Leitsatz

1. Die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug setzt nicht voraus, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der dem Unternehmer erteilten Rechnung, für dessen Unternehmen die Lieferungen oder sonstigen Leistungen ausgeführt worden sind, angegeben ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der leistende Unternehmer unter der von ihm angegebenen Rechnungsanschrift erreichbar ist (Änderung der Rechtsprechung).

2. § 17a UStDV 2005 ist mit Unionsrecht vereinbar.

 

Normenkette

§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG, §§ 17a ff. UStDV 2005, Art. 131, Art. 178 Buchst. a, Art. 226 Nr. 5 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, handelte mit Kfz. In ihrer USt-Erklärung erklärte sie u.a. Vorsteuerbeträge aus Kfz-Lieferungen der D-GmbH und eine innergemeinschaftliche Lieferung eines Kfz der Marke "Porsche".

Das FA versagte den Vorsteuerabzug, weil es sich bei der D-GmbH um eine "Scheinfirma" handele.

Unter der Rechnungsanschrift befand sich zwar der statuarische Sitz der D-GmbH. Dort war diese auch über ein Buchhaltungsbüro, das die Post für sie entgegennahm, postalisch erreichbar. Geschäftliche Aktivitäten der D-GmbH fanden unter dieser Anschrift aber nicht statt.

Die Lieferung des Kfz der Marke "Porsche" sah das FA als steuerpflichtig an, weil dessen Verbleib unklar und der Belegnachweis nicht geführt sei.

Das FG wies die Klage (insoweit) in beiden Punkten ab (FG Düsseldorf, Urteil vom 14.3.2014, 1 K 4566/10 U, Haufe-Index 7016747, EFG 2014, 1526).

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück, um zu prüfen, ob die materiellen Voraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug vorliegen. Der BFH bestätigte hingegen, dass die Lieferung des Fahrzeugs steuerpflichtig ist. Es lägen bereits die materiellen Tatbestandsmerkmale des § 6a Abs. 1 UStG nicht vor, weil nicht feststehe, dass der Porsche ins übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt sei. Gutglaubensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG scheide wegen Nichterfüllung des Belegnachweises aus.

 

Hinweis

1. Alles zurück auf Anfang bei der Rechnungsangabe "Anschrift".

a) Durch Urteil vom 19.4.2007 (V R 48/04, BFH/NV 2007, 2035, BFH/PR 2007, 429, BStBl II 2009, 315, Rz. 49 f.) hatte der BFH entschieden, dass als Anschrift, die in der Rechnung anzugeben ist, ein Briefkastensitz mit postalischer Erreichbarkeit ausreichen kann.

b) Da die zwischenzeitliche ausdrückliche Abkehr des V. Senats des BFH von dieser Rechtsprechung, die (nicht näher definierte) "wirtschaftliche Aktivitäten" an der Rechnungsanschrift verlangte (BFH, Urteil vom 22.7.2015, V R 23/14, BFH/NV 2015, 1538, BFH/PR 2015, 390, BStBl II 2015, 914), unionsrechtlich zweifelhaft war, führte recht bald zu entsprechenden EuGH-Vorlagen des BFH (BFH, Beschluss vom 6.4.2016, V R 25/15, BFH/NV 2016, 1401, BFH/PR 2016, 312; BFH, Beschluss vom 6.4.2016, XI R 20/14, BFH/NV 2016, 1405, BFH/PR 2016, 314). Der EuGH stellte klar, dass es für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug durch den Empfänger von Gegenständen oder Dienstleistungen nicht erforderlich ist, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist (EuGH, Urteil vom 15.11.2017, C-374/16, C-375/16, Geissel und Butin, BFH/NV 2018, 173). Folgerichtig ist der BFH nun zu seiner früheren Rechtsprechung zurückgekehrt. Sie ruht nun insoweit auf unionsrechtlich sicherem Fundament.

2. Da der EuGH (EuGH, Urteil vom 15.11.2017, C-374/16, C-375/16, Geissel und Butin, BFH/NV 2018, 173, Rz. 51) die Frage nicht beantwortet hat, ist bedauerlicherweise weiter unklar, ob Gutglaubensschutz beim Vorsteuerabzug – entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BFH (BFH, Urteil vom 22.7.2015, V R 23/14, BFH/NV 2015, 1538, BFH/PR 2015, 390, BStBl II 2015, 914) – doch bereits im Festsetzungsverfahren gewährt werden muss bzw. kann, was m.E. zu bejahen ist (ebenso Wäger, BFH/PR 2018, 253, 254). Allerdings ist die Rechtsprechung des EuGH, ob und unter welchen Voraussetzungen ein solcher Gutglaubensschutz existiert, nicht eindeutig (vgl. dazu einerseits EuGH, Urteil vom 18.5.2017, C-624/15, Litdana, BFH/NV 2017, 1006, Rz. 36, m.w.N.; andererseits EuGH, Urteil vom 27.6.2018, C-459/17, C-460/17, SGI und Valériane SNC, BFH/NV 2018, 1070, Rzn. 38 ff.; EuGH, Urteil vom 21.2.2018, C-628/16, Kreuzmayr, BFH/NV 2018, 511, Rzn. 45 ff.). Es könnte deshalb – in Abwandlung eines Zitats von Sepp Herberger – gelten: "Nach der Vorlage zum Gutglaubensschutz beim Vorsteuerabzug ist vor der Vorlage zum Gutglaubensschutz beim Vorsteuerabzug."

3. Die nationalen Vorschriften und Bestimmungen zum Belegnachweis (§ 6a Abs. 3 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 17a UStDV) sieht der BFH in ständiger Rechtsprechung als mit Unionsrecht vereinbar an (vgl. BFH, Urteil vom 8.11.2007, V R 71/05, BFH/NV 2008, 902, BFH/PR 2008, 269, BStBl II 2009, 52; BFH, Urteil vom 12.5.2009...

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