Rz. 42

Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Durchbrechung der Fortführungsprämisse (Rz 40) vor oder ergibt sich eine solche ohne entsprechende Indizien, so ist eingehend zu prüfen, ob der Fortführung der Unternehmenstätigkeit tatsächliche (Rz 43 f.) oder rechtliche (Rz 46 f.) Gegebenheiten entgegenstehen und diese in der Gesamtschau der Fortführung entgegenstehen.

Dies gilt auch für den Wegfall der going-concern-Prämisse bei selbständigen Betriebsteilen, was bei der Bewertung im einheitlichen Jahresabschluss zu berücksichtigen ist.[1]

 
Praxis-Beispiel

International agierende Unt gerieten durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ab dem 24.2.2022 in ein moralisches Dilemma – einerseits wird die Forderung nach einem möglichst sofortigen Rückzug aller Aktivitäten aus Russland erhoben, andererseits müssen die daraus resultierenden Folgen für die dortigen Mitarbeiter und Kunden bedacht werden.

In dieser hochproblematischen Gemengelage schaffte die staatliche Regulierung jedoch zunehmend Fakten, an denen die betroffenen Unt nicht mehr vorbeikommen. So durften US-Unt und deren Beteiligungen lt. US-Gesetz ab dem 23.6.2022 keine Steuern mehr an den russischen Staat zahlen. In diesem Fall drohen jedoch strafrechtliche Konsequenzen für die Geschäftsführung. Dieses Dilemma ist nur dadurch zu lösen, dass die Verbindung zu dem russischen TU bzw. einer russischen Beteiligung aufgegeben wird – notfalls, indem die Anteile verschenkt werden.[2]

Nach dem Fachlichen Hinweis des IDW zu Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Rechnungslegung und deren Prüfung[3] ist bei der Bewertung der Anteile der objektivierte Unternehmenswert zugrunde zu legen. Falls ein verbindliches Angebot für den Erwerb solcher Unternehmensanteile vorliegt, ist auf dieses anstelle des objektivierten Unternehmenswerts abzustellen.[4] Bei Veräußerungsabsicht dient ein etwaiger Börsenkurs für die Bewertung solcher Unternehmensanteile lediglich der Plausibilisierung. Er ist nur dann unmittelbar für die bilanzielle Bewertung heranzuziehen, wenn die Unternehmensanteile über die Börse veräußert werden sollen. Nach § 253 Abs. 3 HGB besteht eine Pflicht zur Abschreibung im Anlagevermögen allerdings nur bei einer voraussichtlich dauernden Wertminderung – für das Finanzanlagevermögen besteht ein Wahlrecht, auch vorübergehende Wertminderungen zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Frage, wann die Wertminderung als voraussichtlich dauernd anzusehen ist, stellt das IDW fest:[5]"Wird der beizulegende Wert von Finanzanlagen über ein Zukunftserfolgswertverfahren ermittelt und resultiert daraus ein Wert, der unterhalb des bisherigen Buchwerts der Beteiligung bzw. der Anteile liegt, ist regelmäßig – d. h. bei Fehlen substantiierter Anhaltspunkte für das Gegenteil – davon auszugehen, dass die Wertminderung voraussichtlich dauernd ist und demzufolge eine Abschreibung notwendig ist."

Rechtliche Gegebenheiten gehen dabei mit einem hohen Grad an Endgültigkeit einher. Die Prüfung sollte so objektiv wie möglich erfolgen. Die mitunter geäußerten Forderungen nach uneingeschränkter Objektivität[6] – teils unter Verweis auf den Wortlaut "tatsächliche oder rechtliche" – muss insofern akademischer Natur sein, als dass es Objektivität grds. und insb. in diesem Bereich kaum geben dürfte.

Die Objektivitätsanforderung spricht in Bezug auf tatsächlich entgegenstehende – also primär wirtschaftliche – Gegebenheiten zunächst für die Verwendung von Kennzahlen. Allerdings sind weder einheitliche bzw. eindeutige Grenzwerte existent, noch ergibt sich aus einigen schlechten Kennzahlenausprägungen zwangsläufig eine Durchbrechung der Fortführungsprämisse, was regelmäßig zu erheblichen Ermessensspielräumen führen dürfte. Da letztlich nicht auf Basis einzelner Kennzahlen, sondern der Gesamtsituation eines Unt über die Beibehaltung der Unternehmensfortführung zu entscheiden ist[7], spielen neben Kennzahlen insb. auch eingeleitete oder zumindest mögliche Rettungsmaßnahmen eine große Rolle. Diese können etwaig negativen bzw. bedrohlichen Kennzahlen entgegenwirken und so eine Fortführung sicherstellen. Zu diesen Rettungsmaßnahmen zählen etwa:

  • Staatliche Stützungsmaßnahmen, z. B. Übernahme von Lohnkosten und Sozialabgaben von der Bundesagentur für Arbeit, staatliche Garantien und Liquiditätshilfen in Form des erleichterten Zugangs zu Krediten und Bürgschaften bei der KfW, Aussetzung der Insolvenzantragspflicht während der Corona-Pandemie,[8]
  • Tilgungsaussetzungen,
  • Sanierungszuschüsse,
  • Rangrücktrittserklärungen,
  • Forderungsverzicht/Verbindlichkeitserlass bzw. -verringerung,
  • Lohn-/Gehaltsverzicht,
  • Patronatserklärungen,
  • Steuerstundung.

Diese können auch eingebettet sein in einen Fortführungsinsolvenzplan[9] oder seit 2021 auch einen Restrukturierungsplan nach § 7 Abs. 2 StaRUG. Auch ist zu bedenken, dass ein berechtigtes Interesse der Unt vorliegt, eine Nicht-Fortführung infolge tatsächlicher Gegebenheiten zumindest solange nicht umzusetzen und damit letztlich auch offenzulegen, wie diese durch Sanierungsmaßnahm...

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