Leitsatz

1. Hat ein Kindergeldberechtigter Kindergeld von einer Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit bezogen und nimmt aufgrund seines Arbeitsverhältnisses im öffentlichen Dienst die Familienkasse des Dienstherrn die Zahlung von Kindergeld auf, kann die nun sachlich unzuständige Familienkasse die Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 2 EStG aufheben.

2. Die fünfjährige Festsetzungsfrist aufgrund leichtfertiger Steuerverkürzung endet nicht, bevor die Verfolgung der Steuerordnungswidrigkeit verjährt; die Verfolgungsverjährung beginnt jedoch erst mit der letztmals zu Unrecht erlangten Kindergeldzahlung (Bestätigung des Senatsurteils vom 26. Juni 2014, III R 21/13, BFHE 247, 102, BStBl II 2015, 886).

 

Normenkette

§ 70 Abs. 2, § 68 Abs. 1, § 72 EStG, § 174 Abs. 2, § 171 Abs. 7, § 169 Abs. 1 und Abs. 2, § 378, § 384 AO, § 5 Abs. 1 Nr. 11 FVG

 

Sachverhalt

Der verheiratete Kläger war seit Mai 1995 zunächst als angestellte Lehrkraft zeitlich befristet beim Land Schleswig-Holstein beschäftigt und wurde zum 1.11.1999 verbeamtet. Die Familienkasse des Arbeitsamtes bewilligte Kindergeld für seine Tochter, das der Kläger im Februar 1996 mit Zustimmung seiner Ehefrau beantragt hatte. Dabei ging die Familienkasse davon aus, dass der Zeitvertrag des Klägers zum 31.3.1996 auslaufen würde. Tatsächlich wurde das Arbeitsverhältnis jedoch verlängert.

Nach seiner Verbeamtung erhielt der Kläger Kindergeld auch vom Dienstherrn. Diese Zahlungen wurden in den Gehaltsbescheinigungen aufgeführt und erfolgten nach den Feststellungen des FG ohne Antrag des Klägers und ohne formelle Kindergeldfestsetzung. Eine vom Kläger im November 2000 beim Dienstherrn eingereichte Erklärung zum Familienzuschlag enthielt unter der Rubrik "Kinder" Angaben zur Tochter, zum Kindschaftsverhältnis und zur Zahlung des Kindergeldes an den Kläger.

Die Verbeamtung blieb der Familienkasse der Arbeitsagentur unbekannt, sodass der Kläger das Kindergeld ab November 1999 zweifach vereinnahmte. Die Doppelzahlungen wurden erst 2008 durch einen Datenabgleich aufgedeckt.

Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes für November 1999 bis August 2008 auf. Der Kläger akzeptierte dies für den Zeitraum ab Januar 2005, erhob aber Einspruch gegen die Kindergeldaufhebung für November 1999 bis Dezember 2004.

Die Klage blieb ohne Erfolg (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 17.6.2015, 1 K 213/14, Haufe-Index 8415936, EFG 2015, 1818).

 

Entscheidung

Die Revision des Klägers war unbegründet: Die beklagte Familienkasse der Arbeitsagentur konnte die Festsetzung nach § 70 Abs. 2 EStG aufheben; Festsetzungsverjährung war wegen leichtfertiger Steuerverkürzung nicht eingetreten.

 

Hinweis

1. Der BFH hat bereits mehrere Fälle entschieden, in denen die Kläger Kindergeld langjährig doppelt bezogen hatten, d.h. sowohl von der Arbeitsagentur als auch vom öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber (§ 72 EStG). Dabei wurde nicht die Änderungsbefugnis der Familienkasse problematisiert (§ 174 Abs. 2 AO oder § 70 Abs. 2 EStG?), sondern die Festsetzungsverjährung bei strafbarem oder ordnungswidrigem Bezug von Kindergeld: Die fünf- oder zehnjährige Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 7 AO ist bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung gehemmt, die wiederum nicht bereits mit jeder einzelnen Kindergeldzahlung beginnt, sondern erst mit der letzten zu Unrecht erlangten Kindergeldzahlung.

2. Eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung wegen widerstreitender Festsetzung zugunsten des Klägers war im Streitfall problematisch, weil der Dienstherr gezahlt hatte, ohne einen Bescheid zu erteilen, und das FG auch keinen an den Dienstherrn gerichteten Kindergeldantrag des Klägers feststellen konnte. Der BFH ließ insoweit ausdrücklich offen, ob Erklärungen des Klägers zum besoldungsrechtlichen Familienzuschlag auch i.S.v. § 174 Abs. 2 Satz 2 AO als "Antrag oder ... Erklärung" zur Kindergeldfestsetzung zu werten wären.

3. Der BFH sieht im Wechsel der sachlichen Zuständigkeit der für die Kindergeldgewährung zuständigen Behörde – hier wegen dauerhafter Beschäftigung im öffentlichen Dienst oder Verbeamtung –, d.h. dem Übergang der Verpflichtung von einem auf einen anderen Rechtsträger, eine i.S.d. § 70 Abs. 2 EStG für den Anspruch auf Kindergeld erhebliche Änderung der Verhältnisse. Es folgte damit nicht dem Kläger, der (zutreffend) darauf hinwies, dass der Zuständigkeitswechsel von der Kindergeldkasse der Arbeitsagentur zu der des Dienstherrn keinen Einfluss auf die Person des Kindergeldberechtigten und auf die Höhe des Kindergeldanspruchs habe.

4. Im Hinblick auf die hier streitige Aufhebung nach § 70 Abs. 2 EStG ab November 1999 war unerheblich, ob die Familienkasse des Dienstherrn erst mit der Verbeamtung des Klägers zuständig wurde oder bereits zu einem früheren Zeitpunkt, weil sie auch für Angestellte im öffentlichen Dienst zuständig war, die länger als voraussichtlich sechs Monate beschäftigt sind (§ 72 Abs. 4 EStG). Denn die Aufhebung nach § 70 Abs. 2 EStG ist zwar "mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse" vo...

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