Leitsatz

1. Aufwendungen i.S. des § 33 Abs. 1 EStG sind grundsätzlich in dem Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen, in dem der Steuerpflichtige sie geleistet hat.

2. Eine abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO ist atypischen Ausnahmefällen vorbehalten. Sie kommt nicht bereits dann in Betracht, wenn sich Aufwendungen im Veranlagungszeitraum der Verausgabung nicht in vollem Umfang steuermindernd ausgewirkt haben.

 

Normenkette

§ 33, § 10d, § 7 EStG, § 163, § 5 AO, § 82b EStDV

 

Sachverhalt

Die im Jahr 2004 geborene Tochter der Kläger ist schwer- und mehrfachbehindert. Sie wird im Elternhaus gepflegt und betreut. Im Jahr 2011 bauten die Kläger ihr Haus für insgesamt 165.981 EUR behindertengerecht um. In ihrer Einkommensteuererklärung für 2011 machten die Kläger Umbaukosten i.H.v. 60.000 EUR als außergewöhnliche Belastungen geltend und beantragten, den Restbetrag auf die folgenden beiden Veranlagungszeiträume zu verteilen. Das FA erkannte die geltend gemachten Aufwendungen weitgehend an und setzte die Einkommensteuer 2011 auf 0 EUR fest. Eine Verteilung der Aufwendungen auf mehrere Jahre im Wege einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen lehnte das FA ab. Einspruch und Klage blieben erfolglos (FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 23.4.2015, 3 K 1750/13, Haufe-Index 8310842, EFG 2015, 1207).

 

Entscheidung

Die Revision der Kläger wies der BFH aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Die Entscheidung über einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO), bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden. Die Unbilligkeit kann sich aus persönlichen oder sachlichen Gründen ergeben.

2. Bei der Entscheidung über eine sachliche Billigkeitsmaßnahme ist auf den Einzelfall abzustellen. Sie ist atypischen Ausnahmefällen vorbehalten. Billigkeitsmaßnahmen dienen der Anpassung des steuerrechtlichen Ergebnisses an die Besonderheiten des Einzelfalls, um Rechtsfolgen auszugleichen, die das Ziel der typisierenden gesetzlichen Vorschrift verfehlen und deshalb ungerecht erscheinen. Sie gleichen Härten aus, die der steuerrechtlichen Wertentscheidung des Gesetzgebers nicht entsprechen und damit zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führen. Sachlich unbillig ist die Erhebung einer Steuer vor allem dann, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwider läuft.

3. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, kann deshalb keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen.

4. Bei Heranziehung dieser Grundsätze ist das FA ermessensfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nicht in Betracht kommt. Denn im Streitfall widerspricht die vorgenommene Besteuerung nicht den Wertungen des Gesetzes.

5. Wirken sich außergewöhnliche Belastungen in dem VZ, in dem sie geleistet werden, mangels eines hinreichenden Gesamtbetrags der Einkünfte nicht aus, sieht das Gesetz keine Möglichkeit vor, den restlichen Betrag in einen anderen VZ zu übertragen oder – ähnlich der Regelung in § 82b EStDV – auf mehrere Veranlagungszeiträume zu verteilen. § 10d EStG gilt nur für Einkünfte, nicht aber für außergewöhnliche Belastungen oder Sonderausgaben. Ebenso fehlt eine § 7 EStG oder § 82b EStDV vergleichbare Regelung in § 33 EStG.

Eine Gesetzeslücke, die eine analoge Anwendung des § 7 EStG, § 82b EStDV oder § 10d EStG ermöglichen würde, liegt nicht vor. Aus der gesetzlichen Reihenfolge in § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG, wonach negative Einkünfte vorrangig vor den Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen in den vorangegangenen VZ rückgetragen werden, lässt sich im Gegenteil im Einklang mit dem Gesetzeswortlaut in § 33 EStG der Grundsatz ableiten, dass derjenige, der keine positiven Einkünfte erzielt, auch keine privaten Aufwendungen abziehen kann, und zwar sowohl intra- als auch interperiodisch.

6. Die Steuerunerheblichkeit von den Gesamtbetrag der Einkünfte überschreitenden außergewöhnlichen Belastungen ist damit der einkommensteuerlichen Systematik, insbesondere der in § 2 EStG vorgegebenen Ermittlung des zu versteuernden Einkommens, geschuldet und kann daher in der Regel eine hiervon abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nicht rechtfertigen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 12.7.2017 – VI R 36/15

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