Leitsatz

Ein Bescheid, mit dem die Festsetzung von Kindergeld mit Wirkung vom 01.01. eines früheren Jahrs unter Hinweis auf § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben wird, weil die Einkünfte und Bezüge des Kinds in diesem Jahr den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG überschritten hätten, ist aus Empfängersicht dahin auszulegen, dass nur für dieses Jahr eine Verwaltungsentscheidung getroffen werden soll, nicht aber für den nachfolgenden Zeitraum bis zur Bekanntgabe des Aufhebungsbescheids.

 

Normenkette

§ 70 Abs. 4 EStG, § 119 Abs. 1 AO, §§ 133, 157 BGB

 

Sachverhalt

Der Kläger erhielt für seinen Sohn, der zum Bankkaufmann ausgebildet wurde, ab August 1999 Kindergeld. Nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen kam die Familienkasse zu dem Ergebnis, dass die Einkünfte und Bezüge des Sohns im Jahr 2000 über dem Jahresgrenzbetrag lagen. Mit Bescheid vom 01.08.2002 hob sie die Festsetzung von Kindergeld "mit Wirkung vom 01.01.2000 gem. § 70 Abs. 4 EStG" auf und wies darauf hin, dass eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern sei, wenn nachträglich bekannt werde, dass die Einkünfte und Bezüge den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG über- oder unterschritten hätten. Dies sei im Jahr 2000 der Fall gewesen. Der Kläger legte keinen Einspruch ein.

Im Sommer 2005 beantragte der Kläger Kindergeld für das Jahr 2001. Er verwies auf den Beschluss des BVerfG in BFH/NV Beilage 2005, 260, nach dem die Sozialversicherungsbeiträge eines nicht selbstständig beschäftigten Kinds nicht in dessen Einkünfte und Bezüge einbezogen werden dürften.

Die Familienkasse lehnte den Antrag ab, weil sich die Bestandskraft des Bescheids vom 01.08.2002 bis zum Monat seiner Bekanntgabe erstrecke. Die Klage hatte Erfolg (FG Düsseldorf, Urteil vom 06.09.2007, 14 K 2130/06 Kg, Haufe-Index 1988404).

 

Entscheidung

Die Auslegung des Inhalts von Verwaltungsakten durch das FG ist im Revisionsverfahren in vollem Umfang nachprüfbar. Der BFH kam dabei wie das FG zum Ergebnis, dass der Aufhebungsbescheid nur das Jahr 2000 betroffen habe. Die Festsetzung des Kindergelds für 2001 bedurfte daher keiner Änderungsvorschrift, die Sozialversicherungsbeiträge waren abzuziehen.

 

Hinweis

1. Kindergeld wird durch einen Dauer-VA festgesetzt, der für die Vergangenheit nur unter bestimmten Voraussetzungen geändert werden kann. Die Bestandskraft eines nicht angefochtenen Bescheids, durch den die Gewährung von Kindergeld abgelehnt oder auf null Euro festgesetzt oder durch den eine Kindergeldfestsetzung aufgehoben wird, erstreckt sich in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe. Die Familienkasse kann aber in einem Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid auch über einen abweichenden Zeitraum entscheiden.

2. Materielle Fehler eines Kindergeldbescheids (d.h. Rechtsanwendungsfehler) können nach § 70 Abs. 3 S. 2 EStG nur mit Wirkung für die Zukunft korrigiert werden. § 70 Abs. 4 EStG ermöglicht dagegen eine Änderung für die Vergangenheit, setzt aber voraus, dass sich die Einkünfte und Bezüge entgegen der Prognose (tatsächlich) erhöht oder vermindert haben. Eine rechtsfehlerhafte Prognose (z.B. wegen unterlassenem Abzug der Sozialversicherungsbeiträge des Kinds, vgl. BVerfG, Urteil vom 11.01.2005, 2 BvR 167/02, BFH/NV Beilage 2005, 260) kann dagegen nicht nach § 70 Abs. 4 EStG korrigiert werden (BFH, Urteil vom 28.06.2006, III R 13/06, BFH/NV 2006, 2204, BFH/PR 2006, 492).

3. Ob das Kindergeld bis zur Gegenwart oder lediglich bis zu einem früheren Zeitpunkt versagt wird, ist durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln. Dabei ist nicht nur der Tenor des Bescheids heranzuziehen, sondern auch sein materieller Regelungsgehalt und seine Begründung.

4. Wird eine Kindergeldfestsetzung im Sommer 2002 ab Januar 2000 aufgehoben und dies damit begründet, dass die Einkünfte und Bezüge im Jahr 2000 die maßgebliche Jahresgrenze überschritten hätten, so ist dies dahin zu verstehen, dass die Familienkasse nur über das Jahr 2000 entschieden hat und nicht auch für die Folgezeit.

5.§ 70 Abs. 4 EStG erlaubt eine Korrektur sowohl während als auch nach Ende des Kalenderjahrs, wenn sich die der vorherigen Festsetzung zugrunde liegende Prognose als unzutreffend erweist. Begründet die Familienkasse die Aufhebung aber (nur) mit § 70 Abs. 4 EStG und enthält der Bescheid lediglich Ausführungen zu den Einkünften und Bezügen des vorangegangenen Jahrs, ist dem zu entnehmen, dass nur das vorangegangene Jahr geregelt wird. Hatte die Familienkasse eine Prognose nur für ein zurückliegendes Jahr angestellt, so spricht ein Hinweis auf § 70 Abs. 4 EStG oder dessen wörtliche Wiedergabe ebenfalls dafür, dass der Bescheid nur den Prognosezeitraum betrifft.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 26.11.2009 – III R 87/07

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