Rz. 12

Für die strafrechtliche Perspektive ist der BGH-Beschluss vom 23.5.2007 zu berücksichtigen. Hier wird vom 1. Strafsenat einschlägig ausgeführt: "Nach § 17 Abs. 2 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Auf die Merkmale der ‚Dauer‘ und der ‚Wesentlichkeit‘ hat der Gesetzgeber der Insolvenzordnung bei der Umschreibung der Zahlungsunfähigkeit bewusst verzichtet, um der unter Geltung des alten Rechts (…) verbreiteten Neigung zu begegnen, den Begriff der Zahlungsunfähigkeit stark einzuengen und damit eine über Wochen oder sogar Monate fortbestehende Illiquidität zur rechtlich unerheblichen Zahlungsstockung zu erklären."[1]

Allerdings wird auch die strafrechtliche Betrachtungsweise nicht darauf verzichten können, bei den im Insolvenzverfahren letztendlich offengebliebenen Beträgen auf signifikante Größenordnungen abzustellen. Eine festzustellende Signifikanz wiederum muss nach den Umständen des Einzelfalls entschieden werden und ist damit einer Objektivität als allgemein gültiger (prozentualer) Schwellenwert nicht zugänglich.

 

Rz. 13

Ergänzend tritt hinzu, dass die strafrechtliche Verfolgung von Insolvenzdelikten in aller Regel vom Endpunkt her, d. h. von einem eröffneten bzw. mangels Masse nicht eröffneten Insolvenzverfahren zu beurteilen ist. Damit liegt der Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit in der Vergangenheit. Zu den sachgerechten Beurteilungsmechanismen bei einer solchen Konstellation formuliert das IDW: "Wenn nach eingetretener Insolvenz im Nachhinein der Zeitpunkt zu ermitteln ist, zu dem Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eingetreten ist, ist von dem Zeitpunkt auszugehen, für den erstmals Anhaltspunkte vorliegen, die auf eine mögliche Antragspflicht schließen lassen. Für diesen Zeitpunkt ist ein Finanzstatus bzw. Überschuldungsstatus zu erstellen. Ist es nicht möglich, einen Finanzplan zu erstellen, kann nach Auffassung des BGH für die Beurteilung, ob Zahlungsunfähigkeit vorlag, etwa im Anfechtungsprozess, auch retrograd auf den Zeitpunkt abgestellt werden, zu dem die erste, bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht ausgeglichene Verbindlichkeit fällig geworden ist. Zu diesem Zeitpunkt ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn aufgrund konkreter Umstände, die sich nachträglich geändert haben, damals angenommen werden konnte, der Schuldner werde rechtzeitig in der Lage sein, die Verbindlichkeiten zu erfüllen. Dass nicht lediglich eine Zahlungsstockung vorlag, ist im Nachhinein ohne Weiteres feststellbar, auch anhand von Indizien im Rahmen einer Gesamtschau."[2]

Strafrechtlich ist die Differenz zwischen fälligen Verbindlichkeiten und der am Stichtag vorhandenen Liquidität und dass diese Differenz in kurzer Zeit nicht beseitigt werden kann.[3]

[2] Vgl. IDW, IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11), Rz. 50 f., Stand: 8/2016; BGH, Urteil v. 12.10.2006, IX ZR 228/03; BGH, Urteil v. 18.7.2013, IX ZR 143/12.
[3] Vgl. Richter, in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 2015, § 78 Rz. 38.

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