Rz. 136

Zur Auswahl des Abzinsungssatzes ist die Restlaufzeit der zurückzustellenden ungewissen Verbindlichkeit zu ermitteln. Das ist der gesamte Zeitraum vom Abschlussstichtag bis zum Erfüllungszeitpunkt der passivierten Schuld.[1]

 
Praxis-Beispiel

Eine zum 31.12.01 bilanzierte ungewisse Verbindlichkeit ist am 31.12.02 (Fall 1) bzw. am 31.12.03 (Fall 2) zu begleichen.

In Fall 1 besteht keine Verpflichtung zur Abzinsung der Rückstellung, da die Restlaufzeit nicht mehr als ein Jahr beträgt. In Fall 2 muss die Abzinsung über zwei Jahre erfolgen. Eine Kürzung des Diskontierungszeitraums um die von einer Abzinsung ausgenommene Zeitspanne ist nicht zulässig.

Steht der Erfüllungszeitpunkt nicht fest (z. B. bei bestrittenen Schadensersatzverpflichtungen oder Strafgeldern), ist die Restlaufzeit der ungewissen Verbindlichkeit zu schätzen. Das eröffnet dem Bilanzierenden einen Beurteilungsspielraum. Bei der Schätzung der ungewissen Restlaufzeit ist – wie bei der Bewertung von Rückstellungen allgemein (Rz 53) – das Vorsichtsprinzip zu berücksichtigen. Dazu ist als Erfüllungszeitpunkt jener Tag anzunehmen, zu dem das Unt frühestens in Anspruch genommen werden kann. Die Schätzung ist zu jedem Abschlussstichtag zu überprüfen.

 

Praxis-Beispiel[2]

U ist auf Schadensersatz i. H. v. 200 Mio. GE verklagt worden. Da die Anwälte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Bestehen des geltend gemachten Anspruchs ausgehen, sieht sich U zur Bildung einer Rückstellung veranlasst. Ein Urteil in dem Prozess erwarten die Anwälte frühestens in einem Jahr. Schöpft U den Rechtsweg vollends aus, ist in drei bis vier Jahren mit dem letztinstanzlichen Urteil zu rechnen. Von einer Verzinsung des Schadensersatzanspruchs sei aus Vereinfachungsgründen abgesehen.

Die Rückstellung ist nicht abzuzinsen. Zur Ermittlung der Restlaufzeit ist auf den Tag abzustellen, zu dem das Unt bei üblichem Gang der Dinge frühestens in Anspruch genommen werden wird. Die Möglichkeit, Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Urteil einzulegen, bleibt unberücksichtigt, solange sich dieser Fortgang der Streitsache nicht klar abzeichnet. Diese Auslegung der Abzinsungsregelung korrespondiert mit der Vorgabe des Gesetzgebers, bei der Schätzung künftiger Änderungen des Erfüllungsbetrags in der Zukunft liegende singuläre Ereignisse nicht in Betracht zu ziehen.[3]

 

Rz. 137

Das Gesetz regelt nicht, wie Schulden abzuzinsen sind, die über einen längeren Zeitraum hinweg erfüllt werden (z. B. Aufbewahrungspflichten, Entsorgungs-, Abbruch-, Rekultivierungs- und Wiederherstellungsverpflichtungen, Verpflichtungsüberschüsse aus Dauerschuldverhältnissen). Denkbar wäre, für jeden Teilerfüllungszeitpunkt die anfallenden Ausgaben mit dem der jeweiligen Restlaufzeit entsprechenden Zinssatz einzeln abzuzinsen (tranchenweise Abzinsung der Jahresscheiben).[4] Diese Verfahrensweise ist allerdings bei einer hohen Anzahl von Erfüllungszeitpunkten nur eingeschränkt praktikabel, wie das Beispiel von Altersversorgungsverpflichtungen zeigt. Näher liegt die Wahl eines einheitlichen Diskontierungszinssatzes für alle Ausgabenbeträge. Das setzt die Bestimmung einer einheitlichen Restlaufzeit der ungewissen Verbindlichkeit voraus. Zu ihrer Ermittlung könnte abgestellt werden auf

  1. den Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllung entsprechend der steuerrechtlichen Regelung (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG);
  2. den Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllung plus halbe Erfüllungsdauer;
  3. die durchschnittliche Kapitalbindungsdauer;
  4. die Duration (gewogener Mittelwert der Zeitpunkte, zu denen die Zahlungen für die Erfüllung der Verbindlichkeit anfallen).
 
Praxis-Beispiel

Für die Verpflichtung, ein ausgebeutetes Grundstück zu rekultivieren, hat U am 31.12.01 eine Rückstellung zu bilden. Die Rekultivierungsmaßnahmen sollen am 1.1.04 beginnen und sich über drei Jahre erstrecken. Die undiskontierten Aufwendungen für die Wiederherstellung des Grundstücks schätzt U wie folgt:

 
  • Geschäftsjahr 04:
400.000 GE
  • Geschäftsjahr 05:
400.000 GE
  • Geschäftsjahr 06:
800.000 GE

Aus Vereinfachungsgründen sei von einem Anfall der Aufwendungen jeweils zur Jahresmitte ausgegangen. Die aus den Veröffentlichungen der Deutschen Bundesbank durch Interpolation abgeleiteten Marktzinssätze (Sieben-Jahresdurchschnitt) betragen am 31.12.01

 
  • für eine Restlaufzeit von 2,5 Jahren:
4,1 %
  • für eine Restlaufzeit von 3,5 Jahren:
4,3 %
  • für eine Restlaufzeit von 4,5 Jahren:
4,5 %
  1. Nach der steuerrechtlichen Regelung beträgt der Diskontierungszeitraum 2 Jahre (31.12.01 bis 1.1.04).
  2. Bei der zweiten Ermittlungsvariante (Restlaufzeit = Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllung plus halbe Erfüllungsdauer) ermittelt sich ein Diskontierungszeitraum von 3,5 Jahren (2 Jahre + 3 Jahre/2).
  3. Auf Basis der durchschnittlichen Kapitalbindungsdauer beträgt die Restlaufzeit 3,75 Jahre [(400.000 GE × 2,5 Jahre + 400.000 GE × 3,5 Jahre + 800.000 GE × 4,5 Jahre)/1.600.000 GE].
  4. Die Duration der ungewissen Verbindlichkeit beläuft sich auf 3,716 Jahre. Sie ermittelt sich wie folgt:
 
Restlaufzeit [Jahre] Zahlung Zin...

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