Leitsatz

1. Ein Einkommensteuerbescheid kann gemäß § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. auch dann geändert werden, wenn dem FA die von der zentralen Stelle übermittelten Daten in Bezug auf die als Sonderausgaben abziehbaren Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bereits im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung vorgelegen haben.

2. § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. ist keine Ermessens-, sondern eine Befugnisnorm.

 

Normenkette

§ 10 Abs. 2a, § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a EStG i.d.F. des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung, § 10 Abs. 2a, § 52 Abs. 24 Satz 5 EStG i.d.F. des BeitrRlUmsG

 

Sachverhalt

2010 machten die Kläger Beiträge zur privaten Krankenversicherung sowie zur Pflegeversicherung als Sonderausgaben geltend und wurden vom FA erklärungsgemäß veranlagt. In einer – dem FA bereits vorliegenden – Bescheinigung hatte die Krankenversicherung jedoch geringere Beiträge für den Basiskrankenversicherungsschutz bestätigt. Das FA ­änderte den Einkommensteuerbescheid 2010 dementsprechend.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG war der Auffassung, für die Änderung des Einkommensteuerbescheids habe es an einer Rechtsgrundlage gefehlt. Der Einkommensteuerbescheid habe weder nach § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG geändert werden können, der noch nicht anwendbar gewesen sei, noch sei eine Änderung nach § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. möglich gewesen. Die Voraussetzungen anderer Änderungsnormen seien ebenfalls nicht erfüllt.

 

Entscheidung

Die Revision des FA war begründet. Der BFH hob das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Das FG habe zu Unrecht eine Änderungsmöglichkeit gemäß § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG i.d.F. des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung verneint. Der Einkommensteuerbescheid habe gemäß § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. geändert werden müssen; das FA habe insoweit auch kein Ermessen gehabt.

 

Hinweis

1. Das Problem, das dem Besprechungsurteil zugrunde liegt, ist eher ein Übergangsproblem nach Einführung der unbegrenzten Abziehbarkeit der Beiträge für den Basiskrankenversicherungsschutz und die Pflegepflichtversicherung. Es trat aber im Jahr 2010 sehr häufig auf, da oft nicht zwischen den gezahlten Krankenversicherungsbeiträgen und den abziehbaren Beiträgen für den Basiskrankenversicherungsschutz unterschieden wurde. Hinzu kam, dass die Änderungsmöglichkeit von zwei FG – neben dem für diese Entscheidung erstinstanzlichen Hessischen FG (Hessisches FG, Urteil vom 7.4.2014, 6 K 2198/12, Haufe-Index 7417411) auch das FG Rheinland-Pfalz (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 1.10.2013, 1 K 2194/12, Haufe-Index 6990498, EFG 2014, 1478 zu Revisionsverfahren X R 36/14) – anders beurteilt wurde, sodass der X. Senat sich entschlossen hat, das Urteil amtlich zu veröffentlichen.

2. Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich im Rahmen des BeitrRLUmsG den Wortlaut des § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG geändert und klargestellt, dass ein Steuerbescheid zu ändern ist, soweit

(1) Daten nach den Sätzen 4, 6 und 7 vorliegen oder

(2) eine Einwilligung in die Datenübertragung nach Abs. 2 Satz 3 nicht vorliegt und sich hieraus eine Änderung der festgesetzten Steuer ergibt.

3. Diese Änderungsbefugnis hat der X. Senat auch bereits für § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. i.d.F. des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung bejaht. Sowohl der Wortlaut der Vorschrift, der Umkehrschluss zu anderen Änderungsvorschriften, die Entstehungsgeschichte und die Gesetzesmaterialien, Sinn und Zweck der Vorschrift, das Verhältnis zu § 173 Abs. 1 AO (§ 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. ist lex specialis) als auch die Gesetzesbegründung des BeitrRLUmsG stützen den Befund, dass das FA den Steuerbescheid ändern kann, auch wenn ihm die von der zentralen Stelle übermittelten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung bereits vorgelegen haben.

4. Der X. Senat stellt zudem fest, dass die durch § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG eingeräumte weitgehende Befugnis zur Änderung von Bescheiden im Zusammenhang mit der Abziehbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen eine konsequente Folge des in dieser Hinsicht automatisierten Besteuerungsverfahrens ist. Er hat deshalb auch keine Bedenken gegen die sich daraus ergebende Konsequenz, dass die Finanzverwaltung unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. die Steuerbescheide bis zum Ende der Festsetzungsfrist ändern und insoweit der materiellen Richtigkeit Vorrang vor der Bestandskraft geben kann.

5. Trotz des Wortlauts "kann geändert werden" ist § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG keine Ermessensvorschrift, sondern eine Befugnisnorm, da die Vorschrift keinerlei Kriterien erkennen lässt, die für eine Ermessensausübung leitend sein könnten.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 24.8.2016 – X R 34/14

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