Leitsatz

1. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO schließt den Eintritt der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nicht generell aus, wenn die Ermittlungen der Steuerfahndung vor dem Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist beginnen und die Steuerfestsetzung auf den Ermittlungen der Steuerfahndung beruht.

2. Im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten ist die Frage, ob Festsetzungsverjährung eingetreten ist, für jeden Ehegatten gesondert zu prüfen.

 

Normenkette

§ 153, § 169 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 171 Abs. 4 Satz 2, § 171 Abs. 5, § 171 Abs. 9, § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 371 Abs. 1 AO, § 119 Nr. 6 FGO, § 26b EStG

 

Sachverhalt

Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie haben im Jahr 2000 beim FA die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1999 abgegeben. Am 5.3.2010 erklärte der Kläger hinterzogene Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Jahre 1999 bis 2008 nach. Diese waren von ihm geschätzt worden, da keine Bankunterlagen vorlagen. Diese wollte er nachreichen. Mit Schreiben vom 18.3.2010 teilte die Straf- und Bußgeldstelle des FA dem Kläger die Einleitung des Strafverfahrens wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung in den Jahren 2004 bis 2008 mit. Die Steuerfahndungsstelle wurde vom FA mit der Überprüfung der Selbstanzeige beauftragt. Sie forderte den Kläger mit Schreiben vom 6.12.2010 auf, Depotauszüge sowie Unterlagen über unterjährige Aktien- und Fondsverkäufe vorzulegen. Das Ergebnis der Auswertung teilte die Steuerfahndung dem Kläger durch Schreiben vom 19.4.2011 mit. Dieses stimmte nicht mit den in der Selbstanzeige angegeben Beträgen überein. Durch einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 EStG geänderten Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 4.7.2011 erhöhte das FA die bisher angesetzten Kapitaleinkünfte. Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG Köln, Urteil vom 22.5.2013, 8 K 3796/11).

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision des Klägers aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen zurückge­wiesen und der Revision der Klägerin stattgegeben. Das Urteil des FG und der geänderte Einkommensteuerbescheid für 1999 wurden insoweit aufgehoben, als sie die Klägerin betrafen.

 

Hinweis

1. Erfolgt eine Selbstanzeige kurz vor Ablauf der Festsetzungsfrist, kann es für die Finanzbehörde hinsichtlich der Überprüfung der Selbstanzeige und Festsetzung der hinterzogenen Steuern zeitlich eng werden. Zwar führt die Selbstanzeige gemäß § 171 Abs. 9 AO zu einer Ablaufhemmung von einem Jahr. Der BFH hat jedoch in seinem Urteil vom 8.7.2009 (VIII R 5/07, BFH/NV 2010, 86, BFH/PR 2010, 77) klargestellt, dass eine weitere Hemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nur in Betracht kommt, wenn deren Voraussetzungen vor Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist vorliegen.

2. Das FA muss danach auf der Hut sein. Ist erkennbar, dass für die Überprüfung der Selbstanzeige und Festsetzung der hinterzogenen Steuern die durch § 171 Abs. 9 AO gewährte Jahresfrist nicht ausreicht, muss es die Steuerfahndungsstelle mit der Überprüfung der Selbstanzeige beauftragen. Diese muss vor Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist für den Steuerpflichtigen erkennbar mit den Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen beginnen, damit eine weitere Hemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO eintritt. In diesem Fall läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind.

3. Der BFH hat in der Besprechungsentscheidung klargestellt, dass eine Hemmung nach § 171 Abs. 9 AO eine Hemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nicht grundsätzlich ausschließt. Andernfalls hätte es der Steuerpflichtige in der Hand, durch eine Selbstan­zeige die Zeit für die Überprüfung der Angaben und Festsetzung der Steuer auf ein Jahr zu begrenzen. Das FA müsse vor Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist die Möglichkeit haben, eigene Ermittlungen durch die Steuerfahndung anzustellen. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige die hinterzogenen Einkünfte in der Selbstanzeige lediglich geschätzt habe. Für Ermittlungen der Steuerfahndung bestehe in diesem Fall ein hinreichender Anlass. Dagegen bestünden keine rechtsstaatlichen Bedenken. Dem Interesse des Steuerpflichtigen, nach einer Selbstanzeige nicht durch weitere Ermittlungsmaßnahmen belastet zu werden, stehe die Verpflichtung des Staates gegenüber, eine gesetzmäßige und gleichmäßige Steuerfestsetzung zu gewährleisten.

4. Allerdings birgt die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO eine Gefahr. Sie tritt nämlich nur insoweit ein, als der zu erlassende Einkommensteuerbescheid auf den Ermittlungen der Steuerfahndung beruht. Dies soll nach dem BFH-Urteil vom 17.12.2015 (V R 58/14, BFH/NV 2016, 443, BFH/PR 2016, 161) jedoch auch dann der Fall sein, wenn die Angaben in der Selbstanzeige durch die Ermittlungen der Steuerfahndung bestätigt werden. Auch insoweit handele es sich um eine durch die Fahndungsprüfung gewonnene ...

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