Entscheidungsstichwort (Thema)

Zufluß von Arbeitslohn bei Beitragsleistungen des Arbeitgebers zur Altersversorgung des Arbeitnehmers an eine Versorgungseinrichtung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Gegenwärtiger Zufluß von Arbeitslohn liegt regelmäßig vor, wenn der Arbeitgeber für die Altersversorgung des Arbeitnehmers Beiträge an eine Versorgungseinrichtung leistet, die dem Arbeitnehmer Rechtsansprüche auf Versorgung gewährt.

2. Hat der Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch auf Versorgung gegen die Versorgungseinrichtung, begründen die Beitragsleistungen des Arbeitgebers keinen Lohnzufluß, selbst wenn die Beteiligten die Versorgungszusage auf die von der Versorgungseinrichtung tatsächlich zu erbringenden Leistungen beschränkt und die Beitragszahlungen in der Vergangenheit als steuerpflichtigen Arbeitslohn behandelt haben (Aufgabe der Rechtsprechung im BFH- Urteil vom 20.November 1987 VI R 91/84, BFH/NV 1988, 564).

3. § 2 Abs.3 Nr.2 Satz 1 LStDV 1978 beinhaltet keine zutreffende Auslegung von § 11 Abs.1 Satz 1 und § 19 Abs.1 Satz 1 Nr.1 EStG, soweit Zukunftssicherungsleistungen des Arbeitgebers auch dann als Arbeitslohn betrachtet werden, wenn auf die Leistungen aus der Zukunftssicherung kein Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber der Versorgungseinrichtung besteht.

 

Orientierungssatz

Als Arbeitslohn sind erst die laufenden Bezüge zu qualifizieren, die der Arbeitnehmer über die Versorgungseinrichtung ausgezahlt erhält (vgl. BFH-Rechtsprechung, auch zum Nichtzufluß von gegenwärtigem Arbeitslohn bei Zusage einer Leistung und zur Anrechnung der an die Versorgungskasse entrichteten Beiträge auf das festgelegte Gehalt).

 

Normenkette

EStG § 8 Abs. 1, § 11 Abs. 1 S. 1, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; LStDV 1978 § 2 Abs. 3 Nr. 2 Sätze 1, 6

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog in den Streitjahren 1980 und 1981 als Chefarzt eines Krankenhauses Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Träger des Krankenhauses und Arbeitgeberin des Klägers war eine katholische Kirchengemeinde. 1966 hatte der Kläger mit der Arbeitgeberin einen Dienstvertrag geschlossen. Hiernach sollte der Kläger ein Gehalt in Anlehnung an die Gruppe A 13 der Landesbesoldungsordnung Nordrhein-Westfalen erhalten.

Zur Versorgung des Klägers oder seiner Familie hatte sich die Arbeitgeberin verpflichtet, die Chefarztstelle bei der V-Versorgungskasse zu versichern, die die Versorgungsverpflichtungen erfüllen sollte. Der Berechnung der Versorgungsleistungen sollte die Besoldungsgruppe A 13 zugrunde gelegt werden. Der Versorgungsanspruch des Klägers sollte sich nicht unmittelbar gegen die Versorgungskasse, sondern gegen die Arbeitgeberin richten, sich jedoch beschränken auf die seitens der Versorgungskasse tatsächlich erfolgten Leistungen. Die an die Versorgungskasse zu entrichtenden Beiträge sollten die Arbeitgeberin und der Kläger jeweils zur Hälfte aufbringen.

Die Arbeitgeberin war daraufhin als freiwilliges Mitglied in der Versorgungskasse zugelassen worden. In der Folgezeit waren die Beteiligten entsprechend den vorstehenden Vereinbarungen verfahren. Die Arbeitgeberin hatte sowohl den vom Kläger zu tragenden als auch den von ihr zu tragenden Anteil der Beiträge an die Versorgungskasse der Lohnsteuer unterworfen. In gleicher Weise verfuhr sie im Streitjahr 1980 und --mit gewissen Abweichungen-- im Streitjahr 1981.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erfaßte bei der Einkommensteuerveranlagung des Klägers für die Streitjahre die an die Versorgungskasse gezahlten Beiträge in vollem Umfang als Lohn. Er vertrat die Auffassung, die Voraussetzungen des § 2 Abs.3 Nr.2 Satz 6 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV), wonach Beiträge für eine sog. Rückdeckungsversicherung nicht zum Arbeitslohn gehören, lägen nicht vor.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, nach den Verhältnissen des Streitfalles sei eine Rückdeckung im Sinne der vorgenannten Vorschrift anzunehmen.

Mit der Revision rügt das FA unzutreffende Anwendung des § 2 Abs.3 Nr.2 Satz 6 LStDV. Es beruft sich hierzu im wesentlichen auf die Verwaltungsanweisung in Abschn.129 Abs.4 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1990 und die einschlägige Rechtsprechung des erkennenden Senats.

Es beantragt (sinngemäß), die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des FA ist unbegründet.

1. Das FG hat im Ergebnis zu Recht angenommen, daß die an die Versorgungskasse entrichteten Beiträge in vollem Umfang, also auch soweit sie vom Kläger zu tragen waren, bei diesem nicht zum Arbeitslohn i.S. des § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören.

Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören nach § 19 Abs.1 Nr.1 EStG Gehälter, Löhne sowie andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Einnahmen der vorgenannten Art sind nach § 11 Abs.1 Satz 1 EStG innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind (vgl. auch § 8 Abs.1 EStG).

a) Sagt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer aufgrund des Dienstverhältnisses eine Leistung zu, so begründet der Anspruch auf diese Leistung (noch) keinen gegenwärtigen Zufluß von Arbeitslohn. Beispielsweise sind Gutschriften, die der Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers aufgrund eines Gewinnbeteiligungs- und Vermögensbildungsmodells vorgenommen hat, dem Arbeitnehmer noch nicht zugeflossen, wenn er über die gutgeschriebenen Beträge wirtschaftlich nicht verfügen kann (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14.Mai 1982 VI R 124/77, BFHE 135, 542, BStBl II 1982, 469). Ebenso fließt dem Arbeitnehmer bei einem vom Arbeitgeber bestellten obligatorischen Wohnrecht Arbeitslohn noch nicht mit dessen Begründung, sondern erst mit der entsprechenden Nutzung zu (vgl. BFH-Urteil vom 22.Januar 1988 VI R 135/84, BFHE 152, 461, BStBl II 1988, 525 unter 3.). Auch die Zusage auf Altersversorgung löst noch keinen Zufluß von Arbeitslohn aus (vgl. BFH-Urteile vom 29.Januar 1960 VI 202/59 U, BFHE 70, 282, BStBl III 1960, 105, und vom 3.Juli 1964 VI 262/63 U, BFHE 81, 225, BStBl III 1965, 83).

b) Von einem gegenwärtigen Zufluß von Arbeitslohn kann allerdings dann auszugehen sein, wenn der Arbeitgeber für die Altersversorgung des Arbeitnehmers selbst als Versicherungsnehmer Beiträge an eine Versorgungseinrichtung leistet, falls die Versorgungseinrichtung dem Arbeitnehmer eigene Rechtsansprüche auf Versorgung gewährt (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Urteile vom 16.Mai 1975 VI R 165/72, BFHE 115, 569, BStBl II 1975, 642, und vom 15.Juli 1977 VI R 109/74, BFHE 123, 37, BStBl II 1977, 761, vor I., jeweils m.w.N.). In diesem Fall kommt es nicht darauf an, ob die Ansprüche rechtlich und wirtschaftlich als sicher anzusehen sind (vgl. BFH-Urteile vom 11.Oktober 1974 VI R 173/71, BFHE 114, 50, BStBl II 1975, 275, unter III.3., und in BFHE 135, 542, BStBl II 1982, 469 unter III.2.c, cc). Leistet der Arbeitgeber dagegen Zuwendungen an eine Unterstützungseinrichtung, die dem Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch einräumt, sind als Arbeitslohn erst die laufenden Bezüge zu qualifizieren, die der Arbeitnehmer über die Versorgungseinrichtung ausgezahlt erhält (vgl. BFH-Urteile vom 28.März 1958 VI 233/56 S, BFHE 66, 701, BStBl III 1958, 268, und vom 5.November 1992 I R 61/89, BFHE 169, 369, BStBl II 1993, 185, unter II.2. vor b). In diesem Fall wird erst mit Zahlung der Versorgungsbezüge das sich aus der Versorgungszusage ergebende Versprechen des Arbeitgebers erfüllt.

Hiernach gehören im Streitfall die Beiträge, die aufgrund der dem Kläger gegebenen Zusage an die Versorgungskasse bezahlt worden sind, noch nicht zu dessen Arbeitslohn. Der Kläger hatte keine Rechtsansprüche gegen die Versorgungskasse. Solche sind in der Satzung der Versorgungskasse auch nicht vorgesehen. Dementsprechend bestimmt § 7 des Dienstvertrages, daß sich der Versorgungsanspruch des Klägers nicht unmittelbar gegen die Versorgungskasse, sondern nur gegen die Arbeitgeberin richtete.

c) Die Regelung des § 2 Abs.3 Nr.2 Satz 1 LStDV beinhaltet keine zutreffende Auslegung der §§ 11, 19 EStG, soweit sie Zukunftssicherungsleistungen des Arbeitgebers auch dann als Arbeitslohn ansieht, wenn auf die Leistungen aus der Zukunftssicherung kein Rechtsanspruch besteht (ebenso: Urteil des FG Münster vom 12.September 1989 XII 712/88 E, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1990, 175; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20.Aufl., § 19 EStG Anm.236; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 11 Rdnr. B 103; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 11.Aufl., § 19 Anm.8 "Zukunftssicherungsleistungen"; Oeftering/Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, § 19 EStG Rdnr.262). An seiner bisherigen, hiervon abweichenden Rechtsprechung (vgl. Senatsurteil in BFHE 115, 569, BStBl II 1975, 642 unter 2., m.w.N.) hält der Senat nicht mehr fest.

§ 2 Abs.3 Nr.2 Satz 1 LStDV stellt, soweit das Fehlen eines Rechtsanspruchs unberücksichtigt gelassen wird, nicht lediglich eine Wiederholung der in § 19 Abs.1 Satz 2 EStG enthaltenen Regelung dar, wonach es gleichgültig ist, ob ein Rechtsanspruch auf die geleisteten Bezüge besteht oder nicht (so jedoch Rau in Heubeck/Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert, Betriebsrentengesetz, Kommentar, § 19 zu § 40b EStG Rdnr.14). Diese in § 19 EStG enthaltene Regelung bringt lediglich zum Ausdruck, daß der Arbeitslohnbegriff auch freiwillige Zuwendungen umfaßt (vgl. Giloy in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 19 Rdnr. B 305; zum Arbeitslohnbegriff vgl. BFH-Urteil vom 17.September 1982 VI R 75/79, BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39). Dagegen besagt sie nichts über den Zeitpunkt des Zufließens von Arbeitslohn, wenn Leistungen vom Arbeitgeber lediglich zugesagt worden sind und sich noch nicht durch Ansprüche gegenüber Dritten realisiert haben.

2. Die vom FA geltend gemachten Einwände rechtfertigen keine abweichende Beurteilung.

a) Keine entscheidende Bedeutung kommt dem Umstand zu, daß von den an die Versorgungskasse entrichteten Beiträgen jeweils die Hälfte auf das im Dienstvertrag festgelegte Gehalt angerechnet worden ist.

Denn wirtschaftlich betrachtet handelt es sich um Gehaltskürzungen, die es der Arbeitgeberin ermöglichen sollten, die dem Kläger gegebene Versorgungszusage einstweilen zu finanzieren. (BFH- Urteil vom 14.Februar 1964 VI 179/62 U, BFHE 79, 28, BStBl III 1964, 243). Dem steht das BFH-Urteil vom 29.Juli 1986 IX R 206/84 (BFHE 147, 176, BStBl II 1986, 747) nicht entgegen. Dort ging es --anders als im Streitfall-- um den aus eigenem Vermögen zu entrichtenden Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung. Die hier getroffene Regelung ist dagegen als reiner Berechnungsmodus zu verstehen (so auch Urteile des FG Münster vom 22.Juli 1966 I A 465/65, EFG 1967, 230, und in EFG 1990, 175).

b) Es kommt schließlich nicht darauf an, ob die Beteiligten im Innenverhältnis die Versorgungszusage auf die von der Versorgungskasse tatsächlich zu erbringenden Leistungen beschränkt und ob sie die Beitragszahlungen in der Vergangenheit als steuerpflichtigen Arbeitslohn behandelt haben. Der Steueranspruch entsteht gemäß § 38 der Abgabenordnung (AO 1977) durch Verwirklichung des Steuertatbestandes, also unabhängig vom Verwirklichungswillen des Steuerpflichtigen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14.Aufl., § 38 AO 1977 Anm.2).

Soweit sich aus seinem Urteil vom 20.November 1987 VI R 91/84 (BFH/NV 1988, 564) und seiner dort zitierten Rechtsprechung etwas anderes ergibt, hält der Senat daran im Interesse der Rechtssicherheit nicht mehr fest.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64638

BFH/NV 1994, 2

BStBl II 1994, 246

BFHE 172, 46

BB 1993, 2504

BB 1993, 2504-2505 (LT)

DB 1994, 23-24 (LT)

DStR 1993, 1855 (KT)

DStZ 1994, 151 (KT)

HFR 1994, 219-220 (LT)

StE 1993, 683 (K)

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