Rz. 103

§ 274 Abs. 2 HGB führt zur Bewertung aus, dass die Steuerlatenzen mit den unternehmensindividuellen Steuersätzen im Zeitpunkt der voraussichtlichen Auflösung der Differenzen anzusetzen sind. Da es sich um eine Vorschrift zum Einzelabschluss handelt, erscheint das Wort "unternehmensindividuell" überflüssig oder fragwürdig.[1] Die Bedeutung erschließt sich durch den Verweis von § 306 Satz 5 HGB auf § 274 Abs. 2 HGB, wonach die Steuerlatenzen auch im Konzernabschluss nicht nach einem konzerneinheitlichen Steuersatz, sondern den unternehmensindividuellen Steuersätzen der die jeweilige Steuerlatenz verursachenden TU zu berechnen sind (§ 306 Rz 33).

 

Rz. 104

Derjenige Steuersatz ist zugrunde zu legen, der voraussichtlich im Zeitpunkt des Abbaus der Differenzen gültig ist. Dieser wird im Regelfall nicht bekannt sein, sodass die am Abschlussstichtag gültigen Steuersätze anzuwenden sind. Ist allerdings am Abschlussstichtag bereits eine Änderung der Steuersätze wirksam beschlossen, sind diese anzuwenden. Eine Steuersatzänderung ist erst wirksam beschlossen, wenn die maßgebende Körperschaft die Änderung verabschiedet hat. In Deutschland bedeutet dies, dass der Bundesrat dem Steuergesetz zugestimmt haben muss (DRS 18.48). Auf die ggf. erst nach dem Abschlussstichtag erfolgende Unterzeichnung des Steuergesetzes durch den Bundespräsidenten und die Verkündung im BGBl. kommt es nicht an. Etwas anderes gilt nur, wenn der Bundespräsident aufgrund verfassungsrechtlicher Zweifel das Gesetz nicht unterschreibt; dann wären die beschlossenen Steuersätze noch nicht in die Bewertung einzubeziehen, da ernstliche Zweifel an deren Gültigkeit im Zeitpunkt des Abbaus der Steuerlatenzen bestehen.

 

Rz. 105

Bei KapG kann regelmäßig ein zusammengefasster Steuersatz, der KSt, SolZ und GewSt umfasst, angesetzt werden. Eine Modifikation des nominellen GewSt-Satzes zur Anpassung an den effektiven GewSt-Satz aufgrund von gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen und Kürzungen kommt nicht in Betracht. Die Hinzurechnungen und Kürzungen werden ausschl. bei der Berechnung der laufenden GewSt (für das abgelaufene Gj wie auch das Gj des Abbaus der Steuerlatenzen) berücksichtigt. Für die Berechnung latenter Steuern sind diese nicht maßgeblich (Rz 18). Bei KapCoGes kommt regelmäßig nur der Steuersatz für die GewSt zur Anwendung (Ausnahme: ausländische Betriebsstätten, Rz 92).

 

Rz. 106

Auf Einzelabschlussebene können sich Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Steuersatzes ergeben, wenn mehrere Betriebsstätten bestehen. Bei inländischen Betriebsstätten können sich Steuersatzverschiebungen zwischen den einzelnen Betriebsstätten aufgrund der abweichenden Gewerbesteuerhebesätze ergeben. Hier ist es regelmäßig sachgerecht, den zum Abschlussstichtag aktuellen gewichteten Gewerbesteuerhebesatz der inländischen Betriebsstätten anzuwenden, es sei denn, es sind bereits Veränderungen in der Zukunft absehbar.

 
Praxis-Beispiel

Die GmbH & Co KG unterhält zwei steuerliche Betriebsstätten, eine am Sitz der Ges. in Münster (Hebesatz 440 %) und eine in Flensburg (Hebesatz 375 %). Am Abschlussstichtag ergibt sich für das abgelaufene Gj aufgrund der Lohnsummenbetrachtung ein gewichteter Gewerbesteuerhebesatz von 410 %. Für das Folgejahr sind größere Investitionen am Standort Flensburg beabsichtigt, die auch zu einem Aufbau des dortigen Mitarbeiterstamms führen werden. Nach einer überschlägigen Ermittlung kann für die Folgejahre von einer Absenkung des gewichteten Gewerbesteuerhebesatzes auf 390 % ausgegangen werden.

Für die Bewertung der Steuerlatenzen am Abschlussstichtag sind 390 % zugrunde zu legen (zukünftiger Steuersatz).

 

Rz. 107

Soweit ausländische Betriebsstätten bestehen, sind die dieser Betriebsstätte zuzurechnenden Steuerlatenzen (Rz 92) mit den ausländischen Steuersätzen zu bewerten.

 

Rz. 108

Latente Steuern sind nach § 274 Abs. 2 Satz 1 HGB nicht abzuzinsen, unabhängig davon, wann sie sich wieder abbauen. Dies entspricht der gängigen internationalen Praxis. Da auch auf quasi-permanente Differenzen Steuerlatenzen zu bilden sind (Rz 17), die sich erst nach einer Dispositionsentscheidung des Unt (z. B. Verkauf eines VG) oder erst bei Beendigung des Unt abbauen, ist eine Analyse ausgewiesener Steuerlatenzen vor dem Hintergrund des dem Jahresabschlussleser im Regelfall unbekannten Zeitpunkts des Abbaus der Differenzen erschwert. Eine Abzinsung von Steuerlatenzen wäre im Übrigen nur möglich, wenn eine detaillierte Betrachtung des zeitlichen Verlaufs der individuellen Steuerlatenzen vorgenommen würde, was regelmäßig mit beträchtlichem Aufwand verbunden ist.[2]

 

Rz. 109

§ 274 Abs. 2 Satz 2 HGB fordert, dass die ausgewiesenen Steuerlatenzen aufzulösen sind, sobald die Steuerbe- oder -entlastung eintritt oder mit ihr nicht mehr zu rechnen ist. Dies erfordert, dass zu jedem Abschlussstichtag die dem Ansatz und der Bewertung zugrunde gelegten Annahmen, Steuersätze und Wahrscheinlichkeiten zu überprüfen sind.

[1] Vgl. Küting/Seel, in Küting/Pfitzer/Weber, Das neue deutsche Bilanzrecht, ...

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