Auch der "existenzvernichtende Eingriff" wurde lange als Fallkonstellation der Durchgriffshaftung behandelt, der einem Gesellschaftsgläubiger direkte Ansprüche gegen einen Gesellschafterverschafft, der die Rechtsform der juristischen Person missbraucht. Grundlage hierfür waren die BGH-Entscheidungen "Bremer Vulkan" und "KBV".[1] Mit dem "Trihotel"-Urteil[2] gab der BGH diese Einordnung des existenzvernichtenden Eingriffs auf und stuft ihn nun als Unterfall der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung gem. § 826 BGB ein. Dies hat der BGH in mehreren Folgeentscheidungen bestätigt.[3] Anknüpfungspunkt ist nicht mehr ein Missbrauch der Rechtsform, sondern eine sittenwidrige Schädigung. Anspruchsinhaber ist die Gesellschaft selbst, nicht mehr ihre Gläubiger. Damit liegt keine Durchgriffshaftung mehr vor, sondern eine Innenhaftung. Den Gläubigern bleibt nur, die Gesellschaftsansprüche durch Pfändung und Überweisung (§§ 829, 835 ZPO) an sich zu ziehen. Die Innenhaftung der Gesellschafter besteht unter folgenden Voraussetzungen:

  • Es muss ein gezielter, betriebsfremden Zwecken dienender Eingriff in existenznotwendige Vermögenswerte[4] oder Geschäftschancen[5] der Gesellschaft durch offene oder verdeckte Entnahmen vorliegen, z. B. durch die Vereinbarung eines Geschäftsbesorgungsvertrages ohne marktgerechte Gegenleistung[6], durch die Übertragung von Vermögenswerten (Patente, Betriebsgrundstücke etc.) ohne marktgerechte Gegenleistung, durch den Abzug von Finanzmitteln durch Ausschüttungen oder Entnahmen, beispielsweise im Rahmen von Cash-Pooling.[7]
  • Der Gesellschafter muss zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt haben. Es genügt nach neuerer Rechtsprechung des BGH bereits, wenn dem Gesellschafter bewusst ist, dass durch von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung veranlasste Maßnahmen das Gesellschaftsvermögen sittenwidrig geschädigt wird.[8] Der Gesellschafter muss dabei nicht die Absicht haben, die Gesellschaft oder deren Gläubiger zu schädigen. Auch muss ihm nicht bewusst sein, dass sein Verhalten sittenwidrig ist. Ausreichend ist, dass ihm die Tatsachen bewusst sind, die den Eingriff sittenwidrig machen. Dies ist nach dem BGH bereits dann anzunehmen, wenn die faktische dauerhafte Beeinträchtigung der Erfüllung der Verbindlichkeiten die voraussehbare Folge des Eingriffs ist und der Gesellschafter dies billigend in Kauf genommen hat.
  • Der Gesellschafter muss zumindest durch sein Einverständnis an dem Vermögensabzug mitgewirkt haben[9], z. B. indem der Aktionär im Vorstand oder bei einer Hauptversammlung für einen entsprechenden Beschluss stimmt. Die persönliche Haftung wird erstreckt auf Personen, die durch sonstige Einflussmöglichkeiten einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft zu deren Schaden ausüben können ("mittelbar faktischer Gesellschafter").[10]
  • Der Eingriff des Gesellschafters muss zur Folge haben, dass die Gesellschaft in Insolvenz oder Vermögenslosigkeit gerät (Kausalität).[11]
  • Der Eingriff muss zu einem Schaden der Gesellschaft führen (Kausalität des Eingriffs für den Schaden).[12]
  • Die Beweislast für die Existenzvernichtungshaftung trägt, einschließlich des vollen Kausalitätsnachweises, der Gläubiger oder der Insolvenzverwalter.[13]

Unter diesen Voraussetzungen haften die Gesellschafter gem. § 826 BGB gegenüber der Gesellschaft – nicht direkt gegenüber den Gläubigern – im Sinne einer bloßen Innenhaftung.[14] Dies ist neben dem Vorsatzerfordernis einer der wesentlichen Unterschiede zu den unter Ziff. 1.2 bis 1.4 behandelten Fällen der Durchgriffshaftung.

Der Anspruch kann neben den gesellschaftsrechtlichen Ansprüchen wegen Verstoßes gegen die Kapitalerhaltungsregeln gem. §§ 30, 31 GmbHG bestehen (Anspruchskonkurrenz).[15] Er besteht neben einer etwaigen Haftung des Vorstands nach §§ 92 Abs. 2, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG.[16]

Der BGH hat diese Grundsätze der Haftung für die GmbH entwickelt; sie sind richtigerweise auf die AG zu übertragen.[17]

 
Praxis-Tipp

Dokumentation im Protokoll

Erkennt ein Aktionär, dass eine Maßnahme existenzbedrohlichen Charakter haben kann, sollte er in der Hauptversammlung gegen den Beschluss stimmen und seine Stimmabgabe im Protokoll dokumentieren lassen. Liegt die Maßnahme trotz der Existenzbedrohung im Interesse der AG, d. h. ist sie nicht als "sittenwidrig" einzustufen, und will der Aktionär daher zustimmen, so ist es ratsam, das Interesse im Protokoll festzuhalten.

In der Insolvenz wird der Anspruch – im Gleichlauf mit den Ansprüchen gem. §§ 30, 31 GmbHG – vom Insolvenzverwalter geltend gemacht.[18] Wird im Falle der Vermögenslosigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt, können die Gesellschaftsgläubiger den Anspruch der Gesellschaft gegen den Gesellschafter pfänden und sich überweisen lassen.[19]

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