Rz. 29

Als ersten Tatbestand für eine Beherrschungsmöglichkeit und Hauptanwendungsfall in der Praxis sieht der Gesetzgeber die dem MU zustehende Mehrheit der Stimmrechte eines anderen Unt an, wobei die Berechnung der Stimmrechtsmehrheit in § 290 Abs. 3 und 4 HGB konkretisiert wird (Rz 55 ff.).

 

Rz. 30

In Deutschland fallen die Stimmrechtsanteile häufig mit den Kapitalanteilen zusammen, doch sind Abweichungen bis hin zu dem Fall denkbar, dass Stimmrechte völlig von einer Gesellschafterstellung abgekoppelt sind.[1] Möglich sind stimmrechtslose Vorzugsaktien; die Ausgabe von Mehrfachstimmrechtsaktien ist dagegen nach § 12 Abs. 2 AktG unzulässig. Im Ausland sind jedoch derartige Kombinationen denkbar, sodass es dort ggf. möglich ist, Stimmrechte an einem ausländischen TU zu halten, ohne dass eine Gesellschafterstellung besteht. Der Gesetzgeber hat auf das Erfordernis einer Gesellschafterstellung verzichtet, sodass derartige Abweichungen vom deutschen Recht keine Auswirkungen auf die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung haben.

 

Rz. 31

Strittig ist, wie die Stimmrechtsmehrheit zu interpretieren ist. Nach h. M. war anders als bei den IFRS bislang von einer rechtlich bestehenden Stimmrechtsmehrheit auszugehen. Eine Mehrheit konnte nicht damit begründet werden, dass auf der HV regelmäßig weniger als 100 % der Stimmrechte vertreten sind und demnach für die Beherrschung bereits ein Anteil von unter 50 % ausreichen kann. In der Gesetzesbegründung weist der Gesetzgeber nun aber explizit darauf hin, dass sehr wohl bei lediglich bestehenden Präsenzmehrheiten die Notwendigkeit einer Konsolidierung zu prüfen ist, wenn ein möglicher Einfluss für eine gewisse Dauer und nicht nur vorübergehend ausgeübt werden kann.[2]

 
Praxis-Beispiel

Auf der HV der A AG sind in den letzten Jahren nicht mehr als 80 % der Stimmrechte vertreten gewesen. Hält die M AG 45 % an der A AG, hat sie zwar keine rechtliche, jedoch eine faktische Mehrheit. Die faktische Mehrheit reicht für die Beherrschung der A AG aus.

 

Rz. 32

Diese faktische Mehrheit ist somit ausreichend, wenn die Dauerhaftigkeit dafür nachgewiesen werden kann. Allerdings wird unterschieden. Die h. M. verlangt auch in Übereinstimmung mit DRS 19.22 eine rechtliche Absicherung der Stimmrechtsmehrheit für das Beherrschungskriterium des § 290 Abs. 2 Nr. 1 HGB,[3] die für sonstige Beherrschungssachverhalte nach § 290 Abs. 1 HGB aber wieder entfallen sollen (DRS 19.69).[4] Diese Auslegung ist erheblich ermessensbehaftet.

 

Rz. 33

Für die Beherrschungsmöglichkeit kann eine formale Stimmrechtsmehrheit (d. h. mehr als 50 %), wie es aus dem Gesetzestext zunächst zu entnehmen ist (… liegt stets vor …[5]), m. E. alleine nicht für die Klassifikation eines TU ausreichen;[6] zu fordern ist das Vorliegen einer materiellen Stimmrechtsmehrheit, mit der auch tatsächlich alle Entscheidungen im TU durchgesetzt werden können.[7] Auch hier sieht der überwiegende Teil der Literatur in Übereinstimmung mit DRS 19 den komplizierteren Weg einer formalen Stimmrechtsmehrheit zunächst als ausreichend an. Bei Vorliegen schuldrechtlicher Vereinbarungen zur Einschränkung von Stimmrechten wird erneut über § 296 Abs. 1 Nr. 1 HGB ein Einbeziehungswahlrecht konstatiert (DRS 19.23).[8] Letzteres löst jedoch wieder Angabepflichten nach § 296 Abs. 3 HGB sowie einen m. E. völlig unnötigen Ermessensspielraum aus.

 
Praxis-Beispiel

In der Satzung der B GmbH wird für wesentliche Unternehmensentscheidungen eine qualifizierte Mehrheit von 75 % gefordert. Die A AG hat einen Anteil von 60 % der Stimmrechte:

Formal besteht eine Stimmrechtsmehrheit, unter dem Aspekt der Beherrschungsmöglichkeit reicht diese jedoch nicht aus, d. h., es ist eine materielle Stimmrechtsmehrheit zu fordern, die in diesem Fall bei mind. 75 % liegt.

§ 296 Abs. 1 Nr. 1 HGB erlaubt nun in diesen Fällen widersinnigerweise dennoch die Einbeziehung in den Konsolidierungskreis.

 

Rz. 34

Durch die Notwendigkeit einer rechtlich formalen Auslegung reicht eine einfache Stimmrechtsmehrheit für die Klassifikation als TU nach h. M. auch dann aus, wenn die Satzung für wesentliche Entscheidungen höhere Zustimmungsquoten vorschreibt.[9] Zudem sind Stimmbindungsverträge oder unwiderrufliche Stimmrechtsvollmachten bei der Berechnung der Stimmrechtsmehrheit nicht zu berücksichtigen (DRS 19.23).[10] Fehlt es jedoch an dem Stimmrecht aufgrund von dinglich wirkenden Ausübungsbeschränkungen, wie etwa eine gesetzliche Beschränkung nach § 328 AktG oder statutarische Beschränkungen, müssen diese bei der Ermittlung der Stimmrechtszahl beachtet werden (DRS 19.24).

[1] Vgl. ADS, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995–2001, § 290 HGB Rz 43.
[2] Vgl. BT-Drs. 16/12407 v. 24.3.2009 S. 117.
[3] Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, 14. Aufl. 2021, S. 92.
[4] Vgl. von Keitz, in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, § 290 HGB Rz 58, Stand: 1/2022.
[5] Küting/Seel, DStR 2009, Beilage. 26/2009, S. 40, kommentieren treffend: "Hieran wird deutlich, dass der im letzten Stadium des parlamentarischen...

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