Rz. 136

Soweit bei Bilanzaufstellung im Zusammenhang mit dem schwebenden Geschäft stehende VG aktiviert werden (z. B. unfertige Leistungen im Vorratsvermögen), sind diese zunächst um den erwarteten Verlust abzuschreiben, da eine außerplanmäßige Abschreibung Vorrang vor einer Drohverlustrückstellung hat. Der Vorrang der aktivischen Abschreibung begründet sich aus Art. 20 Abs. 3 der Vierten Bilanzrichtlinie, da Rückstellungen "keine Wertberichtigungen zu Aktivposten darstellen" dürfen.[1] Erst nach Vollabschreibung von aktivierten VG darf ein darüber hinaus bestehender Verlust als Drohverlustrückstellung berücksichtigt werden.[2]

 
Praxis-Beispiel

Eine Werbeagentur (W) hat mit einem Kunden einen Vertrag über die Durchführung einer Werbekampagne geschlossen. Die Vergütung für die Werbekampagne ist mit 100 GE vereinbart. Zum Abschlussstichtag hat W unter den Vorräten unfertige Leistungen i. H. v. 30 GE aktiviert. Bei Aufstellung des Jahresabschlusses rechnet W mit Gesamtaufwendungen für die Durchführung der Werbekampagne von 150 GE.

Zunächst sind die aktivierten unfertigen Leistungen i. H. v. 30 GE bis auf 0 GE abzuschreiben. Der darüber hinausgehende Verlust von 20 GE ist als Drohverlustrückstellung zu passivieren.

 

Rz. 137

Soweit ein Drohverlustauftrag über mehrere Geschäftsjahre abgewickelt wird, stellt sich wegen des Abschreibungsvorrangs das Erfordernis, zunächst als Drohverlustrückstellungen berücksichtigte Verluste in Wertberichtigungen auf Vorräte umzuqualifizieren:

 
Praxis-Beispiel

Ein Maschinenbauunternehmen schließt im September 01 einen Vertrag über die Herstellung, Lieferung und Inbetriebnahme einer Großanlage. Als Kaufpreis wird 100 GE vereinbart, die Inbetriebnahme ist für Frühjahr 03 vorgesehen. Bei Aufstellung des Jahresabschlusses zum 31.12.01 wird aufgrund der zwischenzeitlichen Projektplanung erkennbar, dass ein Verlust i. H. v. 40 GE droht. Die zum 31.12.01 aufgelaufenen aktivierungspflichtigen Aufwendungen belaufen sich auf 10 GE.

Zum 31.12.01 sind die unfertigen Leistungen i. H. v. 10 GE in voller Höhe wertzuberichtigen. Der darüber hinausgehende Verlust von 30 GE ist als Rückstellung für drohende Verluste auszuweisen.

Zum 31.12.02 belaufen sich die aktivierungspflichtigen Aufwendungen auf 90 GE. Bei Aufstellung des Jahresabschlusses zum 31.12.02 wird unverändert mit einem Auftragsverlust von 40 GE gerechnet.

Zum 31.12.02 ist die im Vj gebildete Drohverlustrückstellung von 30 GE gegen die Wertberichtigung auf die unfertigen Leistungen zu verbrauchen. Der Bilanzansatz der unfertigen Leistungen beträgt zum 31.12.02 50 GE (90 GE ./. 40 GE), die Rückstellung für drohende Verluste beträgt 0 GE.

Der Buchungssatz für den Verbrauch der Drohverlustrückstellung zum 31.12.02 lautet:

 
Konto Soll Haben
Sonstige Rückstellungen 30  
Unfertige Leistungen   30
 

Rz. 138

Im Unterschied zum Steuerrecht sind handelsrechtlich sämtliche aus dem Auftrag drohenden Verluste von den aktivierten Vorräten abzuschreiben. Das Steuerrecht lässt dagegen nur eine entsprechend dem Auftragsfortschritt ratierliche Erfassung der Abschreibung zu.[3]

 

Rz. 139

Der Vorrang von Abschreibungen vor Drohverlustrückstellungen kommt insb. bei Absatzgeschäften zum Tragen, da hier regelmäßig aktivierungspflichtige VG vorliegen.[4] Im Regelfall wird es sich dabei um VG des UV handeln, für die das strenge Niederstwertprinzip (§ 253 Abs. 4 HGB) gilt (§ 253 Rz 279). Soweit es sich bei den dem Absatzgeschäft zugrunde liegenden VG um AV handelt, ist eine Abschreibung nur in Fällen dauerhafter Wertminderung (§ 253 Abs. 3 Satz 3 HGB) geboten. Derartige Fälle treten zumeist im Bereich von Dauerschuldverhältnissen auf (z. B. Vermietung eines Gebäudes), in denen der VG nur mittelbar Gegenstand des verlustträchtigen Absatzgeschäfts ist.[5]

 
Praxis-Beispiel

Ein Unt passt infolge rückläufiger Auftragseingänge seine Kapazitäten an. In diesem Zusammenhang wird ein bislang selbst genutztes Bürogebäude ab dem 1.1.02 fremdvermietet. Der im Oktober 01 abgeschlossene Mietvertrag hat eine Laufzeit von 5 Jahren. Dem Unt entstehen aus dem Gebäude nicht an den Mieter weiterbelastbare Aufwendungen (Abschreibungen, Finanzierungszinsen) von jährlich 100 GE. Die vereinbarte Miete beträgt jährlich 80 GE. Der Buchwert des Gebäudes beläuft sich zum 31.12.01 auf 300 GE.

Zum 31.12.01 droht aus dem Mietvertrag ein Verlust i. H. v. 100 GE (5 Jahre × 20 GE). Ob eine vorrangig zu berücksichtigende Notwendigkeit zur Vornahme einer außerplanmäßigen Abschreibung auf das Gebäude besteht, kann dem Sachverhalt so nicht entnommen werden, da das Gebäude nur mittelbar Gegenstand des Absatzgeschäfts ist. Bei der Beurteilung, ob eine außerplanmäßige Abschreibung wegen voraussichtlich dauerhafter Wertminderung gegeben ist, sind weitere Gesichtspunkte einzubeziehen (Gesamtrestnutzungsdauer des Gebäudes, Kündigungsmöglichkeiten des Mietvertrags, ggf. bestehendes einseitiges Optionsrecht des Mieters auf Verlängerung des Mietvertrags zu unveränderten Konditionen).

[1] Vgl. RL 2013/34/EU, ABl. EU L 182/19 v. 29....

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