Um einen Amtshaftungsanspruch bejahen zu können, ist erforderlich, dass die Amtspflichtverletzung vom Amtsträger schuldhaft begangen wurde. Ob ein Verschulden vorliegt, ist nach einem objektiven Sorgfaltsmaßstab zu entscheiden[1] und erfolgt nach den Regeln des BGB.[2] Obwohl jede Schuldform, d. h. Vorsatz oder Fahrlässigkeit, ausreicht, ist die Unterscheidung für die Frage der anderweitigen Ersatzmöglichkeit (Subsidiaritätsklausel, § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB) bedeutsam.

[1] Seidel/Reimer/Möstl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2019 Rz. 216.
[2] Ahrens, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 2018 Rz. 69.

3.4.1 Vorsätzliche Amtspflichtverletzung

Vorsatz liegt vor, wenn der Amtsträger bewusst seine Amtspflichten verletzt oder zumindest die Möglichkeit einer Amtspflichtverletzung erkennt und billigend in Kauf nimmt.[1]

 
Praxis-Beispiel

Vorsätzliche Amtspflichtverletzung

Der Finanzbeamte wendet den Steuerpflichtigen begünstigende Verwaltungsregeln bewusst nicht an, weil er vom Steuerpflichtigen beim letzten Straßenfest beleidigt wurde.

Eine vorsätzliche Amtspflichtverletzung stellt die Ausnahme dar und ist nur schwer zu beweisen.

[1] Sprau, in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 839 BGB Rz. 51; Staudinger, in Hk-BGB, 10. Aufl. 2019, § 839 BGB Rz. 22.

3.4.2 Fahrlässige Amtspflichtverletzung

Der Regelfall ist die fahrlässige Amtspflichtverletzung. Es gilt der zivilrechtliche Fahrlässigkeitsmaßstab. Danach handelt derjenige fahrlässig, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 BGB), wobei auf die im Verkehr erforderliche, nicht auf die in der betreffenden Verwaltung übliche oder die nach dem Leistungsniveau des individuellen Amtsträgers zu erwartende Sorgfalt abzustellen ist. Die Fahrlässigkeit wird an denjenigen Kenntnissen und Einsichten gemessen, die für die Führung des übernommenen Amts im Durchschnitt erforderlich sind.[1] Entscheidend sind Kenntnis und Fertigkeiten des pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten.[2] Jeder Beamte muss die für sein Amt erforderlichen Rechts- und Verwaltungskenntnisse besitzen oder sich verschaffen.[3] Amtspflichtwidriges Verhalten kann nicht damit entschuldigt werden, dass es von einem jungen oder noch unerfahrenen Amtsträger an den Tag gelegt wurde.[4] Auch die häufig bemängelte unzureichende personelle und sachliche Ausstattung der Finanzverwaltung hat keinen Einfluss auf die Vorwerfbarkeit der Amtspflichtverletzung.[5] Eine Reduzierung der Sorgfaltspflicht resultiert daraus nicht.[6]

Für Finanzbeamte ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen, weil sie durch ihre Tätigkeit selbst Vollstreckungstitel schaffen können.

[1] Sprau, in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 839 BGB Rz. 52; Herrmann, Recht der öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen, 2. Aufl. 2011, S. 71.
[2] Ahrens, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 2018 Rz. 71.
[3] Kramarz, in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 14. Aufl. 2019, § 839 BGB Rz. 32; Stein/Itzel/Schwall, Praxishandbuch des Amts- und Staatshaftungsrechts, 2. Aufl. 2012 Rz. 146.
[4] Nissen, Amtshaftung der Finanzverwaltung, 2. Aufl. 2005, S. 70.
[5] Vgl. Schmidt, Allgemeines Verwaltungsrecht, 21. Aufl. 2018 Rz. 1094.
[6] Henneberg, Der Amtshaftungsprozess im Steuerrecht, 2008, S. 111.

3.4.3 Fehlerhafte Rechtsanwendung

Der Amtsträger hat die Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und sich danach aufgrund vernünftiger Überlegungen eine Rechtsmeinung zu bilden.[1] Dazu muss er alle üblichen Erkenntnisquellen ausnutzen: ESt- Richtlinien und Hinweise, Veröffentlichung im BStBl. oder in anderen Fachzeitschriften, Verfügungen der zuständigen Oberbehörden, Kommentare und grundlegende Lehrbücher. Dies gilt unabhängig vom Grad der Organisation innerhalb des jeweiligen FA.[2]

Der Amtswalter ist zur eigenen Prüfung der in Frage stehenden Sach- und Rechtsfragen verpflichtet. Er kann sich daher nicht "blind" auf die Stellungnahmen von anderen Fachbehörden verlassen. Er muss überprüfen, ob die Auskunft die von ihm aufgeworfenen Fragen abdeckt.[3]

Die fehlerhafte Rechtsanwendung ist zwar objektiv immer amtspflichtwidrig. Aber nicht jeder objektive Rechtsirrtum begründet einen Schuldvorwurf.[4] Kommt als Amtspflichtverletzung allein die von einem FG als fehlerhaft bewertete Rechtsanwendung in Betracht, steht einer hierauf gestützten Inanspruchnahme ein mangelndes Verschulden entgegen, wenn die vom FA vertretene Rechtsauffassung zumindest vertretbar war.[5] Die fehlerhafte Rechtsanwendung ist nur vorwerfbar, wenn sie gegen die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung oder den klaren und eindeutigen Wortlaut des Gesetzes verstößt.[6] Schon eine einzige Gerichtsentscheidung kann eine Klärung herbeiführen.[7]

Auch die Nichtbeachtung bekannter, aber noch nicht veröffentlichter Rechtsprechung stellt eine Amtspflichtverletzung dar.[8]

Eine schuldhafte Amtspflichtverletzung durch fehlerhafte Rechtsanwendung liegt nicht vor[9], wenn

  • der Amtsträger zwar von einer höchstrichterlichen Entscheidung oder gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung abweicht, zu der abweichenden, aber gut vertretbaren Auffassung jedoch erst nach sorgfältige...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge