Sachverhalt

Im Ausgangsrechtsstreit ging es im Wesentlichen um die Frage, ob die Klägerin die MwSt, die sie auf in Litauen erworbene und in Drittländer ausgeführte Gegenstände gezahlt hat, zum Vorsteuerabzug bringen kann, obwohl sie zu dem Zeitpunkt, zu dem die betreffenden Umsätze getätigt wurden, in Litauen nicht als mehrwertsteuerpflichtig registriert war.

Zwischen Februar und Mai 2008 erwarb die Klägerin in Litauen Weizen von landwirtschaftlichen Erzeugern und zahlte diesen die darauf in Rechnung gestellte USt. In diesem Zeitraum verkaufte die Klägerin auch den Weizen nach Algerien und in die Türkei (steuerfreie Ausfuhrlieferungen). Im August 2008 wurde die Klägerin in Litauen als Mehrwertsteuerpflichtige registriert. In der Voranmeldung für August 2008 meldete sie einen Vorsteueranspruch in Höhe des auf den Erwerbs des Weizen entfallenden Steuerbetrags.

Die litauische Steuerbehörde verweigerte den Vorsteuerabzug mit der Begründung, dass der bereits veräußerte Weizen nicht mehr für eine der MwSt unterliegende Tätigkeit verwendet werden könne. Das Recht auf Vorsteuerabzug stehe ausschließlich Steuerpflichtigen zu, die für die Mehrwertsteuer registriert seien. Zwar sei die Klägerin nach litauischem Recht nicht verpflichtet, sich in Litauen registrieren zu lassen, müsse dies jedoch tun, wenn sie einen Vorsteuerabzug geltend machen wolle.

Das Vorlagegericht fragte den EuGH, ob die MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass sie dem entgegensteht, dass ein Unternehmer, der die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt, an der Ausübung seines Abzugsrechts durch nationale Rechtsvorschriften gehindert wird, die den Vorsteuerabzug beim Erwerb von Gegenständen verbieten, wenn sich der Steuerpflichtige nicht als mehrwertsteuerpflichtig hat registrieren lassen, bevor er diese Gegenstände für seine besteuerte Tätigkeit (hier die dem Nullsatz unterliegende Ausfuhrlieferung) verwendet hat.

 

Entscheidung

Der Gerichtshof hat im Ergebnis die Zulässigkeit der entsprechenden litauischen Regelung verneint. Er bezieht sich dabei auf seine ständige Rechtsprechung, wonach das Recht zum Vorsteuerabzug nur in den von der MwStSystRL ausdrücklich vorgesehenen Fällen eingeschränkt werden darf. Zwar sind die Unternehmer nach Art. 213 MwStSystRL auch verpflichtet, die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung ihrer Tätigkeit gemäß den von den Mitgliedstaaten zu diesem Zweck erlassenen Vorschriften anzuzeigen. Der EuGH hatte jedoch bereits entschieden, dass eine derartige Bestimmung die Mitgliedstaaten nicht ermächtigt, die Ausübung des Vorsteuerabzugs, wenn eine solche Anzeige nicht erfolgt, erst ab der tatsächlichen Umsatztätigkeit zuzulassen oder dem Unternehmer den Vorsteuerabzug zu versagen. (vgl. EuGH, Urteil v. 21.3.2000, C-110/98 bis C-147/98 (Gabalfrisa u. a). Der EuGH hat damit seine frühere Rechtsprechung bestätigt, dass der Vorsteuerabzug nicht systematisch aus formalen Gründen in Frage gestellt werden kann.

 

Hinweis

Das deutsche Umsatzsteuerrecht ist von der Entscheidung nicht unmittelbar betroffen, weil es die verworfenen formalen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug bei Unternehmensgründungen nicht kennt. Aus dem Urteil ergeben sich aber wichtige Hinweise, wie weit etwaige Rechtsänderungen zur Bekämpfung von Steuerbetrug im Zusammenhang mit dem Vorsteuerabzug reichen dürfen. Eine wesentliche Erkenntnis aus dem Urteil ist, dass der Vorsteuerabzug nicht systematisch (pauschal) in Frage gestellt werden darf, zumindest dann nicht, wenn dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend Genüge getan ist. Gleichwohl kann die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug zeitlichen Beschränkungen unterläge. Die Verpflichtung der Unternehmer, sich als mehrwertsteuerpflichtig zu registrieren, würde - so der EuGH - leerlaufen, wenn die Mitgliedstaaten hierfür keine angemessene Frist vorschreiben dürften.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 21.10.2010, C-385/09

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