Entscheidungsstichwort (Thema)

Kürzung der erdienten Dynamik. triftiger Grund

 

Leitsatz (amtlich)

  • Verspricht der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern eine betriebliche Altersversorgung nach den Regelungen einer Unterstützungskasse, sind spätere Eingriffe in die Versorgungszusagen nicht beliebig zulässig. Erworbene Rechte können nur aus besonderem Grund entzogen werden. Es gelten die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit. Je stärker der Besitzstand ist, den die Arbeitnehmer erworben haben, um so gewichtiger muß der Grund sein, der einen Eingriff rechtfertigt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt BAGE 61, 273 = AP Nr. 23 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen).
  • Der Ausschluß des Rechtsanspruchs auf Leistungen der Unterstützungskasse ist nach ständiger, durch das Bundesverfassungsgericht gebilligter Rechtsprechung (BVerfGE 74, 129 = AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen) nur als ein an sachliche Gründe gebundenes Widerrufsrecht anzuerkennen (Bestätigung von BAGE 61, 273 = AP Nr. 23 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen).
  • Den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes wird dann genügt, wenn den abgestuften Besitzständen unterschiedlich gewichtige Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenübergestellt werden. Das Gewicht des Eingriffsgrundes muß der Stärke des Besitzstandes entsprechen. Bei den Besitzständen des Arbeitnehmers ist zu unterscheiden zwischen den nur ausnahmsweise antastbaren, insolvenzgeschützten Teilbeträgen, die sich aus der Berechnung nach § 2 Abs. 1 BetrAVG ergeben, der sogenannten “zeitanteilig erdienten Dynamik” (Schutz des Berechnungsfaktors “ruhegehaltsfähiges Entgelt”) und den Steigerungsbeträgen, die ausschließlich von der weiteren Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers abhängen. Bei den Eingriffsgründen ist zu unterscheiden zwischen zwingenden, triftigen und sachlich-proportionalen Gründen (Bestätigung von BAGE 61, 273 = AP Nr. 23 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen).
  • Auch für Eingriffe in Versorgungszusagen im Jahre 1968 ist bei der Prüfung aus heutiger Sicht von der vom Senat vorgenommenen Dreiteilung der Besitzstände auszugehen. Die Prüfungsmaßstäbe haben sich inhaltlich nicht verändert, sie wurden durch die neuere Rechtsprechung nur konkretisiert (Bestätigung von BAGE 66, 39, 43 f. = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Besitzstand, zu I 1 der Gründe). Über die Frage eines verfassungsrechtlich begründeten Vertrauensschutzes bei Änderung einer ständigen Rechtsprechung (vgl. hierzu BVerfG Beschluß vom 28. September 1992 – 1 BvR 496/87 – DB 1992, 2511, zu II 2b der Gründe) ist hier nicht zu entscheiden.
  • Wird aus wirtschaftlichen Gründen in die zugesagte Dynamik eingegriffen, ist dieser Eingriff nur berechtigt, wenn der Unternehmer die Rente nicht mehr aus Erträgen und Wertzuwächsen erwirtschaften kann und deshalb die Gefahr besteht, daß die Entwicklung des Unternehmens beeinträchtigt und seine Substanz aufgezehrt wird (Bestätigung von BAGE 61, 273, 280 = AP Nr. 23 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu B 2 der Gründe).
 

Normenkette

BetrAVG § 1 Besitzstand, § 1 Abs. 4, § 7; BGB §§ 133, 157, 242

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 10.10.1991; Aktenzeichen 10 Sa 442/91)

ArbG Köln (Urteil vom 08.05.1991; Aktenzeichen 2 Ca 655/91)

ArbG Köln (Urteil vom 19.03.1991; Aktenzeichen 4 Ca 653/91)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe der den Klägern vom beklagten Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) zu zahlenden Betriebsrenten. Der PSV berechnet die Renten auf der Grundlage von Höchstbeträgen (jährlich 4.000,-- DM); die Kläger meinen, die Renten seien ohne Höchstgrenzen zu berechnen.

Der am 6. März 1921 geborene Kläger L… war vom 13. März 1955 bis 31. März 1981 bei der P… GmbH & Co. KG beschäftigt. Er erhielt zuletzt ein monatliches Bruttogehalt von 3.100,-- DM. Der am 29. April 1926 geborene Kläger S… war vom 16. Mai 1955 bis 31. März 1975 bei derselben Arbeitgeberin tätig. Er erzielte zuletzt ein monatliches Bruttogehalt von 2.565,-- DM.

Die Arbeitgeberin gewährte ihren Mitarbeitern eine Altersversorgung über eine Unterstützungskasse, den “Unterstützungs- und Wohlfahrtsverein der Firma B…”. Die Bedingungen für den Bezug von Unterstützungsleistungen waren in der Satzung und in den Richtlinien der Unterstützungskasse geregelt, wobei ein Rechtsanspruch auf Unterstützungsleistungen ausgeschlossen wurde.

In der Satzung des Unterstützungsvereins vom 3. Dezember 1946 heißt es u.a.:

“§ 8

Die Leistungen des Vereins sollen zur Wahrung des sozialen Charakters folgende Sätze im Einzelfall jährlich nicht überschreiten

  • Altersrenten RM 4.000,-- …”

Im Jahre 1960 erließ die Unterstützungskasse Richtlinien, auf die sich die Kläger berufen. In diesen Richtlinien war u.a. Bestimmt:

“Die Leistungen des Vereins betragen bei Ausscheiden aus der Firma infolge Alter oder Invalidität nach mindestens

5-jähriger Betriebszugehörigkeit 5 %

für jedes weitere Jahr bis einschließl. 10-jähriger Betriebszugehörigkeit 1/2 %

für jedes weitere Jahr bis einschließl. 25 Jahre 3/4 %

ab 26. Betriebszugehörigkeitsjahr 1/2 %

des zuletzt bezogenen Bruttoeinkommens.

Der Rentenbetrag darf jedoch zur Wahrung des sozialen Charakters die in den gesetzlichen Bestimmungen des Bundesfinanzministers (Körperschaftssteuer, Durchführungsbestimmungen und Veranlagungsrichtlinien) festgelegten Höchstbeträge nicht überschreiten.

…”

Auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung des Unterstützungsvereins vom 26. April 1968 wurden wegen der schlechten Finanzlage des Vereins Einsparungen beschlossen. Im Mai 1968 wurden die bisherigen Richtlinien durch neue ersetzt. Die dienstzeit- und endgehaltsabhängige Berechnung der Leistungen für Alters- und Invalidenrenten blieb im wesentlichen unverändert. Zur Obergrenze der Rentenzahlung bestimmten die neuen Richtlinien:

“Die Rente darf die Höchstsumme von DM 4.000,-- pro Jahr bzw. DM 333,-- pro Monat nicht übersteigen.”

Am 5. Februar 1981 wurde die bisherige Satzung des Unterstützungsvereins aus dem Jahre 1946 durch eine neue Satzung ersetzt. Gleichzeitig wurden die Leistungen wiederum geändert. Dieser Änderung lag eine Gesamtbetriebsvereinbarung zugrunde. Eine weitere Gesamtbetriebsvereinbarung vom 5. Februar 1981 bestätigte die Begrenzung der Rente auf maximal 333,-- DM monatlich.

Der Kläger L… erhielt im Rahmen vorzeitigen Altersruhegeldes seit dem 5. Mai 1982 von der B… -Unterstützungskasse eine monatliche Betriebsrente von 235,-- DM. Der Kläger S… bezog seit 16. November 1984 eine Invalidenrente von 111,-- DM monatlich. Dabei wurde bei der Berechnung der Renten in beiden Fällen eine Höchstgrenze der Betriebsrente von monatlich 333,-- DM (= 4.000,-- DM jährlich) berücksichtigt. Ohne eine solche Höchstbegrenzung betrüge die monatliche Betriebsrente für den Kläger L… 421,24 DM und für den Kläger S… 384,75 DM.

Die Unterstützungskasse zahlte zunächst die von ihr berechneten Betriebsrenten. Am 15. März 1988 würde über das Vermögen des Trägerunternehmens, der P… GmbH & Co. KG, das Konkursverfahren eröffnet. Der beklagte PSV übernahm als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung die Rentenzahlungen für die Zeit ab 1. April 1988. 1990 verlangten beide Kläger eine neue Berechnung ihrer Renten.

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, ihre Betriebsrenten seien nach den Richtlinien aus dem Jahre 1960 zu berechnen. Diese Richtlinien enthielten keine Höchstbegrenzung. Die späteren Änderungen der Richtlinien hätten ihre Versorgungszusagen nicht wirksam im Sinne eines teilweisen Widerrufs eingeschränkt. Für eine Einschränkung habe es keinen Grund gegeben.

Die Kläger haben die Nachzahlung der monatlichen Differenzbeträge von 186,24 DM (421,24 DM ./. 235,-- DM) und 273,75 DM (384,75 DM ./. 111,-- DM) für die Zeit vom 1. März 1988 bis 31. Dezember 1990 und ab 1. Januar 1991 die Zahlung entsprechend erhöhter Betriebsrenten gefordert. Der Kläger L… hat beantragt,

  • den Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.332,16 DM nebst 4 % Zinsen seit 4. Februar 1991 zu zahlen;
  • den Beklagten zu verurteilen, ab 1. Januar 1991 über die bislang gezahlte Rente in Höhe von 235,-- DM hinaus weitere 186,24 DM, monatlich somit 421,24 DM zu zahlen.

Der Kläger S… hat beantragt,

  • den Beklagten zu verurteilen, an ihn 9.307,50 DM nebst 4 % Zinsen seit 5. Februar 1991 zu zahlen;
  • den Beklagten zu verurteilen, ab 1. Januar 1991 über die bislang gezahlte Rente in Höhe von monatlich 111,-- DM hinaus weitere 273,75 DM, monatlich sonach 384,75 DM zu zahlen.

Der beklagte PSV hat beantragt, die Klagen abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die Richtlinien 1960 seien wegen eines Verstoßes gegen die in der Satzung vorgesehene Begrenzung der Renten unwirksam gewesen. Zudem seien diese Richtlinien im Jahre 1968 wirksam geändert worden. Der Arbeitgeber habe seinerzeit Unterstützungskassenleistungen ändern oder sogar widerrufen dürfen, soweit er dabei den Gleichbehandlungsgrundsatz beachtet und nicht willkürlich gehandelt habe. Erst später habe die Rechtsprechung den Bestand von Versorgungszusagen stärker geschützt. Schließlich seien die Klageansprüche zumindest verwirkt, nachdem die Kläger über mehrere Jahre sowohl von dem Unterstützungsverein als auch nach der Insolvenz von dem Beklagten die unter Beachtung des Höchstbetrags ermittelte niedrigere Rente ohne Widerspruch in Empfang genommen hätten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage des Klägers L… stattgegeben. Die Klage des Klägers S… hat eine andere Kammer des Arbeitsgerichts abgewiesen. Gegen diese Entscheidungen haben der PSV und der Kläger S… Berufung eingelegt. Nach Verbindung beider Verfahren hat das Landesarbeitsgericht beide Klagen abgewiesen. Mit den Revisionen verfolgen die Kläger ihre Klageanträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Es muß geprüft werden, ob die 1968 beschlossene Begrenzung der Renten auf 4.000,-- DM jährlich wirksam war.

I. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts wurden die Zusagen durch die 1968 eingeführte Höchstbegrenzung auf 4.000,-- DM jährlich eingeschränkt.

1. Das Landesarbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen, weil den Klägern von Anfang an nur eine Versorgung mit einer Höchstbegrenzung von jährlich 4.000,-- DM zugesagt worden sei. Diese bereits in der Satzung des Unterstützungsvereins vom 3. Dezember 1946 enthaltene Höchstgrenze sei nicht abgeändert worden. Auch die Richtlinien 1960, die auf steuerrechtliche Höchstgrenzen zur “Wahrung des sozialen Charakters” verwiesen, hätten die in der Satzung festgelegten Höchstgrenzen nicht verändert. Die 1968 in die Richtlinien aufgenommene Höchstbegrenzung von 4.000,-- DM jährlich sei keine neue Höchstgrenze, sondern entspreche der maßgeblichen Satzung. Dieser Auslegung der Satzung und der Richtlinien folgt der Senat nicht.

Auszugehen ist von § 8 der Satzung des Unterstützungsvereins vom 3. Dezember 1946. Schon diese Satzungsbestimmung enthielt keine Höchstbegrenzung der Renten im Verhältnis zu den Begünstigten. Sie diente nur steuerrechtlichen Zwecken. Die Bestimmung stimmt nahezu wörtlich mit § 14 Nr. 2 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Körperschaftssteuergesetzes (Erste KStDVO) vom 6. Februar 1935 (RGBl. I S. 163, 165) überein. In dieser Verordnung sind die Voraussetzungen für die Befreiung der Pensionskassen und ähnlichen rechtsfähigen Kassen von der Körperschaftssteuer genannt. Die Kassen müssen eine “soziale Einrichtung” sein, was insbesondere dann gegeben sei, wenn die Leistungen der Kassen “als Pension 4.000,-- RM jährlich nicht übersteigen”. Aus dieser Übereinstimmung ist zu schließen, daß die Sicherung der Körperschaftssteuerbefreiung der alleinige Grund für die Höchstbegrenzung der Renten war. Damit hatte § 8 der Satzung nach seinem Sinn und Zweck gar keine feste betragsmäßige Begrenzung zum Inhalt, sondern verweist auf die jeweiligen steuerrechtlichen Höchstgrenzen für die Steuerbefreiung in den Durchführungsverordnungen zur Körperschaftssteuer.

Diese Auslegung der Satzung wird durch die im Jahre 1960 beschlossenen Richtlinien der Unterstützungskasse bestätigt. Danach darf der “Rentenbetrag zur Wahrung des sozialen Charakters die in den gesetzlichen Bestimmungen des Bundesfinanzministers (Körperschaftssteuer, Durchführungsbestimmungen und Veranlagungsrichtlinien) festgelegten Höchstbeträge nicht überschreiten”. Die Richtlinien 1960 beruhen auf der Satzung der Unterstützungskasse. Sie konnten und wollten die Satzung nicht abändern. Sie verdeutlichen nur, was in § 8 der Satzung mit den Worten “zur Wahrung des sozialen Charakters” gemeint ist. Für die Höchstgrenzen der Renten sollen die jeweiligen Steuergrenzen gelten. Die Richtlinien 1960 stehen damit in voller Übereinstimmung mit der Satzung aus dem Jahre 1946. Über die vom beklagten Pensions-Sicherungs-Verein angesprochene Frage der Wirksamkeit satzungswidriger Richtlinien hat der Senat hier nicht zu entscheiden.

2. Erst durch die Richtlinien 1968 wurde eine feste Höchstgrenze für Leistungen der Unterstützungskasse von 4.000,-- DM jährlich eingeführt. Diese Richtlinien schränkten die bisherige Versorgungsordnung wesentlich ein. Die bisher von steuerrechtlichen Vorgaben abhängigen Höchstgrenzen waren nämlich vor 1968 mehrfach angehoben worden. Die steuerrechtliche Höchstgrenze betrug 1968 schon 12.000,-- DM jährlich (vgl. § 10 Abs. 3 KStDV 1961 vom 6. Juni 1962 – BGBl. I S. 413).

II. Damit hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob die Zusagen an die Arbeitnehmer 1968 wirksam eingeschränkt werden konnten. Eingriffe in Versorgungsansprüche und Anwartschaften der Arbeitnehmer sind nicht beliebig zulässig. Erworbene Rechte können nur aus besonderem Grund entzogen werden. Es gelten die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit. Je stärker der Besitzstand ist, den die Arbeitnehmer erworben haben, um so gewichtiger muß der Grund sein, der einen Eingriff rechtfertigt.

1. Zu der Einschränkung der Versorgungszusagen war der Arbeitgeber im Jahre 1968 nicht schon deshalb berechtigt, weil in den Zusagen ein Rechtsanspruch auf Versorgungsleistungen ausgeschlossen war. Der Senat hat den Ausschluß des Rechtsanspruchs bei Unterstützungskassen (§ 1 Abs. 4 BetrAVG) in ständiger, durch das Bundesverfassungsgericht gebilligter Rechtsprechung (BVerfGE 65, 196 = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen; BVerfGE 74, 129 = AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen) als ein an sachliche Gründe gebundenes Widerrufsrecht verstanden und damit dem Arbeitnehmer durchaus einen Anspruch auf die zugesagten Leistungen eingeräumt. Die Bindung der Unterstützungskasse beruht auf dem Grundsatz des Vertrauensschutzes, der Verfassungsrang hat. Der Arbeitgeber nimmt die Betriebstreue der Arbeitnehmer als Vorleistung entgegen. Er würde treuwidrig handeln, wollte er die Gegenleistung mit dem Hinweis verweigern, er habe sich nicht rechtlich gebunden (BAGE 46, 80, 90 ff. = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu IV 1 der Gründe, mit Anmerkung von Schulin; BAGE 61, 273, 277 f. = AP Nr. 23 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu B 1 der Gründe). Die Einschränkung der Versorgung durch die Richtlinien 1968 bedarf daher zur Rechtfertigung sachlicher Gründe. Die rechtliche Position der begünstigten Arbeitnehmer ist nicht ungeschützt.

2. Welches Gewicht ein sachlicher Grund haben muß, um in die Rechtsposition der Arbeitnehmer einzugreifen, läßt sich nicht schematisch festlegen. Nicht alles, was aus der Sicht des Arbeitgebers und Trägers der Unterstützungskasse sachlich erscheinen mag, rechtfertigt es, gegebene Zusagen zu widerrufen und das darauf gegründete Vertrauen der Begünstigten zu enttäuschen. Das Gewicht des sachlichen Grundes richtet sich vielmehr auf der Seite des Arbeitgebers danach, ob die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen zur Zeit der Zusage, deren Fortbestand erwartet werden durfte, sich wesentlich verändert haben. Andererseits ist die – unterschiedliche – Stärke der rechtlichen Position der Arbeitnehmer und Rentner zu berücksichtigen. Je stärker der Besitzstand ist, um so gewichtiger muß der Grund sein, der einen Eingriff gestattet. Es gelten die Verfassungsgrundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit (BVerfGE 65, 196 = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu C III 1 der Gründe; BVerfGE 74, 129 = AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu B II 2 der Gründe).

Den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes wird nach der Rechtsprechung des Senats dann genügt, wenn den abgestuften Besitzständen der Arbeitnehmer entsprechend abgestufte, unterschiedlich gewichtige Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenübergestellt werden. Das Gewicht des Eingriffsgrundes muß der Stärke des Besitzstands entsprechen. Hiervon ausgehend lassen sich zwingende, triftige und sachlich-proportionale Gründe unterscheiden (vgl. im einzelnen die Urteile des Senats vom 17. April 1985 – BAGE 49, 57, 67 ff. = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu B II 3c (3) der Gründe, vom 17. März 1987 – BAGE 54, 261 = AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG Ablösung und vom 18. April 1989 – BAGE 61, 273 = AP Nr. 23 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen).

3. Zu Unrecht meint das Landesarbeitsgericht, die Kläger könnten sich nicht mit Erfolg auf die neuere Rechtsprechung zum Schutz der Versorgungsrechte berufen. 1968 hätten weniger strenge Prüfungsmaßstäbe gegolten. Das ist nicht richtig. Die Prüfungsmaßstäbe haben sich inhaltlich nicht verändert, sie wurden durch die neuere Rechtsprechung nur konkretisiert.

Zunächst hat der Senat nur geprüft, ob eine Kürzung der Billigkeit entspreche (z.B. Urteil vom 31. Mai 1968 – BAGE 21, 46 = AP Nr. 127 zu § 242 BGB Ruhegehalt; Urteil vom 17. Mai 1973 – BAGE 25, 194 = AP Nr. 6 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unterstützungskassen). Später hat der Senat hinsichtlich der Besitzstände zwischen dem erdienten Teil und den zugesagten Steigerungen unterschieden (BAGE 36, 327, 337 ff. = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu III der Gründe). Im Urteil vom 5. Juni 1984 (BAGE 46, 80 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen) hat der Senat bei den Eingriffsgründen im Anschluß an den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1983 (– 2 BvR 298/81 – AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen) erstmals den “triftigen Grund” als eigene Kategorie für die Gewichtung eines Eingriffsgrundes angewendet. In dem Urteil vom 17. April 1985 (BAGE 49, 57 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen) hat der Senat erstmals dem “triftigen Grund” die “erdiente Dynamik” als Kategorie des Besitzstandes zugeordnet. Die seither angewendete Skala von Besitzständen und Eingriffsgründen hat somit lediglich die Aufgabe, die allgemeinen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit, der Billigkeit also, zu verdeutlichen und für die Praxis handhabbar zu machen (Urteil des Senats vom 11. September 1990 – BAGE 66, 39, 43 f. = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Besitzstand, zu II 1 der Gründe). Die Rechtsprechung des Senats hat sich weiterentwickelt, sie hat sich aber nicht geändert. Die Frage eines verfassungsrechtlich begründeten Vertrauensschutzes bei Änderung einer ständigen Rechtsprechung (vgl. hierzu BVerfG Beschluß vom 28. September 1992 – 1 BvR 496/87 – DB 1992, 2511, zu II 2b der Gründe; Urteil des Senats vom 20. November 1990 – BAGE 66, 228 = AP Nr. 14 zu § 1 BetrAVG Ablösung) stellt sich hier nicht. Auch für Eingriffe in Versorgungsrechte im Jahre 1968 ist bei der Prüfung aus heutiger Sicht von der vom Senat vorgenommenen Dreiteilung der Besitzstände auszugehen.

4. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob die Einschränkung der Versorgungszusagen in Form eines Teilwiderrufs 1968 berechtigt war.

a) Die neue Versorgungsordnung 1968 greift in die von den Klägern zeitanteilig erdiente Dynamik ein. Dieser Eingriff ist den Klägern gegenüber nur wirksam, wenn er durch triftige Gründe gerechtfertigt ist. Die Richtlinien 1968 senken die bisher geltende Höchstbegrenzung für Altersrenten von 12.000,-- DM (Richtlinien 1960 i.V. mit § 10 Abs. 3 KStDV 1961 vom 6. Juni 1962) auf 4.000,-- DM jährlich herab. Damit greifen die Richtlinien zwar nicht in den nur ausnahmsweise antastbaren und insolvenzgeschützten Teilbetrag gemäß § 2 Abs. 1 BetrAVG ein. Die Kläger behaupten selbst nicht, sie hätten bereits im Mai 1968 nach der alten Versorgungsordnung eine Anwartschaft von 333,-- DM monatlich erdient. Die neue Höchstbegrenzung bewirkte aber, daß die weiteren Gehaltssteigerungen sich nicht mehr im bisherigen Umfang auswirken konnten. Erkennt man an, daß dienstzeitunabhängige Zuwächse der Versorgung bis zur Ablösung dieser Zusage zeitanteilig erdient werden können, dann hat der Arbeitnehmer insoweit Betriebstreue erbracht und vorgeleistet; dies kann nicht außer Betracht bleiben. Die Beseitigung der endgehaltsabhängigen Dynamik entzieht dem Arbeitnehmer nachträglich einen Teil des schon erdienten Entgelts (BAGE 66, 39, 45 = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Besitzstand, zu II 3a der Gründe). Ein solcher Eingriff ist nur durch triftige Gründe gerechtfertigt (BAGE 49, 57 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen).

b) Die vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen reichen für die Entscheidung, ob im Mai 1968 für den Arbeitgeber triftige Gründe für den Eingriff vorlagen, nicht aus. Wird aus wirtschaftlichen Gründen in die zugesagte Dynamik eingegriffen, ist dieser Eingriff nur berechtigt, wenn der Unternehmer die Rente nicht mehr aus Erträgen und Wertzuwächsen erwirtschaften konnte. Im Sinne eines Orientierungsmaßstabes (so zutreffend Otto, BAG EWiR § 1 BetrAVG 1/87, S. 331) hat der Senat auf die Anpassungsregelung nach § 16 BetrAVG hingewiesen (BAGE 49, 57, 68 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu B II 3c (3) der Gründe; BAGE 61, 273, 280 = AP Nr. 23 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu B 2 der Gründe). Danach braucht der Arbeitgeber die Renten nicht anzupassen, wenn dadurch die Gefahr entsteht, daß die Entwicklung des Unternehmens beeinträchtigt und seine Substanz aufgezehrt wird (BAGE 48, 272 = AP Nr. 17 zu § 16 BetrAVG; BAGE 48, 284 = AP Nr. 16 zu § 16 BetrAVG).

Das Landesarbeitsgericht hat zur Rechtfertigung der Kürzung der Versorgungsrechte der Kläger auf die im Jahre 1968 ungünstige Lage der Bauwirtschaft hingewiesen. Dieser allgemeine Hinweis auf die wirtschaftliche Situation einer Branche genügt nicht. Es kommt konkret darauf an, ob die P… GmbH & Co. KG im Mai 1968 ohne Beeinträchtigung der Entwicklung des Unternehmens wirtschaftlich in der Lage war, die Versorgungszusagen im vollen Umfang aufrechtzuerhalten. Ebenso geht der Hinweis auf die damalige Finanzschwäche der Unterstützungskasse fehl. Es kommt allein auf die Leistungskraft des Trägerunternehmens an. Das Trägerunternehmen muß für die Leistungsfähigkeit der Unterstützungskasse einstehen und die Leistungen selbst erbringen, wenn die Unterstützungskasse zahlungsunfähig wird (ständige Rechtsprechung, statt aller: BAGE 63, 260 = AP Nr. 10 zu § 161 HGB).

Das Landesarbeitsgericht hat deshalb die Leistungsfähigkeit des Unternehmens im Mai 1968 zu prüfen und zu entscheiden, ob ein zur Kürzung der endgehaltsabhängigen Dynamik geeigneter triftiger Grund vorlag. Dabei kann auch die Frage von Interesse sein, ob der Betriebsrat der Neuregelung 1968 zugestimmt hatte. Die Zustimmung des Betriebsrats kann ein Anzeichen dafür sein, daß 1968 ein Bedürfnis für die Neuregelung bestand (vgl. BAGE 66, 39, 46 = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Besitzstand, zu II 3a der Gründe). Dagegen kann es auf den Umstand, daß der Betriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung abgeschlossen hat, die im wesentlichen mit den Richtlinien 1968 übereinstimmt, nicht ankommen. Diese Tatsache sagt nichts darüber aus, ob es 1968 triftige Gründe für einen Eingriff in Versorgungsrechte gab.

III. Sollte das Landesarbeitsgericht danach die Ansprüche der Kläger auf höhere Betriebsrenten bejahen, kann der PSV sich nicht auf deren Verwirkung berufen.

Ein Anspruch kann verwirkt werden, wenn der Berechtigte mit der Geltendmachung seines Rechts längere Zeit zuwartet (Zeitmoment) und daneben besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer der Verpflichtete nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment) und wenn die Erfüllung der Forderung dem Schuldner nicht mehr zuzumuten ist (Zumutbarkeitsmoment).

Es ist bereits fraglich, ob die Kläger mit der Geltendmachung höherer Renten längere Zeit zugewartet haben. Die Kläger erhalten erst seit 1. April 1988 ihre Rentenzahlungen vom PSV. Beide Kläger haben im Jahre 1990 vom PSV Neuberechnung ihrer Renten auf der Grundlage der Richtlinie 1960 verlangt. Die Kläger haben sich jedenfalls nicht so verhalten, daß der beklagte PSV annehmen durfte, sie würden keine höhere Renten mehr verlangen. Die bloße widerspruchslose Entgegennahme einer zu niedrig berechneten Rente genügt für diese Annahme nicht.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Griebeling, Dr. Wittek, Fieberg, Eckharadt

 

Fundstellen

Haufe-Index 846739

BAGE, 372

BB 1993, 1292

NJW 1994, 77

JR 1993, 396

NZA 1993, 938

ZIP 1993, 1024

MDR 1994, 246

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