Leitsatz

1. Für die verfassungsrechtlich gebotene Einkommensbesteuerung nach finanzieller Leistungsfähigkeit kommt es auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits an.

2. Der Gesetzgeber hat bei seiner Entscheidung, ob er Aufwand steuermindernd berücksichtigen will, die unterschiedlichen Gründe, die den Aufwand veranlassen, auch dann im Licht betroffener Grundrechte differenzierend zu würdigen, wenn solche Gründe ganz oder teilweise der Sphäre der privaten Lebensführung zuzuordnen sind.

3. Zur Begrenzung des Abzugs der Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung bei einer Beschäftigung am selben Ort auf insgesamt zwei Jahre durch das Jahressteuergesetz 1996.

 

Normenkette

§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG

 

Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer (Bf.) zu 1 ist Universitätsprofessor. Er lebt zusammen mit seiner Ehefrau seit 1980 mit Hauptwohnsitz in Frankfurt a.M.; diese arbeitet dort als selbstständige Redakteurin und Lektorin. Der Bf. zu 1 nahm 1994 einen Lehrauftrag an einer Universität in Berlin an, wo er einen zweiten Haushalt führt. Für die Zeit ab Mai 1996 (Ablauf der Zweijahresfrist) lehnte das FA Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten ab.

2. Der Bf. zu 2 ist Beamter im Dienst des Landes Rheinland-Pfalz. In der Zeit von 1992 bis 1999 war er auf Grund fortlaufender Abordnungen in Berlin tätig, wo er einen zweiten Haushalt führte. Nach Ablauf von zwei Jahren behandelte das FA (steuerfrei) ausgezahltes Trennungsgeld als Arbeitslohn (vgl. § 3 Nr. 13 Satz 2 EStG).

3. In beiden Fällen hatte das jeweilige FG die Klage abgewiesen. Die von den Bf. eingelegten Rechtsmittel (Revision bzw. Nichtzulassungsbeschwerde) hatten keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Das BVerfG entschied, dass die betreffenden Beschwerdeführer durch die finanzgerichtlichen Entscheidungen in ihren Grundrechten verletzt wurden. Die jeweiligen Entscheidungen des BFH wurden aufgehoben und beide Sachen dorthin zurückverwiesen.

 

Hinweis

1. Ausgangslage: Der BFH hatte in mehreren Entscheidungen befunden, der Gesetzgeber handele nicht willkürlich, wenn er in der Neuregelung (Jahressteuergesetz 1996) die frühere Rechtsprechung des BFH zur Zweijahresgrenze aufgreife und wenn er dabei – insoweit allerdings anders als die frühere Rechtsprechung – typisierend unterstelle, dass der bei der Begründung der doppelten Haushaltsführung vorhandene berufliche Anlass nach Ablauf von zwei Jahren entfalle oder zumindest so stark durch private Gründe überlagert sei, dass die ihrem Wesen nach gemischten Aufwendungen nicht mehr dem Bereich der Einkommenserzielung zugeordnet werden könnten. Der Gesetzgeber bewege sich mit der Zweijahresfrist innerhalb der Grenzen seines Beurteilungs- und Gestaltungsermessens.

2. Der vorliegende, seit langem mit Spannung erwartete Beschluss des BVerfG befasst sich mit der Zweijahresgrenze unter zwei Teilaspekten, nämlich den Fällen der sog. Kettenabordnung und jenen der beiderseits berufstätigen Ehegatten. In beiden Fällen ist die Zweijahresgrenze verfassungswidrig.

Bei diesen beiden Konstellationen sieht das BVerfG die der Zweijahresgrenze zugrunde liegende gesetzgeberische Erwägung als nicht hinreichend tragfähig an. Diese bestand darin, dass die private Entscheidung für die Beibehaltung des alten Wohnsitzes nach Ablauf einer Übergangsfrist als entscheidender privater Veranlassungsgrund für eine doppelte Haushaltsführung angesehen und deshalb der entsprechende Mehraufwand einkommensteuerrechtlich nicht berücksichtigt wurde.

3. Eine "Kettenabordnung" zeichnet sich dadurch aus, dass Dauer oder Verlängerung einer auswärtigen Tätigkeit weitgehend von den Belangen des Arbeitgebers geprägt wird. Eine zeitlich befristete Abordnung an eine auswärtige Tätigkeitsstätte wird immer wieder verlängert.

Nach Ansicht des BVerfG steht in einem solchen Fall die besondere Fremdbestimmtheit des Arbeitnehmers regelmäßig einer realitätsgerechten Anwendung einer Frist entgegen. Der Arbeitnehmer kann nämlich im Hinblick auf die von ihm nicht eigenständig bestimmbare Dauer seiner auswärtigen Berufstätigkeit keine sinnvolle Umzugsplanung entwickeln. Auch steht einem Wohnortwechsel gewöhnlich der von vornherein begrenzte Zeithorizont der "Kettenabordnung" entgegen. Der Zweijahreszeitraum markiert daher in einem solchen Fall keine real nachvollziehbare Grenze; die Unterstellung, dass sich der Steuerpflichtige dauerhaft an seinem Beschäftigungsort einrichten könne, trägt folglich nicht.

4. Auch im Fall beiderseits berufstätiger Ehegatten genügt die Abzugsbegrenzung nicht den Maßstäben des Art. 3 Abs. 1 GG (hier) in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG. Der besondere Schutz von Ehe und Familie erstreckt sich auf die "Alleinverdienerehe" wie auch auf die "Doppelverdienerehe". Der gebotene Schutz dieser Ehe wird vom Gesetzgeber verfehlt, wenn er Aufwendungen, die für beiderseits berufstätige Ehegatten zwangsläufiger Aufwand für die Vereinbarkeit von Ehe und Beruf u...

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