Leitsatz

Die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse ändern sich i.S.d. § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG, wenn sich der Steuerpflichtige während des Berichtigungszeitraums auf die Steuerfreiheit der gleichbleibenden Verwendungsumsätze gem. Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-RL beruft.

 

Normenkette

§ 15a Abs. 1 Satz 1 UStG 1993/1999, Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Die Klägerin hatte in bestandskräftigen Steuerbescheiden 1994 ff. für ihre Umsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit beim FA nach dem UStG zu Recht die Vorsteuer beansprucht. Nach Eintritt der Festsetzungsverjährung berief sie sich auf die Steuerbefreiung nach dem – unzutreffend umgesetzten – Unionsrecht und wandte sich gegen die Vorsteuerberichtigung.

 

Entscheidung

Die Revision der Klägerin hatte aus den genannten Gründen keinen Erfolg (Vorinstanz: Urteil des Hessischen FG, Urteil vom 10.11.2009, 6 K 3110/06, Haufe-Index 2316372).

 

Hinweis

Mit dem Urteil Linneweber hatte der EuGH entschieden, dass Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-RL unmittelbare Wirkung zukommt und sich der Unternehmer darauf berufen kann. Die Idee, trotz Steuerfreiheit der Umsätze die früher nach nationalem Recht gewährte Vorsteuer ungeachtet des noch laufenden Berichtigungszeitraums zu behalten, ist verständlich, findet aber weder im materiellen noch im Verfahrensrecht eine Stütze.

1. Die spätere Berufung auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung für die dem Besteuerungszeitraum des Leistungsbezugs nachfolgenden Besteuerungszeiträume ändert nichts daran, dass für den Besteuerungszeitraum des Leistungsbezugs der Vorsteuerabzug bestehen bleibt.

2. Ändern können sich i.S.d. § 15a Abs. 1 Satz 1 UStGsämtliche "Verhältnisse, die ... für den Vorsteuerabzug maßgebend waren". Also auch Verwendungsumsätze, die nach nationalem Recht steuerpflichtig, nach der unzutreffend umgesetzten RL aber als steuerfrei zu behandeln sind, wenn sich der Unternehmer später (zu Recht) auf das Unionsrecht beruft. Vorsteuerbeträge für Leistungsbezüge, die in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit steuerfreien Ausgangsumsätzen stehen, sind aber nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 UStG und Art. 17 der 6. EG-RL nicht abziehbar (Ausnahme § 15 Abs. 3 UStG).

3. Ist die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar, kann allenfalls eine Vorsteuerberichtigung vorgenommen werden, wenn das FA die Verwendung des Wirtschaftsguts in einem Folgejahr richtig beurteilt und sich damit "geänderte Verwendungsverhältnisse" gegenüber der Gewährung des Vorsteuerabzugs ergeben.

4. Entspricht das nationale Recht nicht dem Unionsrecht und kann es nicht richtlinienkonform ausgelegt werden, kann sich nur der Steuerpflichtige auf das Unionsrecht berufen. Tut er das während des Berichtigungszeitraums, tritt – ähnlich wie bei der Rückgängigmachung des Verzichts auf eine Steuerbefreiung gem. § 9 UStG – eine Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse ein. Das FA durfte ihm zuvor nicht unter Berufung auf die RL den Vorsteuerabzug verweigern. Der Vorsteuerabzug im Jahr des Leistungsbezugs war nach nationalem Recht nicht "fehlerhaft".

5. Für die Korrekturmöglichkeiten verlangt das Unionsrecht, das selbst keine verfahrensrechtliche Regelungen enthält, keine Besonderheiten. Es müssen aber dieselben Grundsätze gelten wie für Ansprüche nach nationalem Recht (Äquivalentsgrundsatz). Hat der Steuerpflichtige daher die Einlegung eines Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels unterlassen, kann er sich nicht darauf berufen, er habe dies wegen der bisherigen ständigen (höchstrichterlichen) Rechtsprechung unterlassen. Auch die Berufung auf die Steuerfreiheit bestimmter Umsätze nach Unionsrecht ist innerhalb der allgemeinen Fristen zumutbar.

6. Zu berücksichtigen ist im Übrigen, dass nach dem EuGH (EuGH, Urteil vom 20.10.2011, C-94/10, Danfoss und Sauer-Danfoss, Haufe-Index 2760332) auch eine Erstattung von aus unionsrechtlicher Sicht rechtsgrundlos bezahlter Abgaben nicht verlangen kann, wer die Abgabe auf einen anderen abgewälzt hat. Dies ist bei der USt, die nur der Verbraucher trägt, der Fall.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 15.9.2011 – V R 8/11

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