Rz. 65

Das von den gesetzlichen Vertretern einer KapG im Jahresabschluss unter Beachtung der GoB zu vermittelnde Bild hat sich auf die tatsachengemäße Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu konzentrieren. Dies bedeutet eine Einschränkung der mit dem Jahresabschluss erreichten Abbildung, die vom Lagebericht daher zu ergänzen ist. So ist die Darstellung im Jahresabschluss primär vergangenheitsorientiert und relevante Informationen werden nicht oder aufgrund des Objektivierungsgebots sogar ökonomisch falsch erfasst. Als Beispiel für Letzteres seien Forschungsergebnisse, selbst erstellte Marken, Kundenbeziehungen oder Weiterbildungsausgaben genannt, die nach § 248 Abs. 2 HGB nicht aktivierungsfähig sind. Der Zukunftsaspekt findet seinen Niederschlag primär lediglich in der Annahme der "going concern"-Prämisse (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) sowie – mit Einschränkungen – im Jahresabschluss durch das Imparitätsprinzip nur mit Blick auf negative Erwartungen, wie z. B. in Form von Rückstellungen oder Forderungsabwertungen.

 

Rz. 66

Die Vermögenslage bezieht sich auf die Darstellung der VG und Schulden sowie des Reinvermögens (EK), welches aus dem Saldo der beiden Kategorien ermittelt wird. Die Informationen sind primär in der Bilanz auszuweisen; Wahlpflichtangaben sowie ergänzende Angaben finden sich auch im Anhang. Sowohl bzgl. des Ansatzes als auch der Bewertung wird die Darstellung der Vermögenslage jedoch von zahlreichen Einzelvorschriften und den GoB determiniert. So sind trotz des Gebots der Vollständigkeit einerseits bestimmte immaterielle VG des AV nicht anzusetzen (§ 248 Rz 42 ff.). Andererseits bestehen Wahlrechte für den Ansatz von VG, Schulden sowie Bilanzierungshilfen, wie etwa bzgl. des Disagios gem. § 250 Abs. 3 HGB oder bestimmter Pensionsverpflichtungen gem. Art. 28 Abs. 1 EGHGB, wobei zusätzlich die impliziten Wahlrechte ("Wann wird eine Rückstellung angesetzt?") eine große Bedeutung haben.

 

Rz. 67

Die Bewertungsregeln stellen sich im Vergleich zu einer theorieabgeleiteten ökonomischen Darstellung als Kompromiss verschiedener Ansätze dar. So ist die dynamische Bilanztheorie, die die Bilanz als Abgrenzungsrechnung zwischen Aus- und Einzahlungen und den Aufwendungen und Erträgen bzw. umgekehrt versteht und daher eine Obergrenze für den Wertansatz bei den historischen AHK auf der Vermögensseite verlangt, in einigen Vorschriften umgesetzt. Daneben kommen der statischen Bilanztheorie folgend Abwertungen in Betracht, die zwar unter der Prämisse der Unternehmensfortführung nicht zwangsläufig zu den Zerschlagungswerten führen, da Überlegungen von Ertragswertbetrachtungen mit einfließen, aber dennoch einer periodengerechteren Gewinnermittlung aus dem Blickwinkel der meisten Abschlussadressaten dienen sollen (Ausschüttungsstatik). Für die Schulden ist als genereller Wertansatz der Erfüllungsbetrag vorgeschrieben, der größere Einschätzungsspielräume enthält. Die Darstellung wird zusätzlich insofern beeinträchtigt, als das Realisationsprinzip zu beachten ist, welches Wertaufholungen nur bis zu den (fortgeführten) historischen AHK zulässt.[1] Auch wenn viele explizite Bewertungswahlrechte im Laufe der Jahre aus dem Gesetzbuch gestrichen wurden, bleiben einige Wahlrechte bestehen, wobei insb. die impliziten Wahlrechte ("Wann wird abgewertet?") eine große Bedeutung haben, da diese auch nicht mit ergänzenden Anhangangaben informationell ausgeglichen werden.

 

Rz. 68

Aus Sicht der Abschlussadressaten sind die Analyse von Art und Zusammensetzung des Vermögens sowie die Dauer der Vermögensbindung und die dahinterliegenden Geschehnisse im Bereich von Vermögenslogistik und Investitionstätigkeit bei Interpretation der im Jahresabschluss gebotenen Vermögenslage relevant. Die Vermögensstruktur ist unter dem Gesichtspunkt der Bindungsdauer ein Indiz für die eingegangenen finanziellen Bindungsrisiken, die Liquidierbarkeit der Positionen und für die Anpassungsflexibilität bei sich verändernden Gegebenheiten im Umfeld. Die Vermögensausstattung ist für die betriebliche Leistungsfähigkeit und Rentabilität, aber auch für die finanzielle Stabilität und Flexibilität des Unt von Bedeutung.[2] Im Zentrum stehen daher Betrachtungen bzgl. der Liquiditätsnähe und Bindungsdauer des Vermögens bei normalem Geschäftsgang, der Liquidierbarkeit und des Wertverlusts bei möglichen Anpassungsmaßnahmen, der Nutzungsintensität und des Finanzmittelbedarfs des Vermögens sowie der Gewinn- und Cashflowkraft der Vermögensteile.[3]

[1] Zu den Beeinträchtigungen s. a. ADS, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995–2001, § 264 HGB Rz 67–69.
[2] Vgl. Müller, in Kußmaul/Müller, HdB, Bilanzanalyse in der HGB- und IFRS-Rechnungslegung, Rz 143 ff., Stand: 19.7.2022.
[3] Vgl. Lachnit/Müller, Bilanzanalyse, 2. Aufl. 2017, S. 268.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge