Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozeßkostenhilfe: neues Vorbringen im Beschwerdeverfahren

 

Leitsatz (NV)

1. Dem Antragsteller kann Prozeßkostenhilfe für das Klageverfahren vor dem FG auch dann gewährt werden, wenn er den Sachverhalt, der die Erfolgsaussicht für die Klage begründet, erstmals im Beschwerdeverfahren gegen die die Prozeßkostenhilfe ablehnende Entscheidung des FG vorträgt und glaubhaft macht.

2. Zur Lohnsteuerhaftung bei Nichtauszahlung der Löhne.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 38, 69; EStG § 38 Abs. 2 S. 2; FGO § 142; ZPO §§ 114, 117

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) war Geschäftsführer einer Baugesellschaft mbH (GmbH), die ihre Zahlungen eingestellt hat und deren Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist. Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) nahm ihn durch Haftungsbescheid wegen angemeldeter, aber nicht an das FA abgeführter Lohnsteuer und Kirchensteuer der GmbH für den Zeitraum August 1981 bis Februar 1982, wegen Lohnsteuern aufgrund einer Außenprüfung (1 562,50 DM) und wegen Säumniszuschlägen gemäß § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) in Höhe von insgesamt 51 488,51 DM in Anspruch.

Mit der nach erfolglosem Einspruch gegen den Haftungsbescheid und erfolgloser Beschwerde gegen die Zahlungsaufforderung erhobenen Klage beantragt der Antragsteller, den Haftungsbescheid, die Einspruchsentscheidung des FA und die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) aufzuheben. Zur Begründung der Klage trug er im wesentlichen vor, er sei mangels finanzieller Mittel nicht in der Lage gewesen, die Steuern an das FA abzuführen. Ferner beantragte der Antragsteller, ihm unter Beiordnung seiner Prozeßbevollmächtigten Prozeßkostenhilfe für das Klageverfahren zu gewähren.

Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe ab. Zur Begründung führte es aus, die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg, weil der Antragsteller seine steuerlichen Verpflichtungen als Geschäftsführer der GmbH mindestens grob fahrlässig verletzt habe. Er habe selbst vorgetragen, daß er seit Mitte 1981 keinerlei Barmittel oder Kredite gehabt habe, weil die Forderungen der Gesellschaft entweder gepfändet gewesen oder die Geldeingänge wegen der Zahlungsunfähigkeit der Kunden ausgeblieben seien. Unter diesen Umständen habe er die Löhne nur noch in dem Umfang auszahlen dürfen, daß die insgesamt vorhandenen Mittel auch für die Abführung der Steuern ausgereicht hätten. Angesichts der hohen Lohnzahlungen sei es auch nicht glaubhaft, daß der Antragsteller nicht in der Lage gewesen sei, den geringen Betrag von 1 562,50 DM nach der Lohnsteuerprüfung zu entrichten.

Mit der Beschwerde gegen die Ablehnung seines Antrags auf Prozeßkostenhilfe trägt der Antragsteller vor, der Haftungsbescheid sei deshalb fehlerhaft, weil er auf fehlerhaften Lohnsteueranmeldungen beruhe. In diesen seien für August 1981 bis Februar 1982 irrtümlich Steuern angemeldet worden, obwohl in dieser Zeit kein Lohn mehr an die Arbeitnehmer der GmbH gezahlt worden sei. Der Antragsteller hat eine von einer Mitarbeiterin eines Steuerbüros anhand der Personal- und Lohnunterlagen der GmbH gefertigte Aufstellung vorgelegt über die Arbeitnehmer, die im streitigen Haftungszeitraum keinen Lohn mehr erhalten haben, und über die darauf entfallenden Steuerbeträge. In den Fällen von acht der insgesamt in der Aufstellung benannten 29 Arbeitnehmer hat der Antragsteller Fotokopien von Mahnbescheiden, Klageschriften und Versäumnisurteilen vorgelegt, aus denen sich die gerichtliche Geltendmachung von Lohnansprüchen gegen die GmbH ergibt.

Das FA bezweifelt die Richtigkeit des Vorbringens des Antragstellers im Beschwerdeverfahren, weil dieser weder im Rahmen des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens noch während der Lohnsteueraußenprüfung, die die Lohnzahlungszeiträume bis Oktober 1981 umfaßt habe, die Behauptung aufgestellt habe, daß Löhne nicht gezahlt worden seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, ist begründet.

Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, wenn der Kläger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und wenn ferner die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Zöller/Schneider, Zivilprozeßordnung, 14. Aufl., § 114 Anm. 30; siehe hierzu auch Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 44. Aufl., § 114 Anm. 2 B).

Im Streitfall hat die Klage des Antragstellers Erfolg, soweit im Haftungszeitraum von der GmbH keine Löhne mehr an die Arbeitnehmer ausgezahlt worden sind und die in den Lohnsteueranmeldungen erklärten Steuerbeträge auf geschuldete, aber nicht entrichtete Arbeitslöhne entfallen. Denn die der Haftung zugrunde liegende Lohnsteuerschuld entsteht erst in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt (§ 38 AO 1977, § 38 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Nach dem Sachvortrag des Antragstellers erscheint die Annahme möglich, daß die Löhne, für die innerhalb des Haftungszeitraums August 1981 bis Februar 1982 dem FA Steuerabzugsbeträge angemeldet worden sind, jedenfalls teilweise nicht an die Arbeitnehmer der GmbH ausgezahlt worden sind. Der Antragsteller war rechtlich nicht gehindert, diese Sachverhaltsdarstellung erstmals im Beschwerdeverfahren gegen die Versagung der Prozeßkostenhilfe vorzubringen, weil seine Klage noch beim FG anhängig ist und bis zu dessen Entscheidung auch neues tatsächliches Vorbringen sowohl für das Klageverfahren als auch für das Verfahren über die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe berücksichtigt werden muß (vgl. §§ 76, 96, 118 Abs. 2 FGO).

Soweit der Antragsteller in den Fällen von acht Arbeitnehmern fotokopierte Unterlagen über die gerichtliche Geltendmachung von Lohnansprüchen gegenüber der GmbH (Mahnbescheide, Klageschriften, Versäumnisurteile), die die Monate innerhalb des Haftungszeitraums betreffen, vorgelegt hat, hat er seine Behauptung über die mangelnde Lohnauszahlung und die Nichtentstehung der Haftungsschuld bereits glaubhaft gemacht. Darüber hinaus erscheint es nicht als unwahrscheinlich, daß sich auch hinsichtlich der übrigen Arbeitnehmer, die in der von einer sachkundigen Person anhand der Lohnunterlagen der GmbH erstellten Aufstellung benannt sind, die mangelnde Auszahlung des geschuldeten Arbeitslohns beweisen läßt. Es muß deshalb von der Möglichkeit ausgegangen werden, daß sich die Sachverhaltsdarstellung des Antragstellers - gegebenenfalls nach weiteren Sachverhaltsermittlungen - insgesamt als zutreffend erweist.

Die die beantragte Prozeßkostenhilfe ablehnende Entscheidung des FG erweist sich demnach als fehlerhaft, weil das FG - nach seiner damaligen Kenntnis des Sachverhalts allerdings zu Recht - die Möglichkeit der Nichtauszahlung der Löhne, die den abgegebenen Lohnsteueranmeldungen zugrunde lagen, nicht berücksichtigt hat. Der Senat hält es für angebracht, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Sache an das FG zurückzuverweisen (§§ 132, 155 FGO i.V.m. § 575 ZPO; vgl. auch Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Februar 1967 IV B 18/66, BFHE 87, 502, BStBl III 1967, 181, und für das Prozeßkostenhilfe - Beschwerdeverfahren: vom 11. Oktober 1985 III B 36/84, BFH/NV 1986, 357). Das FG wird darüber zu befinden haben, ob auch die übrigen für die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe erforderlichen Voraussetzungen des § 114 ZPO im Streitfall erfüllt sind. Dabei hat es zu berücksichtigen, daß die ihm vorliegende Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers (§ 117 Abs. 2 ZPO) vom 31. Januar 1983 stammt und somit für die gegenwärtige Situation nicht mehr aussagekräftig erscheint.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren gemäß § 137 FGO dem Antragsteller aufzuerlegen, denn der Erfolg der Beschwerde beruhte auf seinem Vorbringen über die Nichtauszahlung der Löhne, das er bereits während des finanzgerichtlichen Verfahrens hätte geltend machen können und sollen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414772

BFH/NV 1987, 390

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