Rz. 39

Nach § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB hat der Jahresabschluss der Kapitalgesellschaft unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft zu vermitteln. Der Gesetzgeber misst der Einhaltung dieser Generalnorm große Bedeutung bei. Das zeigt sich unter anderem darin, dass auch im Wortlaut eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks des Abschlussprüfers ausdrücklich auf die Generalnorm Bezug genommen wird (§ 322 Abs. 3 Satz 1 HGB). Weiterhin ist die Generalnorm auch von den nicht unter § 267a Abs. 3 HGB fallenden Kleinstkapitalgesellschaften i. S. d. § 267a Abs. 1 HGB einzuhalten, welche die Erleichterungen nach § 253 Abs. 1 Satz 5 HGB in Anspruch nehmen (vgl. hinsichtlich der Angaben unter der Bilanz Rz. 14c).

Führen besondere Umstände dazu, dass der Jahresabschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild im Sinne der Generalnorm nicht vermittelt, so sind im Anhang zusätzliche Angaben zu machen (§ 264 Abs. 2 Satz 2 HGB). Der Anhang hat also in solchen Fällen das durch Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung vermittelte Bild zu ergänzen und ggfs. zu korrigieren (vgl. Rz. 6). Das kann sowohl auf eine Verbesserung als auch auf eine Verschlechterung der dargestellten Verhältnisse hinauslaufen. Motiv für die Regelung des § 264 Abs. 2 Satz 2 HGB ist, dass "Abweichungen zwischen dem Gesamtbild, welches durch die Befolgung der einzelnen Normen bei den Jahresabschlussadressaten in Form von Erwartungen erzeugt wird, und der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung"[1] aufgedeckt werden. Solche besonderen Umstände sind jedoch nur in Ausnahmefällen anzunehmen. So ist beispielsweise im Regelfall kein Grund für eine Korrektur, dass aufgrund des Anschaffungskostenprinzips des § 253 HGB der Verkehrswert von Grund und Boden erheblich oberhalb der historischen Anschaffungskosten liegt, da eine solche Bildung stiller Reserven bei einem kundigen Bilanzadressaten als bekannt unterstellt werden darf.[2]

 

Rz. 40

Die Beispielfälle, die in der Literatur für die Angabepflichten gemäß § 264 Abs. 2 Satz 2 HGB angeführt werden, zeigen, dass es sich dabei meistens um Ausnahmesituationen handeln dürfte:[3]

  • Die im Jahresabschluss ausgewiesenen Gewinne stammen zum großen Teil aus Betriebsstätten in Ländern mit hoher Inflationsrate. Im Anhang ist hier auf die Qualifikation der betreffenden Gewinne als Scheingewinne hinzuweisen.[4]
  • Es bestehen erhebliche, im Abschluss quantitativ nicht erfassbare Risiken, z. B. aufgrund größerer wirtschaftlicher Aktivitäten des Unternehmens in politisch instabilen Regionen. Im Anhang müssen derartige Risiken genannt werden.
  • Das ausgewiesene Jahresergebnis spiegelt den wirtschaftlichen Erfolg der betrieblichen Aktivitäten im Geschäftsjahr nur verzerrt wider, weil der Bestand an unfertigen Erzeugnissen erheblich schwankt, insbesondere bei langfristiger Fertigung[5] und nicht gegebenen Möglichkeiten einer Teilgewinnrealisierung.[6] In dieser Lage sind ergänzende Angaben im Anhang notwendig.
  • Ein Ertragseinbruch am Ende eines Geschäftsjahres, der aufgrund der vorher positiven Ertragsentwicklung nicht ersichtlich wird.[7]
  • Auflösung erheblicher stiller Rücklagen, insbesondere wenn die entsprechenden Ertragskomponenten innerhalb des Betriebsergebnisses erfasst werden.[8]
  • Angaben zu ungewöhnlichen, rein bilanzpolitisch motivierten Maßnahmen, die wirtschaftspolitisch nicht begründbar sind und lediglich eine Verbesserung des Erscheinungsbildes am Bilanzstichtag bezwecken,[9]

    insbesondere aus Sale-and-Lease-back-Transaktionen.[10]

 

Rz. 41

Angabepflichten bestehen, wenn durch solche Sachverhalte das zutreffende Bild der tatsächlichen Verhältnisse erheblich verfälscht wird.[11] Es reicht nicht aus nur festzustellen, dass der Jahresabschluss kein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt; vielmehr sind alle Angaben zu geben, damit der Jahresabschluss das geforderte Bild vermittelt.[12]

Unabhängig davon, ob zur Vermittlung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes qualitative und/oder quantitative Angaben erforderlich sind, müssen diese Angaben hinreichend aussagekräftig (Beachtung des Gebots der Klarheit, Übersichtlichkeit, der Beschränkung auf das Wesentliche und der Präzision)[13] sein.

Jedoch konnten in der Praxis nur sehr selten zusätzliche Angaben aufgrund der Vorschrift des § 264 Abs. 2 Satz 2 HGB festgestellt werden.[14]

[1] Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 26. Aufl. 2021, S. 895.
[2] Vgl. Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 26. Aufl. 2021, S. 895; Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, 16. Aufl. 2021, S. 726 f.; Störk/Rimmelspacher, in Grottel u. a., Beck'scher Bilanz-Kommentar, 13. Aufl. 2022, § 264 HGB Rz. 52; nur in gravierenden Fällen eine Anhangangabe fordernd Reiner, in Schmidt/Ebke, Münchener Kommentar Handelsgesetzbuch, Bilanzrecht, 4. Aufl. 2020, § 264 HGB Rz. 89 und ähnli...

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