Leitsatz (amtlich)

Bei der Kostenentscheidung im Fall der Erledigung des Rechtsstreits über die Aussetzung der Vollziehung nach § 138 Abs. 1 FGO ist auch zu berücksichtigen, ob der Antragsteller bei vernünftiger Würdigung des erkennbaren bisherigen Verhaltens des FA die durch die Anrufung des Gerichts entstandenen Kosten hätte vermeiden können. In besonderen Ausnahmefällen können dem Antragsteller allein die Kosten des Verfahrens auferlegt werden.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3, § 138 Abs. 1, § 11 Abs. 3; ZPO § 93

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) hatte mit ihrer gegen eine Nachforderung von Preisausgleich bzw. Einfuhrumsatzsteuer gerichteten Sprungklage beim FG zugleich die Aussetzung der Vollziehung des Nachforderungsbescheides des ZA beantragt. Die den Aussetzungsantrag enthaltende Klageschrift ist dem Antragsgegner und Beschwerdeführer (HZA) am 18. Dezember 1973 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 13. Dezember 1973 hatten die Prozeßbevollmächtigten der Antragstellerin unter Übersendung einer Kopie der Klageschrift beantragt, die zunächst bis zum 4. Januar 1974 erfolgte Stundung bis zur Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung auszudehnen. Beim HZA hatten sie keine Aussetzung der Vollziehung beantragt. Das HZA gewährte mit Verfügung vom 21. Dezember 1973 "widerruflich und ohne Sicherheitsleistung" die Aussetzung der Vollziehung und erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Die Antragstellerin teilte daraufhin dem FG folgendes mit: "Auch ich erkläre den Rechtsstreit (Antrag auf Aussetzung der Vollziehung) in der Hauptsache für erledigt, selbstverständlich unter dem Vorbehalt einer erneuten Antragstellung für den Fall, daß der Antragsgegner von dem Widerrufsvorbehalt in der Verfügung vom 21. Dezember 1973 Gebrauch machen sollte." Die Antragstellerin war der Meinung, daß das HZA weder mit dem angefochtenen Bescheid noch vor Erhebung der Klage die Aussetzung der Vollziehung angeordnet habe, sondern im Gegenteil Zahlungsfristen gesetzt worden seien und das HAZ daher Anlaß zur Stellung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung gegeben habe.

Das FG erlegte die Kosten jedem der Beteiligten zur Hälfte auf.

Es führte aus, die Erledigungserklärung der Antragstellerin sei trotz des Vorbehalts voll wirksam, da in ihr nicht zum Ausdruck komme, daß die Antragstellerin die Hauptsache nur dann für erledigt erklären wolle, falls sich das HZA verpflichte, von dem Widerrufsvorbehalt keinen Gebrauch zu machen. Die Antragstellerin habe sich mit ihrem Vorbehalt nur die rechtliche Möglichkeit offenhalten wollen, erforderlichenfalls einen zweiten Antrag in der gleichen Sache beim FG zu stellen. Eine Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 2 FGO scheide aus, weil sich das finanzgerichtliche Verfahren nicht dadurch erledigt habe, daß dem Antrag der Antragstellerin durch Rücknahme eines angefochtenen Verwaltungsaktes stattgegeben worden sei. Die Antragstellerin habe beim HZA keinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt, der zu einem ablehnenden Verwaltungsakt hätte führen können. Das HZA habe vielmehr von sich aus die Aussetzung der Vollziehung verfügt, nachdem es von dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim FG Kenntnis erlangt habe. Bei der Entscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO schloß sich das FG der Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) in dem Beschluß vom 10. November 1971 I B 14/70, BFHE 104, 39, BStBl II 1972, 222, StRK, Finanzgerichtsordnung, § 138, Rechtsspruch 48 an.

Mit der Beschwerde macht das HZA geltend, daß nach § 93 ZPO dem Kläger die Kosten zur Last fielen, wenn der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Klageerhebung Anlaß gegeben habe und den Anspruch sofort anerkenne. Diese Vorschrift sei nicht nur dem Grundgedanken nach, sondern als unmittelbar geltendes Recht anzuwenden, da kein Anlaß bestehe, von der grundsätzlichen Gleichberechtigung der Beteiligten in einem gerichtlichen Verfahren abzuweichen. Das HZA müsse wie jeder Beklagte oder Antragsgegner die Möglichkeit der Nachprüfung haben, ob es eine gerichtliche Entscheidung mit den entsprechenden Kostenfolgen anstrebe oder ob es dem Begehren des Steuerpflichtigen von sich aus nachkomme und damit die Belastung mit Verfahrenskosten vermeiden wolle.

Das ZA habe mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. Dezember 1973 ursprünglich eine Zahlungsfrist bis zum 15. Dezember 1973 gesetzt. Auf telefonische Bitte der Antragstellerin habe es die Zahlungsfrist ohne weiteres bis 4. Januar 1974 verlängert. Die Antragstellerin habe seinerzeit weder zum Ausdruck gebracht, sie werde gegen den Steuerbescheid Einspruch einlegen oder Sprungklage erheben, noch habe sie sich über die Erfolgsaussichten eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung erkundigt. Es sei bei ihr auch zu keiner Zeit der Eindruck erweckt worden, die Behörde werde einem Aussetzungsbegehren ganz oder teilweise ablehnend gegenüberstehen. Infolge der Inanspruchnahme des FG seien Kosten entstanden, die vermeidbar gewesen wären, wenn sich die Antragstellerin zuvor an die Behörde gewandt hätte.

Im Streitfall habe das FG unberücksichtigt gelassen, daß das ZA allein aufgrund eines mündlichen Begehrens die im Bescheid gesetzte Zahlungsfrist ohne Zögern um drei Wochen verlängert habe. Dadurch habe die Antragstellerin hinreichend Zeit gehabt, sich in Ruhe die gegen die geltend gemachte Steuerforderung zu ergreifenden Schritte zu überlegen, und insbesondere habe ihr aus diesem Entgegenkommen auch ersichtlich sein müssen, daß das ZA nicht die Absicht gehabt habe, ohne Rücksicht auf berechtigte Belange der Antragstellerin die Steuerforderung durchzusetzen. Bei vernünftiger Würdigung dieses Verhaltens des ZA habe für die Antragstellerin die Überlegung naheliegen müssen, daß sie auch bereits bei ihm, dem HZA, schnellen und umfassenden Rechtsschutz erhalten würde und für sie kein Anlaß bestanden habe, das FG unmittelbar anzurufen. In diesem Falle sei es unbillig, die Behörde auch nur teilweise an der Tragung der eigenen Aufwendungen der Antragstellerin zu beteiligen, obwohl sie nicht i. S. des § 135 Abs. 1 FGO unterlegen sei und auch keinen Anlaß dafür gegeben habe, daß der Antragstellerin durch die unnötige Inanspruchnahme des FG ausgelöste Kosten erwachsen seien.

Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet.

Zutreffend hat das FG die Erklärung der Antragstellerin als Erledigungserklärung angesehen und die Kostenentscheidung auf § 138 Abs. 1 FGO gestützt. Danach ist bei Erledigung der Hauptsache über die Kosten des Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden.

Wie der I. Senat des BFH in dem Beschluß I B 14/70 mit Recht entschieden hat, gibt das Gesetz im Interesse der Arbeitsersparnis für die nach erledigter Hauptsache allein noch zu treffende Kostenentscheidung dem Gericht einen erheblichen Entscheidungsspielraum, der die Berücksichtigung aller unter dem Gesichtspunkt von Recht und Billigkeit möglicher Gesichtspunkte gestattet. Nach dem Gesetz muß allerdings der bisherige Sach- und Streitstand, d. h. der vermutliche Ausgang des Rechtsstreits, berücksichtigt werden. Ob und inwieweit daneben § 93 ZPO, der bestimmt, daß der obsiegenden Partei die Kosten aufzuerlegen sind, wenn der Gegner keinen Anlaß zu dem Streit gegeben hat, unmittelbar oder mittelbar anwendbar ist, ist unter den einzelnen Senaten des BFH streitig (vgl. die Angaben in dem Beschluß I B 14/70).

Der erkennende Senat hat, wie auch der I. Senat in dem genannten Beschluß, keinen Zweifel, daß jedenfalls im Rahmen der nach dem Rechtsempfinden aller gerecht und billig Denkenden zu treffenden Entscheidung auch der Gedanke der Veranlassung in der Regel eine Rolle spielen darf oder sogar muß. Das Gesetz hat selbst diesem Gedanken in § 138 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 137 FGO, der auch im Rahmen des § 138 Abs. 1 FGO gilt (BFH-Beschluß vom 1. April 1971 I B 37, 39/70, BFHE 102, 30, BStBl II 1971, 529), dadurch Rechnung getragen, daß dem obsiegenden Beteiligten alle Kosten auferlegt werden müssen, die durch schuldhaft verspätetes Vorbringen oder sonstige verschuldete Umstände verursacht sind. Dabei kommt auch der allgemeine Gedanke zum Ausdruck, daß der Prozeßbeteiligte alles tun muß, um sein Recht mit möglichst geringem Aufwand zu verfechten und unnötige Kosten zu vermeiden (vgl. v. Wallis/List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 137 FGO, Anm. 2).

Der II. Senat des BFH meint in dem nicht veröffentlichten Beschluß vom 17. März 1970 II B 26/67, der Rechtsgedanke der Veranlassung (außer im Falle des § 137 FGO) dürfe überhaupt nicht berücksichtigt werden, wenn trotz des Abbruchs des Verfahrens in der Hauptsache die eindeutige Aussage möglich sei, die Behörde wäre unterlegen, falls das Verfahren fortgesetzt worden wäre. Dem würde der erkennende Senat in dieser Allgemeinheit wohl kaum zustimmen können. Doch braucht insoweit hier nicht abschließend entschieden zu werden. Denn im vorliegenden Falle kann die Aussage, die Behörde hätte eindeutig in der Hauptsache unterliegen müssen, nicht ohne die nach dem Sinn des Verfahrens des § 138 FGO nicht gebotenen oder sogar verbotenen weiteren Erhebungen in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht getroffen werden. Insofern ist der erkennende Senat also an die Entscheidung des II. Senats nicht gebunden.

Ist auch in der Regel der Sach- und Streitstand des Aussetzungsverfahrens zu berücksichtigen und kann dabei grundsätzlich auch aus dem Umstand, daß die Behörde die Aussetzung verfügt hat, geschlossen werden, daß ernste Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestanden (vgl. den BFH-Beschluß I B 14/70), so gibt es nach Auffassung des erkennenden Senats doch Fälle, in denen die nach § 138 Abs. 1 FGO zu berücksichtigenden Billigkeitsgesichtspunkte so stark gegen den Antragsteller sprechen, daß trotz der durch die Behörde alsbald verfügten und auf ernstliche Zweifel hindeutenden Aussetzung der Verwaltung keine Kosten aufzuerlegen sind. Dem steht nicht entgegen, daß es dem Antragsteller grundsätzlich freisteht, ob er sich zunächst an die Verwaltung oder unmittelbar an das Gericht wendet und ihm nicht entgegengehalten werden kann, für einen Antrag beim Gericht liege kein Rechtsschutzbedürfnis vor. Denn trotz dieser Befugnis können ihm u. U. Kosten auferlegt werden.

Die Möglichkeit, daß dem Antragsteller die Kosten des Aussetzungsverfahrens in vollem Umfange auferlegt werden können, hat der I. Senat in dem Beschluß I B 14/70 nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Das muß insbesondere deshalb angenommen werden, weil er bei seiner Entscheidung eindeutig auf den jeweiligen Einzelfall abgestellt und dem Gericht einen erheblichen Ermessensspielraum zugebilligt hat, der in einer "Rechtsfrage" (vgl. § 11 Abs. 3 FGO) divergierende Entscheidungen verschiedener Senate des BFH nahezu ausschließt. Auch insoweit ist also der erkennende Senat nicht gebunden.

Hier liegt ein Fall vor, in dem es unbillig wäre, die Behörde auch nur mit einem Teil der Kosten zu belasten. Für die Antragstellerin bestand nach dem für sie erkennbaren Verhalten des ZA bzw. HZA bei vernünftiger Würdigung kein Anlaß, das FG anzurufen, um die Aussetzung der Vollziehung zu erreichen. Das ZA hatte nach dem unwidersprochenen und durch die Akten der Behörde belegten Vortrag des HZA auf telefonische Bitte die ursprünglich auf dem 15. Dezember 1973 festgesetzte Zahlungsfrist am 11. Dezember 1973, also noch vor der Klageerhebung, ohne weiteres um drei Wochen bis zum 4. Januar 1974 verlängert, woraus die Antragstellerin schließen konnte, daß das ZA auf einer sofortigen Vollziehung nicht bestehen würde. Die Antragstellerin mußte somit im Zeitpunkt ihres beim FG am 14. Dezember 1973 gestellten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung nicht mit Vollziehungsmaßnahmen rechnen. Andererseits war dem HZA in diesem Zeitpunkt nicht bekannt, daß die Antragstellerin überhaupt Einspruch bzw. Sprungklage erheben würde, so daß auch eine Aussetzung der Vollziehung wegen Fehlens eines Rechtsbehelfs von Amts wegen nicht angeordnet werden konnte. Statt den naheliegenden Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim. HZA zu stellen oder eine entsprechende Anfrage an das HZA zu richten oder zumindest bei der Bitte um Verlängerung der Zahlungsfrist die Möglichkeit der Anfechtung des Bescheids und der Stellung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung auszudrücken, hat die Antragstellerin bereits am 13. Dezember 1974 die Klageschrift mit dem Aussetzungsantrag verfaßt.

Unter diesen Umständen wäre es mit dem Gerechtigkeitsempfinden nicht vereinbar, dem HZA auch nur einen Teil der Kosten aufzubürden.

Das FG hat daher das Ermessen verletzt, und die Vorentscheidung war dahin abzuändern, daß die Kosten der Antragstellerin in voller Höhe auferlegt werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71603

BStBl II 1976, 381

BFHE 1976, 139

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