Leitsatz

1. Ein Steuerbescheid, der vor dem Datum des Bescheids zugestellt wird, ist wirksam bekannt gegeben, sodass die Einspruchsfrist mit Bekanntgabe des Bescheids zu laufen beginnt.

2. Versäumt der Empfänger die Einspruchsfrist, weil er darauf vertraut hat, die Frist ende nicht vor Ablauf eines Monats nach dem Datum des Bescheids, ist regelmäßig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

 

Normenkette

§ 110 Abs. 1, § 124 Abs. 1 S. 1 AO

 

Sachverhalt

Das FA hatte die Besteuerungsgrundlagen geschätzt und die auf den 14.11.2005 datierten Bescheide mit PZU bereits am 07.11.2005 durch Einwurf in den Wohnungsbriefkasten zugestellt. Die vom Berater am 14.12.2005 eingelegten Einsprüche wurden als unzulässig verworfen.

Das FG wies die Klage ab (FG Köln, Urteil vom 13.06.2007, 11 K 3243/06, Haufe-Index 1774185, EFG 2007, 1742). Die Einsprüche seien verspätet und Wiedereinsetzung nicht zu gewähren. Das Versäumnis sei verschuldet, da die Einspruchsfrist bei ausreichender Sorgfalt durch Beiziehung der Briefumschläge, auf denen das Zustelldatum vermerkt worden sei, hätte ermittelt werden können. Wenn der Berater angenommen habe, für die Fristberechnung sei das Datum der Bescheide zugrunde zu legen, sei er einem nicht entschuldbaren Rechtsirrtum erlegen.

 

Entscheidung

Der BFH hat eine unverschuldete Versäumung der Einspruchsfrist angenommen und das FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung aufgehoben. Das FA muss nunmehr über die Einsprüche und die zu ihrer Begründung vorgelegten Erklärungen entscheiden.

 

Hinweis

1. Zu dem durch seine Bekanntgabe wirksam werdenden Inhalt eines Verwaltungsakts (§ 124 Abs. 1 S. 2 AO) gehört neben der Angabe des Adressaten der Verfügungs- oder Entscheidungssatz (sog. Tenor), das ist bei einem Steuerbescheid die Steuer- bzw. Steuermessbetragsfestsetzung. Das Datum des Bescheids gehört in diesem Sinn nicht zum Inhalt, sondern soll die Steuerfestsetzung lediglich zeitlich fixieren und den Bescheid kennzeichnen.

2. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe richtet sich nach § 122 AO. Der praktisch häufigste Fall ist die Übermittlung durch die Post; die Bekanntgabe gilt dann (widerlegbar) als drei Tage nach seiner Aufgabe bewirkt (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). Die Zustellung mit PZU wird mit Übergabe des Schriftstücks oder Einlegung in den Briefkasten bewirkt (§ 122 Abs. 5 AO, § 3 VwZG, §§ 177 ff. ZPO). Ein Steuerbescheid kann bereits vor dem aufgedruckten Bescheiddatum bekannt gegeben werden. Es fehlt dann auch nicht am Bekanntgabewillen der Behörde.

3. Die einmonatige Einspruchsfrist richtet sich nicht nach dem Bescheiddatum, sondern beginnt mit der tatsächlichen Bekanntgabe. Wird nach ihrem Ablauf, aber innerhalb eines Monats ab Bescheiddatum Einspruch eingelegt, so kann wegen unverschuldeter Fristversäumnis Wiedereinsetzungin den vorigen Stand zu gewähren sein (§ 110 Abs. 1 S. 1 AO). Wiedereinsetzung ist innerhalb eines Monats zu beantragen (§ 110 Abs. 2 S. 1 AO; im finanzgerichtlichen Verfahren ist gem. § 56 Abs. 2 FGO innerhalb von zwei Wochen der Antrag zu stellen und die versäumte Rechtshandlung nachzuholen). Wiedereinsetzung kann auch ohne Antrag gewährt werden, wenn die versäumte Handlung (Einspruchseinlegung) innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist und die Tatsachen, aus denen sich das fehlende Verschulden ergibt, offenkundig oder der Behörde bekannt sind (§ 110 Abs. 2 S. 4 AO).

4. Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (§ 110 Abs. 1 S. 2 AO). Zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG dürfen die Anforderungen an die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung nicht überspannt werden.

5. Steuerbescheide werden grundsätzlich nicht vor dem auf ihnen angegebenen Datum zur Post gegeben oder förmlich zugestellt. Wenn der Berater nicht erkennen kann, dass das FA die ihm von den Steuerpflichtigen übersandten Bescheide ausnahmsweise früher abgeschickt hat, darf er daher davon ausgehen, dass die Einspruchsfrist frühestens einen Monat nach dem Datum des Bescheids abläuft. Ihm ist nicht vorzuwerfen, wenn er von den Mandanten nicht die Briefumschläge anfordert, auf denen der Tag der Zustellung vermerkt wird.

6. Fällt den Steuerpflichtigen nicht auf, dass das FA die Bescheide vor dem aufgedruckten Datum verschickt hatte, so handeln sie nicht schuldhaft, wenn sie ihren Berater weder über die vorzeitige Bekanntgabe informieren noch ihm die Briefumschläge mit dem Vermerk über das Zustelldatum vorlegen.

7. Der Berater versäumt die Einspruchsfrist dagegen schuldhaft, wenn er ohne Überprüfung unterstellt, das FA habe den anzufechtenden Steuerbescheid in einfachem Brief zur Post gegeben und deshalb eine Bekanntgabe am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post bzw. dem Bescheiddatum annimmt, während er tatsächlich bereits am folgenden Tage mit PZU zugestellt wurde (BFH, Urteil vom 17.03.1994, V R 136/92, BFH/NV 1995, 465).

 

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