Leitsatz

Die zur Aufnahme oder Fortsetzung des Studiums verpflichtend zu entrichtenden Semestergebühren sind keine Mischkosten, sondern grundsätzlich ­insgesamt als abziehbarer ausbildungsbedingter Mehrbedarf zu qualifizieren, auch wenn der Studierende durch deren Entrichtung privat nutzbare ­Vorteile (z.B. Semesterticket) erlangt (entgegen Abschn. 63.4.3.1. Abs. 2 DA-FamEStG 2009).

 

Normenkette

§ 32 Abs. 4 Satz 5, § 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger beantragte 2006 für seinen im November 1979 geborenen Sohn M Kindergeld für das Kalenderjahr 2004. M besuchte während des Streitzeitraums eine Universität. Er trug besondere Ausbildungskosten i.H.v. 2.132,83 EUR, wovon 1.680 EUR auf Fahrtkosten für die Wege zwischen Wohnung und Universität entfielen. Zudem bezahlte er im Streitzeitraum zweimal Semestergebühren i.H.v. insgesamt 240,56 EUR. Bei Nichtentrichtung dieser Gebühren hätte M sein Studium nicht fortsetzen können. In diesen Gebühren war eine Nutzungsmöglichkeit für den öffentlichen Nahverkehr enthalten, auf die nicht verzichtet werden konnte. Die um Werbungskosten, Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie den vorstehend genannten Ausbildungskosten i.H.v. 2.132,83 EUR geminderten Einkünfte beliefen sich 2004 – ohne Abzug der Semestergebühren – auf 7.816,97 EUR.

Die Familienkasse lehnte den Antrag auf Gewährung von Kindergeld ab, da die Einkünfte und Bezüge des M den Jahresgrenzbetrag von 7.680 EUR überschritten hätten. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG gab der Klage statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 16.4.2008, 9 K 4245/07 Kg) und …

 

Entscheidung

... der BFH wies die Revision der Familienkasse zurück.

 

Hinweis

1. Die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge der über 18 Jahre alten Kinder, die das 25. (bis 2007: das 27.) Lebensjahr noch nicht vollendet haben und sich in Ausbildung oder einer Warte- oder Übergangszeit befinden, dürfen den sog. Jahresgrenzbetrag nicht überschreiten, der sich im Streitjahr 2004 auf 7.680 EUR belief. Vom Kalenderjahr 2012 an entfällt der Grenzbetrag.

2. Einige Universitäten erheben von Studenten obligatorische Semestergebühren, die auch zur Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs berechtigen (sog. Semesterticket). Ob es sich bei diesen Aufwendungen trotz § 12 Nr. 5 EStG um vorweggenommene Werbungskosten handelt (BFH, Urteil vom 28.7.2011, VI R 7/10, BFH/NV 2011, 1779, BFH/PR 2011, 379), hat der III. Senat offengelassen, da sie jedenfalls als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen abgezo­gen werden können. Die Abgrenzung zwischen den Kosten der Lebensführung und dem ausbildungsbedingten Mehrbedarf erfolgt nach denselben Grundsätzen wie die zwischen den Kosten der Lebensführung und den Werbungskosten im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses.

3. Ausbildungsbedingter Mehrbedarf liegt vor, wenn das die betreffende Aufwendung "auslösende Moment" der Ausbildungssphäre des Kindes zuzuordnen ist. Dabei bilden jedenfalls bei willensgesteuerten Handlungen die Gründe, die den Steuerpflichtigen bzw. das Kind zu den Aufwendungen bewogen haben, das auslösende Moment. Diese Gründe sind anhand der gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalls vom FG als Tatsacheninstanz festzustellen.

4. Liegt der maßgebliche Grund für die Entrichtung der Semestergebühr in der Erlangung des Studentenstatus, um die universitäre Ausbildung aufnehmen bzw. fortsetzen zu können, kann er allein der Ausbildungssphäre zugeordnet und eine private Mitveranlassung abgelehnt werden.

5. Der BFH lässt den Abzug der Semestergebühren nicht daran scheitern, dass die Fahrtkosten zwischen Wohnung und Universität bereits mit der Entfernungspauschale berücksichtigt werden, weil die ­Semestergebühr nicht zur Erlangung eines Tickets entrichtet wird, sondern zur Aufnahme oder Fortführung eines Studiums.

6. Dem Abzug steht auch nicht entgegen, dass nur einmal getragener Aufwand nicht doppelt berücksichtigt werden darf. Denn bei den Semesterge­bühren und den Fahrten zwischen Wohnung und Universität handelt es sich um unterschiedliche Aufwandspositionen.

7. Das Semesterticket ist schließlich auch kein steuerfreier Sachbezug, der die Fahrtkosten zwischen Wohnung und Universität nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 5 i.V.m. § 8 Abs. 3 EStG mindert, weil die Beförderung nicht zum Leistungsumfang der Universität als "Quasi-Arbeitgeber" gehört.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 22.9.2011 – III R 38/08

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