Rz. 26

Gewissenhaftigkeit i. S. v. § 323 HGB stellt eine Konkretisierung der allgemeinen vertragsrechtlichen Sorgfaltspflicht des § 276 Abs. 2 BGB für die Abschlussprüfung dar. Gewissenhaftigkeit beinhaltet demnach zwei Merkmale, nämlich den Aspekt der Sorgfalt und das Handeln nach bestem Wissen und Gewissen. Die gesetzliche Anforderung nach Gewissenhaftigkeit erfordert somit einerseits die sorgfältige Beachtung der für die Abschlussprüfung geltenden gesetzlichen und fachlichen Regelungen sowie andererseits die Beurteilung im Einzelfall, ob und wie diese Regelungen anzuwenden sind.[1]

 

Rz. 27

§ 4 BS WP/vBP enthält eine Konkretisierung dessen, was unter Gewissenhaftigkeit zu verstehen ist. Danach fallen hierunter folgende Aspekte:

  • Bindung an das Gesetz und Beachtung der für die Berufsausübung geltenden Bestimmungen sowie fachlichen Regelungen (Rz 28Rz 35),
  • Verbot der Auftragsannahme aufgrund mangelnder Sachkunde oder nicht ausreichend verfügbarer Zeit (Rz 36Rz 38),
  • Vornahme einer sachgerechten Gesamtplanung zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen und zeitgerechten Auftragsabwicklung (Rz 39),
  • Beendigung des Auftragsverhältnisses, wenn nach Auftragsannahme Umstände eintreten, die zur Ablehnung des Auftrags hätten führen müssen (Rz 40).
 

Rz. 28

Die WPO enthält berufsrechtliche Vorschriften, die der Wirtschaftsprüfer (auch) i. R. v. Abschlussprüfungen zu beachten hat (z. B. §§ 4344, 48, 5051c, 5354a, 55a56, 57a WPO). Darüber hinaus sind die Vorschriften der gem. § 57 Abs. 3 WPO erlassenen BS WP/vBP zu beachten, in der besondere Berufspflichten bei der Durchführung von Prüfungen und der Erstattung von Gutachten niedergelegt sind (§§ 2849 BS WP/vBP).

 

Rz. 29

Fachliche Prüfungsgrundsätze sind gesetzlich in den §§ 316322 HGB niedergelegt. Daneben können i. R. v. Abschlussprüfungen wirtschaftszweigspezifische oder rechtsformabhängige Vorschriften, gesellschafterbezogene (§ 53 HGrG) sowie gesellschaftsvertragliche oder satzungsmäßige Bestimmungen zu beachten sein.[2]

 

Rz. 30

Neben den gesetzlichen Vorschriften existieren für Abschlussprüfer die fachlichen Grundsätze. Dies sind in Deutschland die vom IDW festgestellten Prüfungsstandards (PS) und Prüfungshinweise (PH), die im Wesentlichen auf den International Standards on Auditing (ISA) beruhen und darüber hinaus auf Besonderheiten der deutschen Rechtslage eingehen, sowie dem IDW QS 1. Zum Grad der Verbindlichkeit von PS und PH für den Abschlussprüfer enthält IDW PS 201 Vorgaben. Danach ist eine Abweichung von IDW PS nur in Ausnahmefällen zulässig; eine Abweichung von einem IDW PS ohne Vorliegen gewichtiger Gründe kann i. R. d. Berufsaufsicht zum Nachteil des Abschlussprüfers ausgelegt werden.[3] Der Auffassung, dass mangels "Rechtssetzungsbefugnis eines privaten Standard-Setters [diesen Standards] keinerlei Rechtsnormqualität zukommt"[4], ist zwar rechtssystematisch zuzustimmen. Faktisch wird sich die Judikative im Fall der Beurteilung eines zivil- und haftungsrechtlich relevanten Verstoßes i. S. v. § 323 HGB auf die berufsrechtliche Beurteilung abstützen. Da ein Verstoß gegen das Gebot der Gewissenhaftigkeit regelmäßig im Weg eines berufsaufsichtlichen Verfahrens festgestellt wird (Rz 16) und hierbei die IDW PS – v.a. aufgrund des Verfahrens ihres Zustandekommens – hohe Bedeutung haben, begründen sie faktisch eine Umkehrung der Beweislast, d. h., der davon abweichende Abschlussprüfer hat darzulegen, dass er dennoch ordnungsgemäß geprüft hat.

 

Rz. 31

IDW PH haben nicht den gleichen Verbindlichkeitsgrad wie IDW PS, sondern dienen der Orientierung des Abschlussprüfers; ihre Anwendung wird lediglich empfohlen.[5] Faktisch wird ein Abweichen von IDW PH gleichwohl auf einen Verstoß gegen die Gewissenhaftigkeit hindeuten, sodass es sich für den Abschlussprüfer empfiehlt, auch in derartigen Fällen angemessen zu dokumentieren, worin sich die Abweichung begründet und weshalb dennoch hinreichende Prüfungssicherheit erzielt wurde. Bspw. können im Einzelfall atypische Sachverhalte ein Abweichen von IDW PH erfordern.

 

Rz. 32

Allerdings wäre es wohl zu weitgehend, IDW PS oder IDW PH Weisungscharakter zuzusprechen, zumal dies mit den Grundsätzen der Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit (§ 43 WPO) nicht vereinbar wäre.[6] IDW PS und IDW PH stellen demzufolge auch keine Mindestanforderungen für den Abschlussprüfer dar, die in jedem Einzelfall vom Abschlussprüfer einzuhalten sind.[7]

 

Rz. 33

Nach der derzeitigen Rechtslage sind für gesetzliche Abschlussprüfungen in Deutschland unverändert deutsche Prüfungsgrundsätze anzuwenden,[8] wobei nunmehr die ISA-DE anzuwenden sind (Rz 50 ff.). Zwar ist durch das BilMoG in § 317 Abs. 5 HGB eine "Öffnungsklausel" für die ISA bereits angelegt worden. Mangels bislang erfolgter Annahme der ISA durch die EU geht diese Regelung derzeit ins Leere (§ 317 Rz 145 ff.).[9]

 

Rz. 34

Gegenstand einer Abschlussprüfung ist ein Jahresabschluss/Lagebericht bzw. Konzernabschluss/Konzernlagebericht, die nach bestimmten, im Regelfall handelsrechtlichen Rechnungslegun...

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