Leitsatz

Eine Wohnung dient dem Wohnen am Beschäftigungsort, wenn sie dem Arbeitnehmer ungeachtet von Gemeinde- oder Landesgrenzen ermöglicht, seine Arbeitsstätte täglich aufzusuchen. Die Entscheidung darüber, ob eine solche Wohnung so gelegen ist, dass der Arbeitnehmer in zumutbarer Weise täglich von dort seine Arbeitsstätte aufsuchen kann, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das Finanzgericht.

 

Normenkette

§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG

 

Sachverhalt

Die Eheleute K hatten ihren gemeinsamen Hausstand in C. Frau K war als kaufmännische Angestellte in A tätig, nachdem ihr Arbeitgeber seinen Sitz 2007 von B nach A verlegt hatte. Frau K nutzte unter der Woche eine Wohnung in B, die von ihrer Arbeitsstätte in A 141 km entfernt liegt, als Zweitwohnsitz und suchte von dort ihre Arbeitsstätte in A auf. Die Kosten dafür machte sie für 2008 als doppelte Haushaltsführung geltend. Dies lehnte das FA ab, weil sich die Wohnung in B und nicht am Beschäftigungsort in A befinde. Die Klage war erfolgreich (FG Düsseldorf, Urteil vom 13.10.2011, 11 K 4448/10 E, Haufe-Index 2900899, EFG 2012, 36).

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte aus den unter den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen das FG.

 

Hinweis

Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Was meint § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG mit dieser Formulierung, die übrigens auf einen Erlass des Reichsministers der Finanzen (vom 6.12.1930, RStBl 1930, 782) zurückgeht? Im Beschäftigungsort, nahe beim Beschäftigungsort, in einem bestimmten Umkreis zum Beschäftigungsort? Der BFH hatte schon vor 40 Jahren entschieden, dass der Wortsinn nicht einengend so zu verstehen sei, dass der Arbeitnehmer in derselben politischen Gemeinde wohnen müsse (BFH, Urteil vom 9.11.1971, VI R 96/70, BStBl II 1972, 134); auch die Umgebung der politischen Gemeinde genügt, wenn der Arbeitnehmer von hier aus zur Arbeitsstätte fährt. Daraus und aus dem Tatbestand der doppelten Haushaltsführung selbst und dessen zugrunde liegendem Regelungszweck, wie er insbesondere in den Entscheidungen zu den sogenannten Wegverlegungsfällen (BFH, Urteil vom 5.3.2009, VI R 23/07, BFH/NV 2009, 1176, BFH/PR 2009, 289) zur Anwendung gekommen war, folgert jetzt der BFH: Der Zweithaushalt am Beschäftigungsort dient beruflichen Zwecken, wenn der Arbeitnehmer ihn unterhält, um von dort aus seinen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Der Arbeitnehmer wohnt am Beschäftigungsort, wenn er von dort aus seine Arbeitsstätte täglich aufsuchen kann. Gemeinde- oder Landesgrenzen sind unerheblich.

1. Beachten Sie: Entscheidend ist nun, ob die fragliche Wohnung so zur Arbeitsstätte gelegen ist, dass der Arbeitnehmer in zumutbarer Weise täglich von dort aus seine Arbeitsstätte aufsuchen kann. Das ist naturgemäß vor allem eine Tatsachenfrage und daher in erster Linie von den FG als Tatsacheninstanz zu würdigen und zu entscheiden. Maßstabgebend sind insbesondere die individuellen Verkehrsverbindungen zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte; die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ist deshalb ein wesentliches, aber nicht allein entscheidendes Merkmal.

2. Die Anwendung dieser Grundsätze zeigt die hier vom BFH bestätigte Entscheidung des FG. Frau K benötigte mit dem ICE von B nach A nur eine Stunde, eine angesichts gegenwärtiger Mobilitätsanforderungen nicht mehr unübliche Zeit. Auch dass ihr Arbeitgeber seinen Sitz von B nach A wegverlegte, sprach offenkundig dafür, dass die Wohnung in B beruflich veranlasst war und diesem Zweck trotz Arbeitgeberumzug weiter diente. Das Beispiel einer entgegengesetzten Würdigung liefert ein Senatsbeschluss vom 2.10.2008 (VI B 33/08, Haufe-Index 2078331); dort hatte das FG angesichts der individuellen Lage und Entfernung (62 km) eine Wohnung am Beschäftigungsort verneint.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 19.4.2012 – VI R 59/11

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