Leitsatz (amtlich)

1. In einem Streit über einen vermögensrechtlichen Anspruch dürfen in der Berufungs- und Revisionsinstanz die Gerichte für Arbeitssachen nicht von Amts wegen, sondern nur auf entsprechende Rüge der beklagten Partei hin prüfen, ob in der ersten Instanz das Arbeitsgericht trotz gegenteiliger Rüge der beklagten Partei seine sachliche Zuständigkeit zu Recht bejaht hat (Anschluß an die Rechtsprechung des BGH [BGHZ 49, 99 ff. = AP Nr. 12 zu § 528 ZPO] unter Aufgabe der bisherigen abweichenden Rechtsansicht des BAG).

2. Wer als Kommanditist auf Grund einer im Gesellschaftsvertrag begründeten Dienstpflicht für die Kommanditgesellschaft arbeitet, steht jedenfalls dann nicht in einem abhängigen und damit versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis zu der Gesellschaft, wenn die Gesellschafter auch in familienrechtlichen Beziehungen zueinander stehen und etwa vereinbarte Vorabentnahmen nicht von dem Umfang der Dienstleistungen abhängig sind.

 

Normenkette

ZPO §§ 528, 566; ArbGG § 2; BGB §§ 249, 611, 706 Abs. 3, § 823; HGB § 161 Abs. 2, § 105 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 25.10.1967; Aktenzeichen 1 Sa 533/67)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 25. Oktober 1967 – 1 Sa 533/67 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß die Beklagte ihm den Schaden zu ersetzen habe, der ihm aus der in der Zeit vom 1. Januar 1947 bis zum 31. Dezember 1965 unterlassenen Abführung von Beiträgen zur Rentenversicherung entstehen werde.

Der im Jahre 1909 geborene Kläger war seit 1928 ebenso wie sein Bruder in dem seinem Vater gehörenden Baugeschäft als Maurer tätig. Er erhielt zunächst neben Unterkunft und Kost nur ein geringes Taschengeld; seit 1936 bekam er einen Wochenlohn von zunächst 20,– RM, später 50,– RM. Beiträge zur Sozialversicherung wurden für ihn nicht geleistet.

Durch Vertrag vom 21. September 1946 wurde die beklagte Kommanditgesellschaft gegründet. Deren persönlich haftender Gesellschafter war der Vater des Klägers, während der Kläger und sein Bruder an ihr als Kommanditisten beteiligt waren, Über die Pflichten der Gesellschafter, ihre Gewinnbeteiligung und über Vorwegentnahmen war im Gesellschaftsvertrag folgendes vereinbart:

㤠4

Der Gesellschafter A. K., sen. bringt seine Arbeitskraft, seine Dienste und das von ihm begründete und seither betriebene Baugeschäft in die Gesellschaft ein. Diese Einlage wird mit 10.000,– RM, i.W. zehntausend Reichsmark, bewertet. Die Einlagen der Kommanditisten W. K. und A. K. jun. betragen für jeden von ihnen 5.000 RM, i.W. fünftausend Reichsmark. Die Kommanditisten sind verpflichtet, ihre ganze Arbeitskraft dem gemeinsamen Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Die mittelbare oder unmittelbare Beteiligung an einem gleichartigen Unternehmen ist allen Gesellschaftern nicht gestattet.

§ 5

Am Gewinn und Verlust nimmt Herr A. K., sen., zur Hälfte teil, während die Gesellschafter W. K. und A. K., jun., daran mit je einem Viertel beteiligt sind.

§ 6

Es können Herr A. K., sen., monatlich 600,– RM, i.W. sechshundert Reichsmark, die Herren W. K. und A. K., jun. monatlich je 300 RM, i.W. dreihundert Reichsmark, aus der Gesellschaftskasse entnehmen, die im Verhältnis der Gesellschafter untereinander nicht als Entnahme auf dem Kapital- oder Gewinnanteil angesehen werden. Eine Verzinsung der Einlagen findet nicht statt.”

Für den Fall des Todes eines Kommanditisten sah § 11 des Gesellschaftsvertrages folgendes vor:

„Stirbt ein Kommanditist, so treten seine Erben an seine Stelle. Die Erben haben eine Person zu bestimmen, die ihre Rechte gegenüber der Gesellschaft wahrnimmt. Die Entnahme nach § 6 fällt für die Erben weg”.

Der Kläger war bis 1966 in dem von der Kommanditgesellschaft betriebenen Baugeschäft mit der Bezeichnung eines Bauführers tätig. Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter oder Angestellten wurden für ihn nicht abgeführt. Im Jahre 1965 kam es zu Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern, die schließlich zur Auflösung der Beklagten führten; seit dem 1. Februar 1966 findet ihre Liquidation statt.

Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten gestanden. Deshalb hätten für ihn Beiträge zur Rentenversicherung abgeführt werden müssen. Der geschäftsführende Gesellschafter sei darauf hingewiesen worden.

Die Beklagte hat demgegenüber die Ansicht vertreten, der Kläger habe seine Dienste als Gesellschafter erbracht. Sie hat vor dem Arbeits- und dem Landesarbeitsgericht die Unzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen gerügt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt er sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I. 1. Das Landesarbeitsgericht hat die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen unter Berufung auf BAG AP Nr. 23 zu § 2 ArbGG 1953 und BAG 5, 178 [180,181] = AP Nr. 28 zu § 2 ArbGG 1953 [zu II] bejaht, weil es dafür allein auf die vom Kläger behaupteten Tatsachen, nicht aber auf den wahren Sachverhalt ankomme. Mit dieser Auffassung hat das Berufungsgericht die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts außer acht gelassen, nach der in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen ist, ob wirklich ein Arbeitsverhältnis vorliegt, das die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte begründet (BAG 15, 292 [295 ff.] = AP Nr. 26 zu § 2 ArbGG 1953 Zuständigkeitsprüfung mit Anm. von Bötticher; BAG 19, 355 [359 ff.] = AP Nr. 30 zu § 2 ArbGG 1953 Zuständigkeitsprüfung [zu. III] mit Anm. von Bötticher).

2. Die Beklagte hat die Rüge der sachlichen Unzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen in der Revisionsinstanz nicht wiederholt. Deshalb hat der Senat nicht zu prüfen, ob das Landesarbeitsgericht seine Zuständigkeit zu Recht bejaht hat. Denn in einem Streit über einen vermögensrechtlichen Anspruch ist in der Berufungs- und Revisionsinstanz von den Gerichten für Arbeitssachen die Frage, ob sie oder die ordentlichen Gerichte sachlich zuständig sind, nicht von Amts wegen, sondern nur auf entsprechende Rüge der beklagten Partei zu prüfen, wenn in der ersten Instanz das Arbeitsgericht trotz gegenteiliger Rüge der beklagten Partei seine sachliche Zuständigkeit bejaht hat. Die Begründung für diese Rechtsansicht des Senats ergibt sich aus seinem Beschluß vom 24. Januar 1969 (AP Nr. 13 zu § 528 ZPO mit Anm. von Baumgärtel = SAE 1969, 141 mit Anm. von Zeiss).

Der Erste, Zweite und Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts haben auf Anfrage erklärt, daß sie der Rechtsmeinung des Dritten Senats bei treten (Beschlüsse vom 1. April 1969 – 1 AR 107/69 –, vom 20. März 1969 – 2 AZR 493/62 und vom 20. Mai 1969 – 5 AR 154/69). Deshalb entfällt eine Anrufung des Großen Senats (§ 7 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesarbeitsgerichts in der Fassung vom 8. April 1960 [BAnz. Nr. 76 S. 3]).

Die Beklagte ist durch Mitteilung des Beschlusses vom 24. Januar 1969 und der Erklärungen der befragten Senate davon unterrichtet worden, daß entgegen der früheren überwiegenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die sachliche Zuständigkeit nur auf entsprechende Rüge geprüft werden würde. Sie hat gleichwohl eine solche Rüge, die ihr als Revisionsbeklagten auch noch nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist möglich gewesen wäre, nicht erhoben (BAG 17, 236 [238 f.] = AP Nr. 2 zu § 276 BGB Vertragsbruch; BAG AP Nr. 3 zu § 611 BGB Akkordkolonne).

II. In der Sache selbst ist die Revision nicht begründet. Die Beklagte ist zum Schadenersatz wegen unterlassener Beitragsentrichtung zur Rentenversicherung schon deshalb nicht verpflichtet, weil der Kläger seine Dienste für sie nicht als Arbeitnehmer, sondern als ihr Gesellschafter erbracht hat. Deshalb stand er nicht in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis, und die Beklagte konnte und brauchte für ihn keine Beiträge zur Rentenversicherung abzuführen. Im einzelnen gilt dazu folgendes:

1. Die Verpflichtung des Klägers, seine Arbeitskraft der Beklagten zur Verfügung zu stellen, ist in § 4 des Gesellschaftsvertrages begründet worden. In gleicher Weise hatten der andere Kommanditist und auch der Komplementär ausschließlich für die Gesellschaft tätig zu sein. Diese neben der kapitalmäßigen Beteiligung bestimmten Dienstleistungen aller Gesellschafter hatten, was nach dem Gesetz zulässig ist, ihre Wurzel im Gesellschaftsverhältnis der Beteiligten (vgl. § 161 Abs. 2, § 105 Abs. 2 HGB, § 706 Abs. 3 BGB), Die Arbeitsverpflichtung ist nicht als eine neben und unabhängig von dem Gesellschaftsverhältnis bestehende vertragliche Beziehung der Beteiligten zu der Kommanditgesellschaft begründet worden. Sie konnte deshalb auch nicht losgelöst vom Gesellschaftsvertrag aufgekündigt werden, wie das bei einem Arbeitsverhältnis möglich sein müßte.

2. Der Kläger hat geltend gemacht, er habe seine Dienstleistungen nach Weisungen des geschäftsführenden Gesellschafters der Beklagten erbracht. Auch das führt jedoch nicht zur Bejahung eines Arbeitsverhältnisses. Es ist zwar richtig, daß ein wesentliches Merkmal für ein Arbeitsverhältnis die weisungsgebundene Abhängigkeit des zur Dienstleistung Verpflichteten ist. Wenn jedoch wie hier die Dienste auf Grund und wegen der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung erbracht werden und der weisungsbefugte Gesellschafter der Vater der tätigen Kommanditisten ist, dann erhält die Weisungsunterworfenheit aus dieser familienrechtlichen Stellung ihr Gepräge und nicht aus einem Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis. Dabei spielt auch eine wesentliche Rolle das aus der Gesellschaftserstellung herrührende Eigeninteresse, durch geordnete und sinnvoll ausgerichtete Tätigkeit einen möglichst großen Nutzen für die Gesellschaft und deren Gewinnerzielung zu erreichen. Das bedingte einerseits eine Unterwerfung unter eine leitende Persönlichkeit, als die der Vater des Klägers schon auf Grund seiner familienhaften Stellung und erst in zweiter Linie auf Grund seiner Geschäftsführungsbefugnis in Betracht kam. Andererseits war eine Mitwirkung des Klägers an dem Gesellschaftszweck, Gewinn zu erwirtschaften, nur dann von dem größtmöglichen Nutzen, wenn sie sich nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses bewegte. Denn als Arbeitnehmer hätte er sich auf die diesen zustehenden Schutzvorschriften (Arbeitszeit, Urlaub usw.) berufen können, und der nach dem Gesellschaftsvertrag gemeinsam gewollte vollständige Einsatz aller Gesellschafter wäre schwieriger zu verwirklichen gewesen.

3. a) Neben der Begründung der Arbeitspflicht durch den Gesellschaftsvertrag und ihrer Abhängigkeit von dem Fortbestand der Gesellschafterstellung spricht die Höhe der Vorabentnahme von 300,– DM monatlich (§ 6 des Gesellschaftsvertrages) dagegen, hier ein entgeltliches Arbeitsverhältnis anzunehmen. Der genannte Betrag, der im Verlaufe von 20 Jahren nicht geändert wurde, stellte für den Kläger kein angemessenes Arbeitsentgelt für eine Bauführertätigkeit dar. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der andere Kommanditist den gleichen Betrag und der Komplementär den doppelten Betrag erhielten. Diese Leistungen sind ohne jede Beziehung zu den von den Gesellschaftern erbrachten Diensten festgesetzt. Wohl aber stehen sie den Gesellschaftern in demselben Verhältnis (2:1:1) zu wie die Gesellschaftsgewinne nach § 5 des Gesellschaftsvertrages. Für die nach dem Vertrage vom 21. September 1946 zur Mitarbeit verpflichteten Gesellschafter stellten die Vorwegentnahmen deshalb praktisch Gesellschaftsgewinne dar. Zwar ist in dem Gesellschaftsvertrag gesagt, diese Entnahmen würden nicht auf den Kapital- oder Gewinnanteil angerechnet. Das kennzeichnet sie jedoch nicht als Arbeitsentgelt. Tatsächlich ist die Vorwegentnahme dann, wenn die Gesellschaft mit Gewinn arbeitet, doch vorweggenommener Gesellschaftsgewinn, weil sie dem Verhältnis der Gewinnanteile entspricht. Arbeitet die Gesellschaft nicht mit ausreichendem Gewinn, dann ist die Vorwegentnahme ebenfalls kein Arbeitsentgelt; denn dann ist sie entweder überhaupt nicht oder nur aus der Substanz der Gesellschaft oder unter Inanspruchnahme von Krediten zahlbar. In jedem Falle war die Vorwegentnahme für die Gesellschafter von dem Umfang ihrer Dienstleistung unabhängig und hatte deshalb insoweit nicht Entgeltcharakter.

b) Dem steht nicht entgegen, daß beim Tode eines Kommanditisten für die an seine Stelle tretenden Erben die Vorwegentnahme wegfallen sollte (§ 11 des Gesellschaftsvertrages). Dieser Regelung ist zwar zu entnehmen, daß die Vorwegentnahme eine Tätigkeit für die Beklagte voraussetzt. Für die entnahmeberechtigten Kommanditisten handelt es sich gleichwohl nicht um Arbeitsentgelt, weil sie nach dem zu 1. und 2. Dargelegten nicht in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten gestanden haben.

4. Da der Kläger nach den vorstehenden Überlegungen nicht Arbeitnehmer der Beklagten war, sondern seine Dienste als Kommanditist erbracht hat, fehlt es an einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis. Die Beklagte hat daher keine Rechtspflicht vertraglicher oder deliktischer Art dadurch verletzt, daß sie den Kläger nicht bei der Rentenversicherung versichert hat. Dem entspricht die fast 20-jährige praktische Handhabung der Parteien, von denen angenommen werden muß, daß sie sich des Unterschiedes zwischen Arbeits- und Gesellschaftsverhältnis im Grunde in der Laiensphäre bewußt sein mußten.

III. Die Revision des Klägers erweist sich sonach als unbegründet und mußte daher zurückgewiesen werden.

 

Unterschriften

gez. Dr. Stumpf, Bundesrichter Dr. Gröninger ist durch Krankheit an der Unterschrift verhindert Dr. Stumpf, Dr. Thomas, Helmschrott, Moritz

 

Fundstellen

Haufe-Index 776549

BAGE, 236

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