Rz. 5

Das Vollständigkeitsgebot des § 246 Abs. 1 Satz 1 HGB bezieht sich auf Vermögensgegenstände (VG), Schulden, Rechnungsabgrenzungsposten (RAP), Aufwendungen und Erträge. Die Begriffe VG und Schulden werden im Gesetz nicht definiert, sondern sind aus den GoB abzuleiten.

Der Begriff des Vermögensgegenstands umfasst körperliche Gegenstände (Sachen i. S. d. § 90 BGB) und immaterielle Werte, soweit denen eine rechtliche oder tatsächliche Position von wirtschaftlichem Wert im Geschäftsverkehr beizumessen ist. Maßgebende Kriterien für das Vorliegen eines VG sind die selbstständige Bewertbarkeit und die selbstständige Verkehrsfähigkeit. Der handelsrechtliche Begriff des VG entspricht grds. dem bilanzsteuerlichen Begriff des (aktiven, nicht des passiven bzw. negativen) Wirtschaftsguts. Allerdings stellt die Rechtsprechung des BFH stärker auf die selbstständige Bewertbarkeit ab und misst der selbstständigen Verkehrsfähigkeit nur insoweit Bedeutung zu, als Wirtschaftsgüter im Zusammenhang mit der Veräußerung des Betriebs übertragen werden können. Der Gesetzgeber hält ausdrücklich an dieser Definition des VG fest.[1] Mit dem BilMoG wurden mehrere neue Varianten von Aktivposten geschaffen: der derivative GoF als zeitlich begrenzt nutzbaren VG (Rz 89 ff.), die optionalen aktiven latenten Steuern als "Sonderposten eigener Art" (§ 266 Rz 100) sowie die optionalen selbst geschaffenen immateriellen VG des AV (§ 248 Rz 10 ff.).

 

Rz. 6

Der Begriff der Schulden umfasst Verbindlichkeiten, Rückstellungen und sog. Eventualschulden, die als Haftungsverhältnisse unter der Bilanz zu vermerken sind (§ 247 Rz 111 ff., § 251 Rz 5 ff.).

 

Rz. 7

§ 250 HGB definiert Rechnungsabgrenzungsposten als Ausgaben vor dem Abschlussstichtag, soweit sie Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen, bzw. Einnahmen vor dem Abschlussstichtag, soweit sie Ertrag für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen. Ausgaben bzw. Einnahmen nach dem Abschlussstichtag, die Aufwand bzw. Ertrag der abgelaufenen Rechnungsperiode betreffen, sind als VG oder Schulden unter den Forderungen bzw. Verbindlichkeiten/Rückstellungen auszuweisen (§ 250 Rz 1).

 

Rz. 8

Neben der Vollständigkeit der Bilanz regelt § 246 Abs. 1 Satz 1 HGB, dass die GuV sämtliche Aufwendungen und Erträge zu enthalten hat. Die Begriffe Aufwendungen und Erträge werden gesetzlich nicht definiert. Das Handelsrecht versteht unter Aufwendungen den einer Rechnungslegungsperiode zuzurechnenden bewerteten Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen, während Erträge alle bewerteten Vermögensmehrungen einer Abrechnungsperiode beinhalten.

 

Rz. 9

Das Vollständigkeitsgebot wird durch gesetzlich geregelte Ansatzverbote sowie Ansatzwahlrechte durchbrochen. Ansatzverbote schließen die Einbeziehung von VG und Schulden in die Bilanz aus. § 248 HGB zählt eine Reihe von Ansatzverboten auf. Beispielhaft sei hier zum einen das in § 248 Abs. 2 Satz 2 HGB normierte Verbot der Aktivierung von selbst geschaffenen Marken, Drucktiteln, Verlagsrechten, Kundenlisten oder vergleichbaren immateriellen VG des AV genannt (§ 248 Rz 47).

Zum anderen regelt § 249 Abs. 2 HGB, dass für andere als in Abs. 1 genannte Zwecke (dort bspw. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten oder Drohverlustrückstellungen) Rückstellungen nicht gebildet werden dürfen.

 

Rz. 10

Ansatzwahlrechte, bei denen sich der Kfm. für oder gegen die Einbeziehung von VG und Schulden in die Bilanz entscheiden kann, wurden durch das BilMoG, wie bspw. im Fall der Ingangsetzungs- und Erweiterungsaufwendungen oder der Aufwandsrückstellungen, erheblich eingeschränkt, mit dem Aktivierungswahlrecht für selbst geschaffene immaterielle VG des AV jedoch auch erweitert. Verblieben sind lediglich das Aktivierungswahlrecht für den positiven Saldo aus aktiven und passiven latenten Steuern (§ 266 Rz 100), das Disagio (§ 268 Rz 39) sowie das Passivierungswahlrecht für bestimmte Pensionsverpflichtungen nach Art. 28 Abs. 1 EGHGB (§ 249 Rz 77).

[1] Vgl. BT-Drs. 16/10067 v. 30.7.2008 S. 35.

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