Rz. 7

Insbesondere für die im Umlaufvermögen zu erfassenden Gütermengen bedeutet der Grundsatz der Einzelbewertung eine extrem arbeitsaufwendige Einzelidentifikation und -bewertung aller Vermögensgegenstände. Es stellt sich daher die Frage, ob die Ansprüche an die "Richtigkeit", "Klarheit" und "Vollständigkeit" des Jahresabschlusses eine absolute Geltung des Einzelbewertungsprinzips verlangen.

 

Rz. 8

Als ein Rahmengrundsatz der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung wurde der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit postuliert. Dieser Grundsatz fordert, dass auch für das Rechnungswesen und die aus diesem – insbesondere aus dem Jahresabschluss – zu gewinnenden Informationen dem Wirtschaftlichkeitsprinzip unterliegen müssen. Bei wachsenden Ansprüchen an das Rechnungswesen "wachsen die Kosten für die Erstellung des Jahresabschlusses von einem bestimmten Punkt an stärker als der Informationsertrag, so daß der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit verletzt würde".[1]

Im Gegensatz zu den IFRS kennt das HGB keinen normierten Wirtschaftlichkeitsgrundsatz. Lediglich über die Anforderung, die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung einzuhalten (§ 243 Abs. 1 HGB), kann der Wirtschaftlichkeitsaspekt in den handelsrechtlichen Jahresabschluss einfließen. Dies sieht offensichtlich auch der Gesetzgeber so, wenn er in der Begründung zum Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz die "Bildung eines Sammelpostens i. S. d. § 6 Abs. 2a EStG – vor dem Hintergrund der damit verbundenen wirtschaftlichen Vereinfachungen – für Zwecke der handelsrechtlichen Rechnungslegung" mit Verweis auf § 252 Abs. 2 HGB ausnahmsweise als zulässig ansieht.[2]

 

Rz. 9

Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit ist weder bezüglich des Informationsnutzens noch meist hinsichtlich der Kosten quantifizierbar, weshalb er oft begrifflich durch den Grundsatz der Wesentlichkeit ersetzt wird. Dieser aus dem angelsächsischen Grundsatz der "Materiality" abgeleitete Grundsatz besagt, dass alle für den Adressaten des Jahresabschlusses wesentlichen Informationen zu berücksichtigen und offenzulegen sind. Auch in dieser Form ist dieser Rahmengrundsatz wenig operational, lässt sich doch nicht mit ausreichender Sicherheit bestimmen, welche Informationen für einen potenziellen Jahresabschlussadressaten wesentlich sind. Auch die in der Literatur genannten quantitativen Grenzwerte für die Wesentlichkeit[3] haben mehr den Charakter einer groben Orientierungshilfe.

 

Rz. 10

Trotz dieser Schwierigkeiten stellt der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit bzw. der Wesentlichkeit eine wichtige Grenze für überzogene Ansprüche an Rechnungswesen und Jahresabschluss dar. Dem Bilanzierenden wird durch diesen Grundsatz die Möglichkeit eröffnet, dort in vorsichtiger Weise von Bilanzierungsgrundsätzen abzuweichen, wo diese Abweichung keine oder nur eine unwesentliche Beeinflussung des Informationsgehalts des Jahresabschlusses mit sich bringt.

[1] Baetge, in Kosiol/Chmielewicz/Schweitzer, Handwörterbuch des Rechnungswesens, 2. Aufl. 1981, Rz. 712.
[2] Vgl. Tanski, Rechnungslegung und Bilanztheorie, 2013, S. 143 f., 146 f.
[3] Vgl. Tanski, in Deutsches Institut für Interne Revision, Interne Revision aktuell, 2008.

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