Sachverhalt

Das FG Köln hatte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Artikel 2 Abs. 2 der 13. EG-Richtlinie (Vorsteuervergütungsverfahren gegenüber Drittlandsunternehmern) einschränkend dahingehend ausgelegt werden muss, dass die dort den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit der Einführung eines Gegenseitigkeitserfordernisses bei der Umsatzsteuererstattung sich nicht auf solche Staaten bezieht, die sich als Vertragspartei des GATS auf dessen Meistbegünstigungsklausel (Art. II Abs. 2 GATS) berufen können. Nach Artikel 2 Abs. 2 der 13. EG-Richtlinie können die Mitgliedstaaten die Erstattung von Umsatzsteuern gegenüber den im Drittlandsgebiet ansässigen Unternehmern von der Gewährung vergleichbarer Vorteile durch den jeweiligen Ansässigkeitsstaat abhängig machen. Dementsprechend sieht § 18 Abs. 9 Satz 6 UStG vor, dass einem Unternehmer, der nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässig ist, die Vorsteuer nur vergütet wird, wenn das Sitzland dieses Unternehmers keine Umsatzsteuer oder ähnliche Steuer erhoben hat oder im Fall der Erhebung die Steuer im Inland ansässigen Unternehmern vergütet wird.

Mit seinem Beschluss 94/800/EG vom 22.12.1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. EG Nr. L 336/1) hat der Rat der Europäischen Union das Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation sowie die Übereinkünfte in den Anhängen 1, 2 und 3 dieses Übereinkommens, zu denen das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, im Folgenden: GATS) gehört, genehmigt. Artikel II Abs. 1 GATS bestimmt: "Jedes Mitglied gewährt hinsichtlich aller Maßnahmen, die unter dieses Übereinkommen fallen, den Dienstleistungen und Dienstleistungserbringern eines anderen Mitglieds sofort und bedingungslos eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als diejenige, die es den gleichen Dienstleistungen oder Dienstleistungserbringern eines anderen Landes gewährt."

Die Klägerin ist ein in Tschechien ansässiges Unternehmen, das im Bereich der Flugsicherung tätig ist. Das Unternehmen bietet auch Flugtraining an, das in Tschechien durchgeführt wird. Im Rahmen entsprechender Kurse nahm es Leistungen am Flugsimulator und andere Schulungen in Deutschland in Anspruch, die mit deutscher Umsatzsteuer belastet waren. Für diese Steuern (Streitjahr 2002) beantragte das Unternehmen beim Bundeszentralamt für Steuern die Rückerstattung. Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen für die Anwendung von § 18 Abs. 9 Satz 6 UStG - Gegenseitigkeitserfordernis - nicht erfüllt seien.

 

Entscheidung

Der EuGH hat zwar schon vereinzelt entschieden, dass die mitgliedstaatlichen und gemeinschaftlichen Gerichte aufgrund von Gemeinschaftsrecht verpflichtet seien, die Normen der WTO-Übereinkünfte bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Rahmen des Möglichen zu berücksichtigen, also eine völkerrechtskonforme Auslegung vorzunehmen (vgl. z.B. EuGH, Urteile v. 14.12.2000, C-300/98 (Dior) und v. 16.6.1998, C-53/96 (Hermes)). Nach der jetzigen Entscheidung war eine solche Auslegung im Streitfall aber nicht geboten.

Der EuGH stellt fest, dass Artikel 2 Abs. 2 der 13. EG-Richtlinie den Mitgliedstaaten keine Verpflichtung auferlegt, sondern ihnen nur eine bloße Möglichkeit (Prinzip der Gegenseitigkeit) eröffnet. Die Vorschrift hindert die Mitgliedstaaten also nicht daran, den Verpflichtungen nachzukommen, die sie ggf. in einem völkerrechtlichen Vertrag wie GATS eingegangen sind. Dementsprechend ist Artikel 2 Abs. 2 der 13. EG-Richtlinie dahin gehend auszulegen, dass der dort verwendete Begriff "Drittländer" alle Drittländer umfasst und dass die Vorschrift die Befugnis und die Verantwortung der Mitgliedstaaten unberührt lässt, ihren Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen wie dem GATS nachzukommen. Ein Rechtsanspruch darauf besteht indes nicht.

 

Hinweis

Das Urteil ist folgerichtig. Lediglich in zwei Ausnahmefällen überprüft der EuGH die Vereinbarkeit des Gemeinschaftsrechts mit WTO-Recht (vgl. EuGH, Urteil v. 9.1.2003, C-76/00 (Petrotub)):

  • Die erste Ausnahme (sog. "Fediol-Ausnahme") greift dann, wenn eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift ausdrücklich auf eine bestimmte Vorschrift der WTO verweist (vgl. EuGH, Urteil v. 22.6.1989, 70/87 (Fediol)).
  • Die zweite Ausnahme (sog. "Nakajima-Ausnahme") gilt, wenn die Gemeinschaft mit dem Erlass der angegriffenen Rechtsvorschriften eine bestimmte im Rahmen der WTO eingegangene Verpflichtung umsetzen wollte (vgl. EuGH, Urteil v. 7.5.1991, C-69/89 (Nakajima)).

Die Voraussetzungen dieser Ausnahmen lagen hier aber nicht vor, da sich weder ein Verweis auf das GATS in der 13. EG-Richtlinie findet, noch die 13. EG-Richtlinie in Umsetzung der Meistbegünstigungsklausel ergangen ist.

Das Urteil bestätigt somit im Ergebnis, dass die Vorsteuervergütung nach dem Prinzip ...

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