Rz. 28

Die "Zinsen für Fremdkapital" i. S. v. § 255 Abs. 3 HGB erlangen über den Verweis in R 6.3 Abs. 5 EStR 2012 für steuerliche Zwecke sowohl im oben[1] bereits beschriebenen sachlichen als auch im zeitlichen Umfang Geltung, sodass eine begriffliche Deckungsgleichheit zu konstatieren ist. Wurde das Aktivierungswahlrecht für Fremdkapitalzinsen nach § 255 Abs. 3 Satz 2 HGB ausgeübt, so sind jene nach Ansicht der Finanzverwaltung via § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG auch in der steuerlichen Gewinnermittlung in den Herstellungskostenumfang mit einzubeziehen (R 6.3 Abs. 5 Satz 2 EStR 2012).[2]

 

Rz. 29

Vor Ergehen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG)[3] bildete der Sachverhalt der Aktivierung von Fremdkapitalzinsen innerhalb der Herstellungskosten einen Anwendungsfall der umgekehrten Maßgeblichkeit, d. h. die Aktivierung von Fremdkapitalzinsen wurde steuerlich akzeptiert, falls handelsbilanziell die Bewertungshilfe in Anspruch genommen wurde.[4] Aufgrund der Abschaffung der umgekehrten Maßgeblichkeit durch das BilMoG verfolgt die Finanzverwaltung nunmehr in R 6.3 Abs. 5 EStR 2012 ebenfalls die Abkehr von jener. Jedoch ist der Verweis auf § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG in diesem Zusammenhang verfehlt, da hiernach lediglich der steuerliche Bilanzausweis nach den GoB zu erfolgen hat. Die handelsbilanzielle Aktivierung von Fremdkapitalzinsen ist aufgrund der Fiktion des § 255 Abs. 3 Satz 2 HGB und dessen Qualifikation als Bewertungshilfe nicht GoB-konform und kann nicht für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblich sein. Darüber hinaus bleibt unklar, warum die Finanzverwaltung im Zuge des BilMoG den Paradigmenwechsel vom Bereich der umgekehrten Maßgeblichkeit hin zur materiellen Maßgeblichkeit vollzog. Insofern müsste sachgerecht das Aktivierungswahlrecht von Fremdkapitalzinsen in der Handelsbilanz sowie im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung unterschiedlich mit der Konsequenz der Möglichkeit einer eigenständigen Steuerbilanzpolitik ausgeübt werden können.[5]

 

Rz. 30

Ein Unternehmen wird aus rein steuerlichen Gründen regelmäßig kein Interesse an der Inanspruchnahme des Wahlrechts besitzen,[6] weil sich die sofortige Aufwandserfassung im Hinblick auf Steuerbarwertüberlegungen im Vergleich zur Aktivierung und (planmäßigen) Abschreibung (des Wirtschaftsguts) in den Folgeperioden als günstiger erweist. Eine (steuerliche) Aktivierung mit der Folge höherer Herstellungskosten kann jedoch in Sonderfällen geboten sein, wie bspw. zur Generierung von Investitionszulagen (§ 5 InvZulG 2010) oder zur besseren Nutzung der steuerfreien Rücklage gem. § 6b EStG.[7]

 

Rz. 31

Die in Rz. 17 bereits angedeutete Problematik der handelsbilanziell alternativ möglichen Aktivierung eines Disagios als Bestandteil der Herstellungskosten oder als aktiver Rechnungsabgrenzungsposten lässt sich unter Hinzuziehung steuerbilanzieller Aspekte lösen. Da in der steuerlichen Gewinnermittlung ein Disagio zwingend als Rechnungsabgrenzungsposten zu aktivieren ist (§ 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG und H 6.10 EStR (Stichwort "Damnum")), was eine Erfassung als Teil der Herstellungskosten ausschließt, kommt auch keine Aktivierung gem. § 255 Abs. 3 HGB in Betracht.

[1] Vgl. Rz. 11 ff.
[3] Vgl. Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl 2009 I S. 1102 ff.
[5] Vgl. Richter, GmbHR 2010, S. 507; Richter, in Kußmaul/Müller, Handbuch der Bilanzierung, Rz. 33 f. und Rz. 36 (218. Erg.-Lief. 2019); Richter/Künkele/Zwirner, in Petersen/Zwirner, Systematischer Praxiskommentar Bilanzrecht, 4. Aufl. 2020, § 255 HGB Rz. 285. An dieser Stelle sei hervorgehoben, dass Fremdkapitalzinsen nicht in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG fallen und nicht der hierdurch de facto reaktivierten umgekehrten Maßgeblichkeit unterliegen. Vgl. Meyering/Gröne, DStR 2016, S. 1699; Sopp/Richter/Meyering, StuW 2017, S. 243.
[6] Vgl. Pyszka, DStR 1996, S. 810.
[7] Vgl. Pyszka, DStR 1996, S. 810.

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