröffentlichung bestimmten Beschluß des II.Senats vom 17.April 1985 II B 11/85 (BFH/NV 1985, 99) ab. Denn dieser Beschluß betraf --wie der II.Senat auf Anfrage bestätigt hat-- nur den Fall, daß ein Prozeßkostenhilfe begehrender Antragsteller weder durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten war, noch für die Durchführung des Klageverfahrens die Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten beantragt hatte, noch eine solche Beiordnung erforderlich war.

2. Die vom Beschwerdeführer beabsichtigte Rechtsverfolgung hat in der Sache hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Nach § 9 Abs.1 Nr.5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung entstehen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteil vom 16.Dezember 1983 VI R 3/81, BFHE 140, 241, BStBl II 1984, 521 m.w.N.) wird ein eigener Haushalt im Sinne dieser Vorschrift vom Arbeitnehmer unterhalten, wenn er eine Wohnung besitzt, deren Einrichtung seinen Lebensbedürfnissen entspricht und in der hauswirtschaftliches Leben herrscht, an dem sich der Arbeitnehmer sowohl persönlich als auch finanziell maßgeblich beteiligt. Die maßgebende persönliche Mitwirkung bemißt sich nach den Möglichkeiten, die dem Beschwerdeführer im Hinblick auf die langen Fahrzeiten und erheblichen Reisekosten zur Verfügung stehen (vgl. BFH-Urteil vom 2.September 1977 VI R 114/76, BFHE 123, 444, BStBl II 1978, 26). Im Hinblick auf die unbestrittenen Heimreisen Ende 1982/Anfang des Streitjahres 1983 und im Mai 1982 besteht hinreichende Aussicht dafür, daß das FG bei Durchführung des Klageverfahrens aufgrund dieser und anderer Indizien zu der Würdigung gelangen kann, daß sich der Beschwerdeführer tatsächlich im Streitjahr maßgeblich persönlich und finanziell am Familienhaushalt beteiligt hat. Eine maßgebliche finanzielle Beteiligung ist im allgemeinen nur dann zu verneinen, wenn die Beträge für die Unterhaltung des Haushalts erkennbar unzureichend sind (Urteil in BFHE 140, 241, BStBl II 1984, 521). Dabei ist zu beachten, daß Gastarbeiter bei Heimreisen Geldbeträge zum Unterhalt ihrer Angehörigen in bar mitzubringen pflegen. Die Berücksichtigung solcher Beträge unterliegt dabei --wie im Urteil in BFHE 140, 241, BStBl II 1984, 521 ausgeführt-- nicht dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung.

3. Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung hiernach hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und der Beschwerdeführer nach seinen Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozeßführung aufzubringen, war die Entscheidung der Vorinstanz aufzuheben und dem Beschwerdeführer Prozeßkostenhilfe zu gewähren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61872

BStBl II 1987, 573

BFHE 149, 409

BFHE 1987, 409

BB 1987, 2201

BB 1987, 2221-2221 (S)

DB 1987, 1771-1771 (S)

HFR 1987, 464-465 (ST)

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