Leitsatz

1. Hat ein Steuerpflichtiger von einem Jobcenter Leistungen nach dem SGB II bezogen und erstattet die DRV infolge der späteren Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente dem Jobcenter diese Leistungen, gilt sein Rentenanspruch insoweit gemäß § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt.

2. Die Erwerbsminderungsrente unterliegt bereits im Zeitpunkt des Zuflusses der Leistungen nach dem SGB II im Umfang der Erfüllungsfiktion mit ihrem Besteuerungsanteil der Einkommensteuer (Bestätigung des Senatsurteils vom 9. Dezember 2015, X R 30/14, BFHE 252, 134, BStBl II 2016, 624).

3. Die Erfüllungsfiktion tritt auch dann ein, wenn die Sozialleistungen nach dem SGB II ggf. zu Unrecht gewährt worden sein sollten, sofern die Leistungen auf wirksamen und nicht offensichtlich fehlerhaften Bescheiden des Sozialleistungsträgers beruhen und tatsächlich eine Erstattung zwischen den beteiligten Sozialleistungsträgern gemäß §§ 102ff. SGB X vorgenommen wurde.

 

Normenkette

§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa, § 11 Abs. 1 EStG, § 107 Abs. 1, § 103 SGB X

 

Sachverhalt

Urteil nachträglich wieder aufgehoben

Aus Gründen der Rechtsklarheit wurde dieses Urteil durch Beschluss vom 10.10.2018 X R 18/16 aufgehoben.

Die Klägerin erhielt ab Januar 2008 vom Jobcenter Leistungen nach dem SGB II. Im Mai 2010 bewilligte ihr die DRV rückwirkend ab Januar 2008 eine befristete Erwerbsminderungsrente. Den Nachzahlungsbetrag für die bereits abgelaufenen Bewilligungsmonate – bis auf einen Restbetrag i.H.v. 900 EUR – erstattete die DRV gemäß § 103 SGB X dem Jobcenter. Hiervon entfielen 11.870 EUR auf die Leistungen des Jobcenters im Streitjahr 2008. Das FA besteuerte diesen Betrag gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG. Die Klägerin meinte, ihr seien die steuerpflichtigen Renteneinnahmen frühestens im Jahr 2010 zugeflossen. Wegen einer Abfindung, die sie erhalten habe, hätte das Jobcenter zudem die im Streitjahr 2008 gewährten Leistungen nach dem SGB II zurückverlangen können. § 103 und § 107 SGB X seien bei zu Unrecht gewährten Sozialleistungen nicht anwendbar. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7.4.2016, 9 K 9257/13, Haufe-Index 9511754, EFG 2016, 1245).

 

Entscheidung

Die Revision war aus den unter den Praxis-Hinweisen aufgezeigten Gründen unbegründet.

 

Hinweis

1. Im Streitfall erfuhr der X. Senat erst nach Zustellung des Urteils an die Beteiligten und nach dessen Veröffentlichung auf der Homepage des BFH, dass über das Vermögen der Revisionsklägerin nach dem Ergehen des Urteils, aber noch vor dessen Zustellung das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Die Entscheidung war daher nur eine innere Angelegenheit des Gerichts, die es aus Gründen der Rechtsklarheit aufzuheben galt. Eine auch im Schrifttum befürwortete analoge Anwendung des § 249 Abs. 3 ZPO auf das Revisionsverfahren vor dem BFH lehnte der X. Senat ab.

2. Auch wenn das Urteil aufgehoben wurde, dürften die der Fachöffentlichkeit bekannt gewordenen Gründe für die Rechtsanwendung von Bedeutung sein, da sie die derzeitige Rechtsauffassung des X. Senats widerspiegeln. Deshalb werden die wichtigsten Aspekte im Folgenden dargestellt:

a) In der Praxis kommt es häufig vor, dass Berechtigte zunächst eine bestimmte Sozialleistung, wie z.B. Krankengeld oder eine Leistung nach dem SGB II, erhalten und später rückwirkend eine Erwerbsminderungsrente. Diese nachträglichen Renten werden von dem Rentenversicherungsträger jedoch nicht dem Versicherten ausgezahlt, vielmehr hat der vorleistende Versicherungsträger ­gemäß der §§ 102 ff. SGB X einen Erstattungsan­spruch. Der Berechtigte erhält nur noch den überschießenden Betrag; nach § 107 Abs. 1 SGB X gilt sein Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger, soweit ein solcher Erstattungsanspruch besteht, als erfüllt. Hierdurch wird eine Rückabwicklung im Verhältnis zwischen vorleistendem Träger (z.B. Jobcenter) und Leistungsberechtigtem sowie ein Nachholen der Leistung im Verhältnis zwischen leistungspflichtigem Träger (z.B. DRV) und Leistungsberechtigtem verhindert.

b) Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist in diesem Fall für die steuerliche Qualifizierung der von einem Sozialleistungsträger gewährten Leistung der – endgültige – sozialversicherungsrechtliche Rechtsgrund für das "Behaltendürfen" der Leistungen entscheidend (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 9.12.2015, X R 30/14, BFH/NV 2016, 643, BFH/PR 2016, 130, BStBl II 2016, 624). Maßgeblich hierfür ist, dass durch die Zugrundelegung der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X der steuerbare Anteil der Rentenzahlungen in dem VZ erfasst wird, in dem die Leistungen dem Steuerpflichtigen tatsächlich zugeflossen sind und seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöht haben.

c) Diese Rechtsprechung gilt auch dann, wenn die ursprüngliche Leistungsgewährung ggf. materiell rechtswidrig gewesen sein könnte. Entscheidend ist nur, dass sowohl die ursprünglich als auch ­die endgültig gewährten Leistungen auf wirksa­men Bescheiden der Sozialleistungsträger beruhen und tatsächlich...

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