Leitsatz

Dem EuGH werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind Art. 43 i.V.m. Art. 48 EG (jetzt Art. 49 i.V.m. Art. 54 AEUV) dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die es einer gebietsansässigen Gesellschaft verwehren, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte abzuziehen, wenn die Gesellschaft zum einen alle Möglichkeiten zum Abzug dieser Verluste ausgeschöpft hat, die ihr das Recht des Mitgliedstaats bietet, in dem diese Betriebsstätte belegen ist, und zum anderen über diese Betriebsstätte keine Einnahmen mehr erzielt, so dass keine Möglichkeit mehr besteht, dass die Verluste in diesem Mitgliedstaat berücksichtigt werden ("finale" Verluste), auch dann entgegenstehen, wenn es sich bei den betreffenden Rechtsvorschriften um die Freistellung von Gewinnen und Verlusten aufgrund eines bilateral zwischen den beiden Mitgliedstaaten vereinbarten Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung handelt?

2. Falls die erste Frage zu bejahen ist: Sind Art. 43 i.V.m. Art. 48 EG (jetzt Art. 49 i.V.m. Art. 54 AEUV) dahin auszulegen, dass sie auch den Rechtsvorschriften des deutschen Gewerbesteuergesetzes entgegenstehen, die es einer gebietsansässigen Gesellschaft verwehren, von ihrem steuerpflichtigen Gewerbeertrag "finale" Verluste der in der ersten Frage bezeichneten Art einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte abzuziehen?

3. Falls die erste Frage zu bejahen ist: Können im Falle der Schließung der in dem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte "finale" Verluste der in der ersten Frage bezeichneten Art vorliegen, obgleich die zumindest theoretische Möglichkeit besteht, dass die Gesellschaft erneut eine Betriebsstätte in dem betreffenden Mitgliedstaat eröffnet, mit deren Gewinnen die früheren Verluste ggf. verrechnet werden könnten?

4. Falls die erste und die dritte Frage zu bejahen sind: Kommen als vom Ansässigkeitsstaat des Stammhauses zu berücksichtigende "finale" Verluste der in der ersten Frage bezeichneten Art auch jene Verluste der Betriebsstätte in Betracht, die nach dem Recht des Belegenheitsstaats der Betriebsstätte mindestens einmal in einen nachfolgenden Veranlagungszeitraum vorgetragen werden konnten?

5. Falls die erste und die dritte Frage zu bejahen sind: Ist die Pflicht zur Berücksichtigung der grenzüberschreitenden "finalen" Verluste der Höhe nach begrenzt durch diejenigen Verlustbeträge, die die Gesellschaft in dem betreffenden Belegenheitsstaat der Betriebstätte hätte ansetzen können, wenn nicht die Verlustberücksichtigung dort ausgeschlossen wäre?

 

Normenkette

Art. 43, Art. 48 EG, Art. 49, Art. 54 AEUV, Art. III Abs. 1 Satz 2, Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/1970, § 7 Satz 1, § 9 Nr. 3 GewStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine inländische Aktiengesellschaft (AG), betreibt eine Wertpapierhandelsbank. Der Unternehmensgegenstand umfasst die Bereiche Anlage-, Abschlussvermittlung, Finanzportfolioverwaltung und Eigenhandel. Die Klägerin hat ein abweichendes Wirtschaftsjahr, das jeweils zum 30. Juni endet.

Im August 2004 eröffnete die Klägerin eine Zweigniederlassung in Großbritannien und übte dort Tätigkeiten in den Bereichen Aktienanalyse und Wertpapierhandel aus. Die Klägerin erzielte aus der Zweigniederlassung keine Gewinne. Deshalb beschloss ihr Vorstand im Februar 2007 deren unverzügliche Schließung. Die Einstellung des Betriebs der Zweigniederlassung wurde noch im ersten Halbjahr 2007 vollzogen und noch 2007 im englischen Handelsregister eingetragen. Aufgrund der Schließung der Zweigniederlassung konnten die steuerlichen Verluste in Großbritannien nicht mehr vorgetragen werden. Die britische Finanzbehörde teilte der Klägerin mit, dass für das Wirtschaftsjahr 2007/2008 und spätere Wirtschaftsjahre keine Abgabe von Steuererklärungen für die Betriebsstätte mehr notwendig sei.

Die Klägerin war der Auffassung, die der Zweigniederlassung zuzuordnenden Verluste seien trotz abkommensrechtlicher Freistellung der Einkünfte der Zweigniederlassung von der inländischen Besteuerung aus unionsrechtlichen Gründen als "finale" Verluste bei der Einkommensermittlung des VZ 2007 (Streitjahr) zu berücksichtigen. Das FA hat die Verluste hingegen im Rahmen der Festsetzung von KSt und Gewerbesteuermessbetrag für 2007 unberücksichtigt gelassen.

Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg (Hessisches FG, Urteil vom 4.9.2018, 4 K 385/17, Haufe-Index 12288844, EFG 2018, 1876).

 

Entscheidung

Der BFH hat das vom FA ausgelöste Revisionsverfahren gemäß § 74 FGO ausgesetzt und die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

 

Hinweis

1. "Finale Verluste" stellen schon fast einen Dauerbrenner im Internationalen Steuerrecht dar. Obgleich sich der EuGH bereits vor rund 15 Jahren erstmalig zum Abzug sog. finaler Verluste geäußert hat (EuGH-Urteil vom 13.12.2005, C‐446/03, Marks & Spencer, EU:C:2005:763, BFH/NV 2006, 117), sind viele damit zusammenhängende Grundsatz- und Spezialfragen nach wi...

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