Sachverhalt

Bei dem Verfahren ging es um die Frage, ob die Klägerin R, eine in Deutschland ansässige Tochtergesellschaft einer britischen Muttergesellschaft, die Bank- und Leasinggeschäfte betreibt, im VK den Vorsteuerabzug für den Kauf von Leasinggegenständen (Pkw) in Anspruch nehmen kann, deren Überlassung an einen britischen Leasingnehmer sie weder in Deutschland noch im Vereinigten Königreich der Umsatzsteuer unterworfen hat.

R nutzte dabei aus, dass die deutsche und die britische Steuerverwaltung den gleichen Sachverhalt eines Leasinggeschäfts (nach der bis 31.12.2009 bestehenden Rechtslage für den Ort von Dienstleistungen) unterschiedlich qualifizieren. Die britische Steuerverwaltung ordnete das Leasing als Dienstleistung ein, die am Sitz der R in Deutschland erbracht werde. Die deutsche Steuerverwaltung hingegen nahm eine Lieferung an, deren Ort im VK liege. Die Leasingleistung wurde demzufolge in keinem der beiden Mitgliedstaaten besteuert. Das Vorlagegericht stellte u. a. die Frage, ob der R aus Gründen des Gestaltungsmissbrauchs der Vorsteuerabzug im VK versagt werden könne.

 

Entscheidung

Zum Vorsteuerabzug hat der EuGH - seine bisherige Rechtsprechung bestätigend - entschieden, dass VK nach Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007 Art. 169 Buchst. a MwStSystRL - Vorsteuerabzugsrecht für Umsätze, die außerhalb des Mitgliedstaats, in dem die abzugsfähige Steuer geschuldet oder entrichtet wird, bewirkt werden und für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat bewirkt worden wären) den Vorsteuerabzug der Klägerin unter den Umständen des Ausgangsverfahrens nicht verweigern kann, wenn die Gegenstände für Leasinggeschäfte in einem anderen Mitgliedstaat (hier Deutschland) verwendet wurden, die als Ausgangsumsätze in diesem zweiten Mitgliedstaat nicht der Mehrwertsteuer unterlagen. Der EuGH hat klargestellt, dass das Vorsteuerabzugsrecht der Klägerin nicht dadurch ausgeschlossen ist, dass ihre Leasingumsätze in Deutschland mangels Steuerbarkeit nicht besteuert werden, es also an einem besteuerten Ausgangsumsatz mangelt, für den die erworbenen Kfz verwendet werden. Für das Bestehen des Vorsteuerabzugsrecht im Sinne von Art. 169 Buchst. a MwStSystRL reicht es aus, dass -wie im vorliegenden Fall gegeben - die Ausgangsumsätze (hier die Leasinggeschäfte) nicht steuerfrei sind und in den Anwendungsbereich der MwSt fallen.

Zum etwaigen Vorliegen einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung hat der EuGH mit Bezug auf seine frühere Rechtsprechung (insbesondere EuGH, Urteil v. 21.2.2006, C-255/02 (Halifax u. a.)) entschieden, dass die fraglichen Leasinggeschäfte und die Art der zwischen den beteiligten Gesellschaften bestehenden Beziehungen keinen Anhaltspunkt für eine künstliche Gestaltung erkennen lassen, die allein zu dem Zweck dient, einen Steuervorteil zu erhalten. Auch insoweit steht also der VSt-Abzug für die in VK erworbenen Fahrzeuge, die von Deutschland aus verleast werden, nicht in Frage.

Nach geltender deutscher Auffassung definiert sich Leasing als sonstige Leistung (Vermietung) oder als Lieferung. Wenn der Leasing-Nehmer nach den vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächlicher Durchführung berechtigt ist, wie ein Eigentümer über den Leasing-Gegenstand zu verfügen, ist die Übergabe des Leasing-Gegenstands durch den Leasing-Geber an den Leasing-Nehmer eine Lieferung. Hiervon kann in der Regel ausgegangen werden, wenn der Leasing-Gegenstand einkommensteuerrechtlich dem Leasingnehmer zuzurechnen ist. Der EuGH hat keine Aussagen dazu getroffen, ob Deutschland mit der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung der fraglichen Leasingumsätze als Lieferungen Art. 5 der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007 Art. 14 MwStSystRL) unzutreffend angewendet haben könnte. Auch enthält die Entscheidung keine Äußerung dahingehend, dass es bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise bei Leasingverträgen zur Annahme von Lieferungen kommen kann. Der vorliegende Sachverhalt könnte anhand der allgemeinen Regel des Art. 5 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007 Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL) zu beurteilen sein. Danach liegt eine Lieferung vor, wenn der Empfänger der Leistung "wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand ... verfügen" kann. Die Formulierung "wie ein Eigentümer" könnte anzeigen, dass es anders als in Art. 5 Abs. 4 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1. 2007 Art. 14 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL) - dort "das Eigentum ... erworben wird" - nicht auf die formale Rechtsposition ankommt. Dies sieht in ständiger Rechtsprechung auch der EuGH so. Zuletzt hat er im Urteil v. 10.2.2011, Graphic Procédé, ausgeführt, dass Art. 5 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie"jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei umfasst, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer". Die Eigentumsübertragung müsste danach also wirtschaftlich und nicht rechtlich betrachtet werden (so auch Generalanwalt Léger in den Schlussanträgen v. 19.9.20...

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