Abschnitt 1 Anzuwendende Vorschriften
100 Gesetzliche Bestimmungen
(1) Im Bußgeldverfahren wegen Ordnungswidrigkeiten im Sinne der Nummern 105 und 106 gelten, soweit die §§ 409 bis 412 AO und die in § 410 Abs. 1 Nummern 1 bis 12 AO aufgeführten und entsprechend anwendbaren Vorschriften der AO über das Strafverfahren keine speziellere Regelung treffen, die verfahrensrechtlichen Vorschriften des OWiG (§ 410 Abs. 1 AO) und nach Maßgabe des § 46 Abs. 1 OWiG sinngemäß die allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren.
(2) Bei Ordnungswidrigkeiten nach dem Steuerberatungsgesetz (vgl. Nummer 107) ist § 164 StBerG zu beachten.
101 Anwendung der Regelungen des Dritten Teils
Im Bußgeldverfahren wegen Ordnungswidrigkeiten im Sinne der Nummern 105 und 106 sind folgende Regelungen des Dritten Teils sinngemäß anzuwenden:
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1. Nummer 16 |
(Verhältnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren); |
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2. Abschnitt 4 |
(Einleitung des Strafverfahrens) mit Ausnahme der Nummer 26 Abs. 1 (sog. Legalitätsprinzip); |
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3. Abschnitt 5 |
(Verteidigung) mit Ausnahme der Nummer 35 Abs. 7 Satz 1, da insoweit § 49 OWiG gilt; |
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4. Abschnitt 6 |
(allgemeine Ermittlungsgrundsätze) mit Ausnahme der Nummer 39; |
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5. Abschnitt 7 |
(Vernehmung) mit Ausnahme der Nummer 53 Abs. 1 und Nummer 54 Abs. 1, soweit es um die Anordnung der Vorführung geht (vgl. Nummer 102 Abs. 2); |
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6. Abschnitt 8 |
(Durchsuchung und Beschlagnahme) mit Ausnahme der Nummer 57 Abs. 1 Nummer 2, der Nummer 61 sowie der Nummer 56 insoweit, als im Hinblick auf § 46 Abs. 3 OWiG eine Durchsuchung zum Zwecke der Ergreifung des Verdächtigen nicht zulässig ist (vgl. auch Nummer 102 Abs. 1); |
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7. Abschnitt 13 |
(Stellung der Finanzbehörde im Verfahren der Staatsanwaltschaft) mit Ausnahme der Nummer 92 Abs. 3, da insoweit § 49 OWiG gilt, sowie der Nummer 93; |
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8. Abschnitt 14 |
(Stellung der Finanzbehörde im gerichtlichen Verfahren) mit Ausnahme der Nummer 96; |
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9. Abschnitt 15 |
(Behandlung von Einwendungen) mit Ausnahme der Nummer 98 Abs. 3, 4 (vgl. Nummer 102 Abs. 2, Nummer 117). |
102 Abweichungen vom Strafverfahren
(1) Verhaftung, vorläufige Festnahme (vgl. Nummer 73), Postbeschlagnahme (vgl. Nummer 61) sowie Auskunftsersuchen (vgl. Nummern 144 ff.) über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, sind nicht zulässig (§ 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Dies gilt auch für die Überwachung der Telekommunikation.
(2) Kommen der Betroffene oder Zeugen einer Ladung der BuStra nicht nach, kann deren Vorführung nur vom Richter angeordnet werden (§ 46 Abs. 5 OWiG).
(3) Anders als im Strafverfahren (vgl. Nummer 79 Abs. 2 Satz 1, Nummer 84 Abs. 4) braucht der Betroffene vor Abschluss der Ermittlungen nicht vernommen zu werden, sondern es genügt, wenn ihm Gelegenheit gegeben wird, sich zu der Beschuldigung zu äußern (§ 55 Abs. 1 OWiG).
(4) Der Betroffene braucht auf sein Recht, auch schon vor seiner Vernehmung einen Verteidiger zu befragen oder einzelne Beweiserhebungen zu beantragen (vgl. Nummer 49 Abs. 1 Satz 2), nicht hingewiesen zu werden (§ 55 Abs. 2 OWiG), doch soll bei schwieriger Sach- und/oder Rechtslage ein entsprechender Hinweis gegeben werden.
103 Ermittlungsbefugnisse
(1) Die BuStra hat im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten, soweit das OWiG nichts anderes bestimmt (§ 46 Abs. 2 OWiG), und somit grundsätzlich die gleichen Ermittlungsbefugnisse wie bei der Verfolgung von Steuerstraftaten im selbständigen Verfahren. Zu den Einschränkungen vgl. Nummer 102.
(2) Verfolgt die Staatsanwaltschaft die Ordnungswidrigkeiten (vgl. Nummer 110), bleiben das Recht des ersten Zugriffs und die Pflicht zur unverzüglichen Aktenübersendung (vgl. Nummer 91 Abs. 1 Satz 3) bestehen (§ 53 Abs. 1 Satz 1 und 3 OWiG).
104 Opportunitätsprinzip
(1) Die Finanzbehörde hat im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach § 47 Abs. 1 OWiG Ordnungswidrigkeiten nach pflichtgemäßem Ermessen zu verfolgen (Opportunitätsprinzip). Das Opportunitätsprinzip ermöglicht es der Finanzbehörde, von der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit auch dann abzusehen, wenn die Verfolgungsvoraussetzungen an sich vorliegen. Auch bei Verdacht einer Ordnungswidrigkeit im Sinne der Nummern 105 bis 107 braucht sie daher ein Bußgeldverfahren nicht einzuleiten oder kann die Verfolgung, ggf. auch erst im späteren Verlauf des Verfahrens, in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht begrenzen oder ganz von ihr absehen; die Verfolgungsbegrenzung soll in den Akten vermerkt werden.
(2) Die Ermessensentscheidung hat sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nach sachlichen Gesichtspunkten zu treffen und dabei vor allem den Gleichheitsgrundsatz, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot (vgl. Nummer 3), die Bedeutung der Tat, den Grad der Vorwerfbarkeit und das öffentliche Interesse an der Verfolgung, das z. B. von der Häufigkeit derartiger Verstöße und der Wiederholungsgefahr abhängen kann, zu beachten (vgl. Nummer 82 Abs. 3).
(3) Trotz Verdachts kann von der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit nach den vorstehenden Absätzen in der Regel abgesehen werden, wenn der verkürzte Betrag oder der gefährdete Betrag insgesamt weniger als 5 000 € beträgt, sofern nicht ein beson...