Die Ausgestaltung der AG als juristische Person gebietet es, zwischen dem Vermögen der Gesellschaft und dem Vermögen ihrer Gesellschafter streng zu trennen (Trennungsprinzip). Wer hinter einer juristischen Person steht, haftet unter normalen Umständen nicht für Schulden der juristischen Person – und umgekehrt.

 
Hinweis

Ausnahmsweise Haftung der Aktionäre

Nur ausnahmsweise kommt eine Haftung der Aktionäre für Verbindlichkeiten der Gesellschaft in Betracht, dann nämlich, wenn die Ausnutzung der rechtlichen Selbstständigkeit der juristischen Person mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht im Einklang steht und einen Rechtsmissbrauch bedeutet.[1]

Der BGH lässt teilweise einen objektiven Missbrauch der Rechtsform der juristischen Person genügen, ohne dass der Nachweis einer Missbrauchsabsicht erforderlich ist. Teilweise fordert der BGH aber auch ein subektives Element. Danach muss zu dem objektiven Element "ein subjektiver Gesichtspunkt hinzukommen, der das Verhalten des […] Gesellschafters als einen Verstoß gegen Treu und Glauben oder gegen die guten Sitten"[2] kennzeichnet.

Dogmatisch handelt es sich bei der Durchgriffshaftung um eine teleologische Reduktion des § 1 AktG mit der Folge, dass die Aktionäre gem. § 128 HGB (analog) persönlich haften, als hätten sie das Handelsgeschäft ohne Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen betrieben.[3] Aufgrund der Vielfalt der Sachverhalte, bei denen ein solcher Missbrauch gegeben sein kann, lässt sich keine allgemeine Regel aufstellen, unter welchen Voraussetzungen eine Durchgriffshaftung anzunehmen ist.

 
Hinweis

Fallgruppen

In der Praxis haben sich folgende Fallgruppen herauskristallisiert:

  • Vermögensvermischung,
  • Unterkapitalisierung,
  • Konzernverhältnisse.

Kein Bedarf für die Anwendung der Durchgriffshaftung besteht, wenn der Aktionär bereits aufgrund eines eigenständigen Verpflichtungsgrundes haftet. Verletzt der Aktionär durch sein Handeln ein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB oder hat er billigend in Kauf genommen, durch sein Handeln Gläubiger der AG zu benachteiligen (§ 826 BGB), z. B. bei einem existenzvernichtenden Eingriff[4], ergibt sich die persönliche Haftung bereits aus der allgemeinen Deliktshaftung. In diesen Fällen stützt die Rechtsprechung ihre Entscheidung in aller Regel auf diese generellen Normen, ohne auf die Grundsätze der Durchgriffshaftung einzugehen.[5] Einen Schädigungsvorsatz i. S. v. § 826 BGB setzt dabei freilich keine der Fallgruppen voraus.

Ein eigenständiger Verpflichtungsgrund kann zudem in einer Bürgschaftserklärung, einem Schuldbeitritt, einer Patronatserklärung oder in einem Garantievertrag bestehen. Ferner kommt eine persönliche Haftung des Aktionärs wegen eines Verschuldens bei Vertragsanbahnung (§§ 311 Abs. 3, 280 BGB) in Betracht, wenn der Aktionär an den Verhandlungen eines Dritten mit der AG teilnimmt und eine persönliche Gewähr für die Seriosität der AG und die Erfüllung des Vertrages übernommen hat.

[2] BGH, Urteil v. 4.5.1977, VIII ZR 298/75, BGHZ 68 S. 312, 315.
[3] BGH, Urteil v. 16.9.1985, II ZR 275/84, BGHZ 95 S. 330, 332 = NJW 1986 S. 188.
[4] S. zur Haftung gem. § 826 BGB wegen existenzvernichtenden Eingriffs Ziff. 1.5.
[5] Vgl. Bitter, in Scholz, GmbHG, § 13 Rn. 105.

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