Leitsatz

1. a) Es beeinträchtigt weder die Gesetzesbindung der Gerichte noch den Anspruch des Einzelnen auf wirksame gerichtliche Kontrolle nach Art. 19 Abs. 4 GG, wenn die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch gesetzliche Verweisung auf bestimmte Verwaltungsvorschriften oder sonstige untergesetzliche Regelwerke erfolgt oder wenn die konkretisierende Heranziehung solcher Vorschriften oder Regelwerke in vergleichbarer Weise auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht.

b) Die Heranziehung der Klassifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts zur Zuordnung eines Betriebs zum verarbeitenden Gewerbe i.S.d. Investitionszulagengesetzes 1999 beruht auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage.

2. Von Gerichten nicht oder nur eingeschränkt überprüfbare Letztentscheidungsbefugnisse über Rechte des Einzelnen dürfen der vollziehenden Gewalt nur aufgrund eines Gesetzes eingeräumt werden. Dabei hat es der Gesetzgeber in der Hand, den Umfang und Gehalt der subjektiven Rechte der Bürger zu definieren und damit mit entsprechenden Folgen für den Umfang der gerichtlichen Kontrolle auch deren Rechtsstellung gegenüber der Verwaltung differenziert auszugestalten.

3. Will der Gesetzgeber gegenüber von ihm anerkannten subjektiven Rechten die gerichtliche Kontrolle zurücknehmen, hat er zu berücksichtigen, dass die letztverbindliche Normauslegung und die Kontrolle der Rechtsanwendung im Einzelfall grundsätzlich den Gerichten vorbehalten ist. Die in Art. 19 Abs. 4 GG garantierte Wirksamkeit gerichtlichen Rechtsschutzes darf der Gesetzgeber nicht durch die Gewährung behördlicher Letztentscheidungsbefugnisse für ganze Rechtsgebiete oder Sachbereiche aufgeben. Die Freistellung der Rechtsanwendung von gerichtlicher Kontrolle bedarf stets eines hinreichend gewichtigen, am Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes ausgerichteten Sachgrundes.

4. Nehmen Gerichte eine gesetzlich nicht vorgesehene Bindung an behördliche Entscheidungen an, verstößt dies gegen Art. 19 Abs. 4 GG.

5. Mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar sind Verfahrensstufungen in Form bindender Vorentscheidungen, die durch den Angriff gegen die Endentscheidung nicht mehr oder nur eingeschränkt einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden können, nur, sofern – erstens – die Bindung einer Behörde an vorangehende Feststellungen oder Entscheidungen einer anderen Behörde sich hinreichend klar aus dem Gesetz ergibt, – zweitens – gegen die mit Bindungswirkung ausgestattete Teil- oder Vorentscheidung ihrerseits effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht und – drittens – die Aufspaltung des Rechtsschutzes mit einer etwaigen Anfechtungslast gegenüber der Vorentscheidung für den Bürger deutlich erkennbar und nicht mit unzumutbaren Risiken und Lasten verbunden ist.

 

Normenkette

§ 2 Abs. 2 InvZulG 1999

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GmbH, die für ihre Auftraggeber Altasphalte aus dem Straßenbau und Altbeton in die gewünschte Größe zerkleinert. Das Material verbleibt bei den Auftraggebern, die über die weitere Verwendung bestimmen. Im Herbst 2004 erwarb die Klägerin einen Lkw, einen Radlader, eine mobile Siebanlage und eine Brechanlage, für die sie eine Investitionszulage von 27,5 % beantragte. Das Statistische Bundesamt teilte mit, nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2003, setze die Eingruppierung als verarbeitendes Gewerbe in Abteilung 37 "Recycling" voraus, dass Altmaterialien und Reststoffe zu Sekundärrohstoffen verarbeitet würden. Bei dem von der Klägerin zerkleinerten Straßenbruchmaterial, das als Füllstoff für den Unterboden von Straßen verwendet werde, handele es sich aber um ein Enderzeugnis. Für statistische Zwecke würde diese Art von Stoffen der "Gewinnung von Kies und Sand" zugeordnet. Das FA lehnte daher die beantragte Investitionszulage für 2004 ab.

Die Sprungklage hatte Erfolg. Das FG entschied durch Zwischenurteil, dass das Unternehmen der Klägerin dem verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen sei. Die Einstufung durch das Statistische Bundesamt sei offenkundig unzutreffend. Der BFH hielt die statistische Einordnung dagegen nicht für offenkundig unzutreffend, sondern für richtig. Er hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab.

 

Entscheidung

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg, das Verfassungsgericht hob das BFH-Urteil auf und verwies zurück (Vorinstanz: BFH, Urteil vom 25.01.2007, III R 69/06, BFH/NV 2007, 1187).

 

Hinweis

1. Die Förderung der Anschaffung und Herstellung neuer abnutzbarer beweglicher Wirtschaftsgüter durch das InvZulG hängt von den Merkmalen des investierenden Betriebs ab. Begünstigt sind Investitionen durch Betriebe des verarbeitenden Gewerbes oder produktionsnaher Dienstleistungen (§ 2 Abs. 2 InvZulG 1999, § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a InvZulG 2007, § 2 Abs. 1 i.V.m. § 3 InvZulG 2010). In sensiblen Sektoren ist die Förderfähigkeit eingeschränkt oder ausgeschlossen (§ 3 Abs. 2 S. 2 InvZulG 2010). Durch Änderungen des InvZulG wurden diese Voraussetzungen in der Vergangenheit mehrfach erweitert oder eingeschränkt.

2. De...

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