Leitsatz

1. Die Ausübung von Antrags- oder Wahlrechten, die dem Grunde nach keiner zeitlichen Begrenzung unterliegen, kann geändert werden, solange der entsprechende Steuerbescheid nicht formell und materiell bestandskräftig ist.

2. Im Falle einer partiellen Bestandskraft kommt die Änderung nur in Betracht, wenn ihre steuerlichen Folgen nicht über den durch § 351 Abs. 1 AO gesetzten Rahmen hinausgehen.

3. Die Änderung eines Wahlrechts rechtfertigt auch dann für sich genommen die Änderung des Steuerbescheids nicht, wenn sie auf einer Änderung der wirtschaftlichen Geschäftsgrundlage beruht.

4. Die in der Rechtsprechung zum Veranlagungswahlrecht der Ehegatten entwickelten Grundsätze sind auf das Wahlrecht nach § 34 Abs. 3 EStG nicht übertragbar.

 

Normenkette

§ 157 Abs. 2, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 177 Abs. 2, § 350, § 351 Abs. 1, § 367 Abs. 2 Satz 3, § 367 Abs. 2a AO, , § 6b, § 6c, § 7b, § 10d, § 14a Abs. 5, § 26, § 34 Abs. 3 EStG, § 4 FördG, , § 9, § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG, , Art. 19 Abs. 4 GG

 

Sachverhalt

Die Klägerin K und ihr verstorbener Ehemann E wurden im Streitjahr 2002 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erklärten laufende gewerbliche Verluste aus einer Beteiligung an einer KG sowie einen Veräußerungsgewinn, für den sie den ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG beantragten. Das FA veranlagte antragsgemäß. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden höhere Beteiligungsverluste festgestellt, sodass das FA eine niedrigere Einkommensteuer festsetzte. Im Einspruchsverfahren beantragten K und E, auf die außerordentlichen Einkünfte nicht (mehr) den ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 3 EStG anzuwenden. Dies wurde vom FA abgelehnt. Das FG gab der Klage statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2013, 13 K 3624/11 E, Haufe-Index 6205783, EFG 2014, 201).

 

Entscheidung

Die Revision des FA war erfolgreich. Der BFH hat das Urteil des FG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die beantragte Änderung des Einkommensteuerbescheids sei nur in dem Umfang möglich, in dem dieser aus Gründen, die außerhalb der Änderung des Wahlrechts liegen müssten, verfahrensrechtlich geändert werden könne. Solche lägen im Streitfall nicht vor.

 

Hinweis

Dieses Urteil ist im Zusammenhang mit dem Urteil des X. Senats vom 27.10.2015 (X R 44/13, BFH/NV 2016, 664, BFH/PR 2016, 135) zu sehen. In diesem wurde entschieden, die Ausübung des Antrags- oder Wahlrechts werde dadurch begrenzt, dass die steuerlichen Auswirkungen nicht über den durch § 351 Abs. 1 AO gezogenen Rahmen hinausgehen dürften.

Ein solcher Sachverhalt lag dem Besprechungsurteil zugrunde, in dem im Einspruchsverfahren eine Änderung (keine ermäßigte Besteuerung gemäß § 34 Abs. 3 EStG) beantragt wurde, die im Ergebnis im Streitjahr sogar zu einer höheren Steuer geführt und sich so außerhalb des Änderungsrahmens des § 351 Abs. 1 AO befunden hätte. Hintergrund der beantragten Änderung war, dass dadurch der einmal im Leben zu gewährende ermäßigte Steuersatz gemäß § 34 Abs. 3 EStG in einem folgenden Veranlagungsjahr effektiver hätte eingesetzt werden können. Dies ist jedoch nicht möglich.

1. Der BFH weist zwar darauf hin, dass der Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG grundsätzlich frei widerruflich ist und eine gesetzliche Frist nicht besteht. Die der Änderung einer Wahlrechtsausübung entsprechende Änderung des Einkommensteuerbescheids setzt aber voraus, dass dieser aus anderen Gründen verfahrensrechtlich änderbar ist. Eine abweichende Wahlrechtsausübung begründet für sich genommen keine Änderungsmöglichkeit.

2. Die ständige Rechtsprechung des BFH lässt die Ausübung von Antrags- oder Wahlrechten, die dem Grunde nach keiner zeitlichen Begrenzung unterliegen, grundsätzlich nur zu, solange der entsprechende Steuerbescheid nicht formell und materiell bestandskräftig ist. Hierin liegt kein Widerspruch zur prinzipiell freien Widerruflichkeit derartiger Antrags- und Wahlrechte. Letztere trifft keine Aussage darüber, bis wann ein Widerruf verfahrensrechtlich noch berücksichtigt werden kann. Diese Rechtsprechung ist auch auf das Wahlrecht nach § 34 Abs. 3 EStG anzuwenden, das insoweit keine Besonderheiten erkennen lässt.

3. Die Änderung eines Antrags- oder Wahlrechts ist auch dann zuzulassen, wenn und soweit der Bescheid lediglich partiell noch nicht formell und materiell bestandskräftig ist. Das betrifft zunächst den teilweisen Nichteintritt der Bestandskraft infolge von Teileinspruchsentscheidungen nach § 367 Abs. 2a AO. Zudem erfasst es diejenigen Fälle, in denen Änderungsbescheide auf der Grundlage einer selbstständigen Änderungsvorschrift – etwa §§ 172ff. AO – die teilweise Durchbrechung der Bestandskraft bewirken.

4. Aus § 351 Abs. 1 AO folgt jedoch, dass die Änderung der Antrags- oder Wahlrechtsausübung nur dann möglich ist, wenn die dadurch zu erzielende Steueränderung den durch die partielle Durchbrechung der Bestandskraft gesetzten Rahmen nicht verlässt. Die Vorschrift begrenzt die Anfechtbarkeit und damit auch die durch den Einspruch bewirkte Änderbarkeit eines Änderungsbescheids au...

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