BMF, 24.3.2020, III C 3 - S 7172/19/10002 :003

I.

Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) am 29. Dezember 2016 wurde das Leistungsrecht für Menschen mit Behinderungen mit Wirkung zum 1. Januar 2020 reformiert. Die bisher für in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe lebende Menschen mit Behinderungen von den Trägern der Sozialhilfe finanzierten und erbrachten sog. „Komplexleistungen” nach dem SGB XII werden künftig bei erwachsenen Menschen mit Behinderungen in der Regel in behinderungsbedingte Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX 2 (sog. Fachleistungen) und in existenzsichernde Leistungen nach dem SGB XII (u. a. Regelsatz, Bedarfe für Unterkunft und Heizung) getrennt. Die Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX 2 (bisher im 6. Kapitel SGB XII verankert) werden künftig nicht mehr abhängig von der Wohnform, sondern personenzentriert erbracht. Infolge dessen wurde auch die bisherige Aufgliederung in ambulante, teilstationäre und vollstationäre Leistungen zum 1. Januar 2020 aufgegeben. Dies hat zur Folge, dass die Begrifflichkeit der „Einrichtung” im neuen Leistungsrecht der Eingliederungshilfe (SGB IX 2) nicht mehr verwendet wird, sondern sowohl (teil)stationäre Einrichtungen als auch ambulante Dienste als „Leistungserbringer” bezeichnet werden. Im SGB XII tritt an die Stelle der Begrifflichkeit der bisherigen „stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe” die Begrifflichkeit der „besonderen Wohnformen”.

In Folge der Änderungen im SGB IX sowie im SGB XII wurde durch Artikel 17 BTHG zum 1. Januar 2018 § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe e, f und h UStG und durch Artikel 20 Abs. 7 des BTHG zum 1. Januar 2020 § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe l UStG angepasst.

II.

Unter Bezugnahme auf die Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Behandlung der im Zusammenhang mit den Änderungen durch das BTHG von den Einrichtungen erbrachten Leistungen Folgendes:

  1. Verträge nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG)

    Ein Wohn- und Betreuungsvertrag, der unter das WBVG fällt und auf Grund dessen dem Bewohner Wohnraum, Pflege- und Betreuungsleistungen und ggf. Verpflegung als Teil der Betreuungsleistung zur Verfügung gestellt wird, ist umsatzsteuerrechtlich als Vertrag besonderer Art nach Abschnitt 4.12.6 UStAE anzusehen, so dass die Umsätze aus diesen Wohn- und Betreuungsverträgen insgesamt unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe h UStG fallen können.

  2. Verträge außerhalb des WBVG

    Werden Pflege- und Betreuungsleistungen sowie weitere Leistungen aufgrund getrennter Verträge von einem Leistungserbringer außerhalb des Anwendungsbereichs des WBVG erbracht, sind die aus der Versorgung der hilfsbedürftigen Personen erzielten Umsätze als mit dem Betrieb einer Einrichtung (Leistungserbringer) zur Betreuung oder Pflege eng verbundene Umsätze nach § 4 Nr. 16 UStG anzusehen.

    Das gilt auch für die durch Werkstätten für behinderte Menschen erbrachten Verpflegungsleistungen an Menschen mit Behinderungen; diese Leistungen sind als eng mit der Betreuung in Werkstätten für behinderte Menschen verbundene Umsätze nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe f UStG anzusehen.

III.

Daher wird der Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) vom 1. Oktober 2010, BStBl 2010 I S. 864, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 23. März 2020 – III C 3 – S 7279/19/10003 :002 (2020/0258168), BStBl 2020 I S. XXX, geändert worden ist, wie folgt geändert:

1. In Abschnitt 4.12.6 Absatz 2 wird nach Nummer 15 folgende Nummer 16 angefügt:
   
    „16. 1Eine Einrichtung stellt ihren Bewohnern aufgrund eines Wohn- und Betreuungsvertrags, der unter das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) fällt, Wohnraum, Pflege- und Betreuungsleistungen und ggf. Verpflegung als Teil der Betreuungsleistung zur Verfügung. 2Die nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a UStG steuerfreie Vermietung von Grundstücken tritt hinter diese Leistungen zurück. 3Für die Umsätze aus diesen Wohn- und Betreuungsverträgen kommt insgesamt die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe h UStG in Betracht.”
2. Abschnitt 4.16.3 wird wie folgt geändert:
   
  a) Absatz 1 wird wie folgt gefasst
     
    „(1) Sofern Betreuungs- oder Pflegeleistungen an hilfsbedürftige Personen von Einrichtungen erbracht werden, die nicht nach Sozialrecht anerkannt sind und mit denen weder ein Vertrag noch eine Vereinbarung nach Sozialrecht besteht, sind diese nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe l UStG steuerfrei, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 25 % der Fälle dieser Einrichtung von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung, den Trägern der Sozialhilfe, den Trägern der Eingliederungshilfe nach § 94 SGB IX oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind.”

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