Leitsatz

1. Die Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG tritt auch dann ein, wenn die bei der Auszahlung der Kapitalerträge einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht beim Finanzamt angemeldet und abgeführt wird und keiner der Ausschlussgründe des § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2, Satz 2 oder Satz 3 EStG vorliegt.

2. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige Kapitaleinkünfte in Form von Scheinrenditen aus einem betrügerischen Schneeballsystem erzielt hat, für die aus seiner Sicht Kapitalertragsteuer nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG einbehalten worden ist (Anschluss an Senatsurteil vom 29.09.2020 – VIII R 17/17).

3. Die Klage gegen einen Verlustfeststellungsbescheid, die sich gegen die Verrechnung von – aus der Sicht des Klägers – zu Unrecht der Besteuerung zugrunde gelegten Kapitaleinkünften richtet, ist zulässig (Anschluss an BFH-Urteil vom 27.06.2018 – I R 13/16, BFHE 262, 340, BStBl II 2019, 632). Sie ist begründet, wenn mit dem Klageantrag dieselben Einwendungen wie gegen den dem Verlustfeststellungsbescheid zugrunde liegenden Einkommensteuerbescheid geltend gemacht werden und diese durchgreifen.

 

Normenkette

§ 43 Abs. 5, § 10d Abs. 4 Satz 4, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 32d Abs. 3 EStG, § 40 Abs. 2 FGO

 

Sachverhalt

Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2012 aus einem betrügerischen Schneeballsystem Scheinrenditen aus fingierten Aktienverkäufen, die sie nicht in der Einkommensteuererklärung angegeben hatte. Der Betreiber des Schneeballsystems C erteilte der Klägerin eine Abrechnung, in der die rechnerisch zutreffende Kapitalertragsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag ausgewiesen und einbehalten wurde. Jedoch wurde die Kapitalertragsteuer weder beim FA angemeldet noch an das FA abgeführt, was der Klägerin nicht bekannt war. Mit Schreiben vom 26.7.2012 bot C der Klägerin an, den Gewinn auszuzahlen, was diese ablehnte. Am 31.7.2012 erteilte die Klägerin den Auftrag an C, weitere Aktien zu kaufen und den Kaufpreis mit dem zuvor bescheinigten Veräußerungserlös zu verrechnen.

Aufgrund einer Mitteilung der Steuerfahndung änderte das FA mit Bescheid vom 14.9.2015 die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und unterwarf den Erlös aus der Veräußerung der Aktien als Kapitaleinkünfte i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG der Besteuerung nach § 32d Abs. 3 EStG. Die von C einbehaltene Abzugsteuer rechnete es nicht an. Der Aktiengewinn wurde mit dem verbleibenden Verlustvortrag zum 31.12.2011 verrechnet, sodass mit einem nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Bescheid vom 14.9.2015 ein verbleibender Verlustvortrag zum 31.12.2012 von 0 EUR festgestellt wurde. Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (Niedersächsisches FG, Urteil vom 23.5.2018, 10 K 190/16, Haufe-Index 13145996, EFG 2019, 1084).

 

Entscheidung

Die Revision der Klägerin war begründet. Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Er hat den Einkommensteueränderungsbescheid und den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur ESt zum 31.12.2012 aufgehoben, sodass die von der Klägerin erzielten Scheinrenditen nicht in die Einkommensteuerfestsetzung einbezogen und nicht mit dem verbleibenden Verlustvortrag zum 31.12.2011 verrechnet werden.

 

Hinweis

1. Streitig war im vorliegenden Fall zunächst die Frage, ob der Klägerin im Streitjahr überhaupt Kapitaleinkünfte in Gestalt der Scheinrenditen aus dem von C vorgetäuschten Kauf und Verkauf von Aktien zugeflossen sind. Dies hat der BFH bejaht, da es bei der Besteuerung der Scheinrenditen auf die subjektive Sicht des Kapitalanlegers als Leistungsempfänger ankommt. Die Klägerin hatte die freie Wahl, sich den (Schein-)Gewinn aus den fingierten Aktiengeschäften auszahlen zu lassen oder aber wieder anzulegen. Sie hat diese Dispositionsbefugnis ausgeübt und sich dafür entschieden, auf die sofortige Auszahlung des Gewinns zu verzichten und diesen für den Erwerb neuer Aktien zu verwenden. C wäre, hätte die Klägerin im Streitjahr statt der Wiederanlage der gutgeschriebenen "Aktiengewinne" deren Auszahlung verlangt, zur Auszahlung bereit und fähig gewesen, sodass ihr die Scheinrenditen auch nach § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen sind.

2. Der BFH hält an seiner Rechtsprechung in Bezug auf die Besteuerung von Scheinrenditen – trotz der von der Klägerin vorgebrachten Kritikpunkte – weiterhin fest. Danach kommt es nicht darauf an, dass sich der Anleger anders verhalten hätte, wenn er über das Vorliegen des Schneeballsystems informiert gewesen wäre. Eine Deckungslücke bei dem Betrieb des Schneeballsystems ist für die Frage des Zuflusses von Erträgen so lange unerheblich, wie das Schneeballsystem als solches funktioniert, d.h. die Auszahlungsverlangen der Anleger ohne Einschränkung bedient werden. Dies war nach den Feststellungen des FG im Streitjahr der Fall. Die Rechtsprechung des II. Senats, die sich ausdrücklich nur auf die Forderungsbewertung bei Schneeballsystemen für Zwecke der Vermögensteuer bezieht, ist für die einkommensteuerliche Beurteilung ...

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