Rz. 51

Die bilanzielle Behandlung von Fremdkapitalkosten (borrowing costs) im Rahmen der Erfassung als Teil der Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten (IAS 23 (rev. 2017))[1] gestaltet sich nach den IFRS – anders als in der nationalen Rechnungslegung – einheitlich. Gem. IAS 23.8 besteht für Fremdkapitalkosten, die sich direkt (also Einzelkosten!)[2] dem Erwerb, dem Bau oder der Herstellung von besonderen Vermögenswerten – sogenannte qualifying assets – zuordnen lassen, eine Aktivierungspflicht sowohl bei den Anschaffungs- als auch bei den Herstellungskosten. Dabei muss wahrscheinlich sein, dass dem Unternehmen hierdurch ein künftiger wirtschaftlicher Nutzen gestiftet wird und die Kosten verlässlich bewertet werden können (IAS 23.9).

 

Rz. 52

Unter einem qualifying asset versteht man einen Vermögenswert, der zwischen Herstellungsbeginn und der Versetzung in einen gebrauchs- oder verkaufsfähigen Zustand einen "beträchtlichen Zeitraum" (substantial period of time) erfordert (IAS 23.5) und mithin über einen längeren Zeitraum keinen Beitrag zum betrieblichen Erfolg leistet, wie z. B. selbst erstellte Anlagen, Energieerzeugnisanlagen, immaterielle Vermögenswerte oder einem Reifungsprozess unterliegender Whisky oder Rotwein. Bei einem "beträchtlichen Zeitraum" wird widerlegbar von einem mehr als 12 Monate andauernden Zeitraum ausgegangen. Maßgebend ist der Aktivierungszeitraum nach IAS 23.[3] Dagegen ist es für die Aktivierung von Fremdkapitalzinsen in Handelsbilanz und steuerlicher Gewinnermittlung unerheblich, ob Anlage- oder Umlaufvermögen vorliegt.[4]

 

Rz. 53

Demgegenüber besteht – trotz Vorliegens eines qualifying asset – für Vorräte im Rahmen einer industriellen Serienproduktion ebenso wie für biologische Vermögenswerte i. S. v. IAS 41 ein Aktivierungswahlrecht (IAS 23.4). Wird jenes nicht in Anspruch genommen, so erfolgt wie bei Vorliegen keines qualifying asset eine sofortige aufwandswirksame Erfassung der Fremdkapitalzinsen.

 

Rz. 54

Im Konkreten stellen die Fremdkapitalzinsen die tatsächlich aufgrund der Kreditaufnahme für ein bestimmtes qualifying asset anfallenden Zinsen dar. Insofern hat ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Aufnahme eines Kredits und dessen Verwendung für ein qualifying asset zu bestehen.[5] Etwaige Erträge aus der temporären Zwischenanlage dieser Mittel aufgrund von Zinseffekten, welche insbesondere im Falle einer zeitlichen Diskrepanz zwischen Fremdkapitalaufnahme und späterer Investition anfallen, sind bei qualifying assets von den zu aktivierenden Fremdkapitalkosten in Abzug zu bringen, um zu vermeiden, dass dann hohen Fremdkapitalzinsen entsprechende Zinserträge aus der Zwischenanlage gegenüberstehen (IAS 23.12 und 23.13).[6]

 

Rz. 55

Allerdings gewährt IAS 23.14 diametral zum Wortlaut des § 255 Abs. 3 HGB (vgl. die Ausführungen in Rz. 14) auch im Falle einer Pauschalfinanzierung, wenn folglich das qualifying asset aus dem dem Unternehmen im Gesamten zur Verfügung stehenden Fremdkapital (mit unterschiedlichen Zinssätzen) finanziert wurde (also Gemeinkosten!), eine Aktivierung als Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten (z. B. im Rahmen eines Cash-Pooling). Hierbei ist als Fremdkapitalkostensatz der gewogene Durchschnitt der Fremdkapitalkosten derjenigen Kredite zugrunde zu legen, die während der Periode bestanden haben und die keine Einzelkosten bzgl. eines qualifying asset verkörpern.[7] Der Betrag der in einer Periode aktivierten Fremdkapitalzinsen ist jedoch limitiert und darf die in der gleichen Periode tatsächlich angefallenen Fremdkapitalzinsen nicht übersteigen.[8] Ferner ist es unzulässig, Erträge aus der temporären Zwischenanlage von allgemein aufgenommenem Fremdkapital mindernd zu berücksichtigen.[9]

 

Rz. 56

Als Fremdkapitalzinsen werden Zinsen und sonstige im Zusammenhang mit der Aufnahme von Fremdkapital angefallene Kosten eines Unternehmens definiert (IAS 23.5). IAS 23.6 präzisiert diese Definition. Danach verkörpern Fremdkapitalzinsen insbesondere

  • Zinsaufwand, der nach der in IFRS 9 beschriebenen Effektivzinsmethode berechnet wird;
  • Zinsen aus Leasingverbindlichkeiten, die gem. IFRS 16 bilanziert werden.
 

Rz. 57

Der Aktivierungszeitraum beginnt bei kumulativem Vorliegen der folgenden 3 Bedingungen (commencement of capitalisation; IAS 23.17):

  • Ausgaben, die sich durch Auszahlungen, Tausch oder die Übernahme verzinslicher Schulden konkretisieren, ggf. gemindert um Abschlagszahlungen und Zuwendungen, müssen für den Vermögensgegenstand anfallen (IAS 23.18);
  • die für die Anschaffung/Herstellung maßgeblichen Aktivitäten werden durchgeführt, um den Vermögenswert für seinen vorgesehenen Gebrauch bzw. Verkauf herzurichten (IAS 23.19);
  • Fremdkapitalkosten sind tatsächlich angefallen (Pagatorik).[10]
 

Rz. 58

Der Aktivierungszeitraum endet mit dem Abschluss aller wesentlichen Arbeiten, die das qualifying asset für seinen vorgesehenen Gebrauch oder Verkauf herrichteten, d. h. mit dem Abschluss seiner physischen Herstellung (cessation of capitalisation; IAS 23.22-23.23). Entsprechendes gilt für de...

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