Rz. 7

Handelsrechtlich sind die Anschaffungs- oder Herstellungskosten abnutzbarer Anlagegegenstände bei der planmäßigen Abschreibung auf die Geschäftsjahre zu verteilen, in denen der jeweilige Vermögensgegenstand voraussichtlich genutzt werden kann (§ 253 Abs. 3 Satz 2 HGB).

Die Nutzungsdauer hängt ab von der technischen Leistungsfähigkeit oder/und von wirtschaftlichen Umständen. Die technische Leistungsfähigkeit eines Anlagegegenstands hängt von der Ausbringungsmenge, dem Energieverbrauch und von anderen technischen Daten ab. Lässt die Leistungsfähigkeit nach, muss nicht unbedingt auch die Nutzbarkeit im Unternehmen enden. U. U. kann der Gegenstand für andere betriebliche Zwecke genutzt werden, die eine geringere Leistungsfähigkeit erfordern. Aber die wirtschaftliche Nutzungsdauer eines Anlagegegenstands ist nur so lange gegeben, wie sein Beitrag im Produktionsprozess nicht auf andere Weise vorteilhafter geleistet werden kann.[1]

Bei der voraussichtlichen Nutzungsdauer ist auf die theoretische Nutzungsmöglichkeit in dem konkreten Betrieb, die betriebsindividuelle Nutzungsdauer, bis zur vollständigen Abnutzung abzustellen. Das technische Nutzungsende gibt die längst mögliche Nutzungsdauer vor. Ist die Nutzungsdauer aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen kürzer, hat das Vorrang vor der technischen Nutzungsdauer.[2]

Die voraussichtliche Nutzungsdauer ist die Anzahl von Jahren, in denen gleiche oder ähnliche Anlagen nach den bisherigen Erfahrungen in dem betreffenden Betrieb genutzt worden sind. Fehlen solche betriebsindividuellen Erfahrungen, können die Erfahrungen zugrunde gelegt werden, die mit gleichen oder ähnlichen Wirtschaftsgütern in Betrieben des gleichen Geschäftszweigs gemacht worden sind. Die allgemeinen AfA-Tabellen können nicht generell für die Bestimmung der handelsbilanziell relevanten wirtschaftlichen Nutzungsdauer herangezogen werden, da diese lediglich die technischen Aspekte betrachtet.[3]

Letztlich kann die voraussichtliche Nutzungsdauer nur geschätzt werden. Wird sie zu hoch geschätzt, macht sich der Kaufmann reicher, als er ist. Da die Nutzungsdauer höchst unsicher ist, muss sie nach dem Vorsichtsgrundsatz des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB eher niedriger als zu hoch geschätzt werden. Hieraus folgt, dass i. d. R. bei Verkauf eines Anlagegegenstands noch ein Veräußerungsgewinn erzielt wird. Deshalb ruhen zwangsläufig im Anlagevermögen sog. stille Reserven, wenn nach kaufmännischen Grundsätzen abgeschrieben wird. Da diese stillen Reserven auch für die Wiederbeschaffung des i. d. R. inzwischen teureren Ersatzvermögensgegenstands benötigt werden, ist eine vorsichtige Nutzungsdauerschätzung auch vor dem Hintergrund der realen Kapitalerhaltung des –Unternehmens notwendig. Ansonsten wäre ggf. die Substanz des Unternehmens gefährdet.

Der Vorsichtsgedanke ist besonders zu berücksichtigen, weil die Ermittlung der Nutzungsdauer in weiten Teilen von den Einschätzungen des Kaufmanns abhängt und sich daher umfassende Ermessensspielräume ergeben. Grundsätzlich können Erfahrungswerte des Kaufmanns oder Branchenwerte von vergleichbaren Anlagegütern nützliche Hinweise für die voraussichtliche Nutzungsdauer liefern.

Mit Schreiben vom 6.12.2001 hat das BMF allerdings die Möglichkeit eingeräumt, steuerlich eine kürzere Nutzungsdauer als die technische anzuwenden, wenn dies glaubhaft gemacht werden kann.[4]

Insoweit wäre denkbar, die für handelsrechtliche Zwecke durchgeführte zwingende Überprüfung der (wirtschaftlichen) Nutzungsdauer mit entsprechendem Nachweis auch steuerlich anzuwenden. Eine Veranschlagung von unterschiedlichen Nutzungsdauern für handels- und steuerrechtliche Zwecke bei ein und demselben Anlagegut dürfte weder tatsächlich sinnvoll noch inhaltlich begründbar sein. Gleichzeitig ließe sich durch die Übernahme der handelsrechtlichen Werte für steuerliche Zwecke ein Mehraufwand, der sich durch die separaten Beurteilungen ergäbe, sowie eine deutliche Auseinanderentwicklung von Handels- und Steuerbilanz verhindern oder zumindest eingrenzen, auch wenn der Gesetzgeber dies insbesondere durch die Aufgabe der umgekehrten Maßgeblichkeit zumindest billigend in Kauf nimmt.

[5]

Kann die voraussichtliche Nutzungsdauer von selbst erstellten immateriellen VG des AV bzw. von derivativen GoF nicht verlässlich geschätzt werden, fordert § 253 Abs. 3 Satz 3 HGB eine Verwendung einer Nutzungdauer von 10 Jahren.

Steuerliche Sonderregelungen, wie etwa die Sofortabschreibungsmöglichkeit im Rahmen der Coronahilfen für sog. digitale Wirtschaftsgüter, bei der das BMF[6]

willkürlich die Nutzungsdauer für Computerhardware und Software zur Dateneingabe und -verarbeitung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2020 enden, auf ein Jahr festgelegt hat, können handelsrechtlich nicht zur Anwendung kommen.[7]

[1] Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995–2001, § 253 HGB Rz. 367 f.
[2] Vgl. Schubert/Andrejewski, in Beck´scher Bilanz-Kommentar, 13. Aufl. 2022, § 253 HGB Rz. 230.
[3] Vgl. Schubert/And...

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